Der Formel-1-Rennstall steht nach den Ermittlungen gegen Christian Horner vor einer Zerreissprobe. Im Dream-Team offenbaren sich zunehmend Unstimmigkeiten.
Die Meldung, dass Christian Horner am Dienstag bei der ersten Trainingsfahrt des neuen Red-Bull-Rennwagens für die bevorstehende Saison gesehen wurde, wäre für sich genommen alles andere als bemerkenswert. Das gehört sich schliesslich für einen Formel-1-Teamchef, zumal für jenen beim gegenwärtigen Branchenführer Red Bull Racing. Dass das britische Fernsehen dennoch über diesen Fakt berichtet hat und dieser sogar mit Erstaunen vorgetragen wurde, hängt mit der derzeit verworrenen Situation im Rennstall des Weltmeisters Max Verstappen zusammen.
Craig Slater reports that Christian Horner is present at today’s Red Bull shakedown, and is expected to attend the team’s car launch this week.
The investigation into allegations of inappropriate behaviour against Horner is continuing, and could take «some weeks» to conclude. pic.twitter.com/iTwEAfgTWw
— Sky Sports F1 (@SkySportsF1) February 13, 2024
Seit der Mutterkonzern aus Österreich vor anderthalb Wochen eine unabhängige Untersuchung gegen den 50 Jahre alten Horner eingeleitet hat, ist nichts mehr wie zuvor. Worum es genau geht, will Red Bull bis jetzt nicht preisgeben. Nur so viel: Das Unternehmen nehme die Angelegenheit sehr ernst und wolle die Untersuchung so bald wie möglich abschliessen.
Auf Horner und dem Team lastet eine schwere Bürde
Doch das kann sich hinziehen. Es soll um unangemessenes Verhalten gegenüber einer Mitarbeiterin im Team gehen, die dieses in die Unternehmenszentrale nach Fuschl am See gemeldet hat. Das berichtete jedenfalls die niederländische Zeitung «De Telegraaf». Horner bestritt gegenüber dem Blatt jeglichen Vorwurf. Seither herrscht Funkstille.
Bereits am vergangenen Freitag wurde mit einer ersten Stellungnahme von Red Bull Racing gerechnet, nachdem Anwälte Horner in London stundenlang vernommen hatten. Zu einem Ergebnis waren die Ermittler, die zuvor andere Teammitglieder befragt hatten, jedoch noch nicht gekommen. Damit lastet trotz Unschuldsvermutung weiter eine schwere Bürde auf Horner und dem Team. Für die gesamte Formel 1 ist es die erste grosse Herausforderung mit den in der Privatwirtschaft üblichen Compliance-Vorgaben. Die Sensibilität ist hoch, gerade auch beim Rechteinhaber Liberty Media aus den USA.
Die Spekulationen schiessen dennoch weiter ins Kraut. Wenn die Dauersieger der Formel 1 am Donnerstag den neuen RB 20 offiziell präsentieren, wird die grössere Aufmerksamkeit statt dem Wagen erneut Horner gelten. Es wäre dessen erster Auftritt in der Öffentlichkeit seit den Anschuldigungen – und auch ein Zeichen, dass er bereit ist, um seinen Ruf und seinen Job zu kämpfen.
Business as usual sieht anders aus. Die Vorwürfe kommen zur denkbar ungünstigsten Zeit: In einer Woche stehen die Testfahrten an, darauf folgt gleich der Saisonstart. Die Anschuldigungen und Ermittlungen sorgen für Unruhe in einer Phase der Konzentration, zumal Angst vor einer drohenden Führungslosigkeit herrscht. Christian Horner hat Red Bull im Jahr 2005 als Teamchef übernommen und seither zu sechs Konstrukteurs- und sieben Fahrer-Titeln geführt. Auch für das neue Rennjahr gilt der britisch-österreichische Rennstall als Favorit.
Bis jetzt ist ungewiss, bis wann die unabhängige Anwaltskanzlei, die die Vorfälle untersucht, Ergebnisse liefern kann. Und welche Konsequenzen das hat. Das hält die Champions in der Schwebe – von Freispruch über Rücktritt bis zum Rausschmiss scheint alles möglich. Horners Vertrag läuft noch bis 2026.
Noch an dem Montag, an dem die Vorwürfe bekanntgeworden waren, hatte Christian Horner an einem Treffen der Formel-1-Kommission teilgenommen. Der dienstälteste Teamchef der Königsklasse, der mit dem einstigen «Spice Girl» Geri Halliwell verheiratet ist und einen Sohn hat, will durch vermeintliche Normalität den Vorverurteilungen entkommen.
Der McLaren-Teamchef nennt Red Bull Racing den «Piranha Club»
Aus dem Umfeld des Teams und der Formel 1 aber sickerte seither immer wieder durch, dass der Brite kaum noch zu halten sei. Dass in den Niederlanden und in Österreich immer wieder vermeintliche Details in der Affäre Horner auftauchen, überrascht Insider nicht. Offenbar gibt es in den dortigen Lagern schon länger Opposition gegen den Manager, der so sanft lächeln und so aggressiv auftreten kann.
Das zeigt auch, dass es hinter der Fassade des Dream-Teams von Red Bull offenbar Unstimmigkeiten und Konkurrenzdenken gibt. Bereits im letzten Frühjahr waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Horner und dem 80-jährigen Konzernberater Helmut Marko publik geworden. Offenbar ging es um Machtansprüche im Vakuum, das nach dem Tod des Firmengründers Dietrich Mateschitz entstanden war. Offiziell soll Frieden herrschen, anscheinend bestehen nun auch Differenzen zwischen der Verstappen-Familie und Horner.
Max Verstappen hat bereits häufiger seine Loyalität und seine Dankbarkeit gegenüber seinem Förderer Marko kundgetan. Welche Rolle Oliver Mintzlaff spielt, der vom Fussball-Bundesligisten RB Leipzig zum Geschäftsführer der auch für den Motorsport zuständigen Red Bull GmbH aufrückte, ist unklar. Sollten das die Horner-Gegner sein, dann handelt es sich unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen um mächtige Kontrahenten. Der McLaren-Teamchef Ron Dennis hatte den Rennstall aus Milton Keynes einst den «Piranha Club» genannt.
Wenn Christian Horner das Team verlässt oder verlassen muss, dürfte wohl der bisherige Sportdirektor Jonathan Wheatley die Nachfolge antreten. Das wäre zielführender, als einen Formel-1-fremden Konzernmanager zu installieren. Der 56-Jährige gilt als ähnlich erfahren und gewieft wie Horner.
Die entscheidende Personalie bei Red Bull Racing bleibt jedoch der Ausnahme-Designer Adrian Newey, der seinen Vertrag im vergangenen Frühjahr langfristig verlängert hatte. Der 65-jährige Techniker gilt als der am höchsten bezahlte in seinem Metier. Am Kommandostand hinter der Boxenmauer sitzt er neben Horner, die beiden wirken wie zusammengeschweisst, sind aber sehr unterschiedliche Charaktere. Zweimal hat sich Ferrari schon eine Abfuhr bei Newey geholt, die gegenwärtige Lage bei Red Bull könnte zu einem weiteren Abwerbungsversuch führen.