Der Zweikampf zwischen Putin und seinem schärfsten Kritiker endete, wie er enden musste. Das Schicksal von Alexei Nawalny verrät viel über das heutige Russland.
Die Nachricht vom Tod – oder der Tötung – Alexei Nawalnys muss jeden echten Freund Russlands bestürzen. Aber überraschend kommt sie leider nicht. Der Machthaber Putin versuchte schon im Sommer 2020, seinen unbequemsten Kritiker umzubringen, nach Geheimdienstmanier mit Gift. Als dies misslang und das Mordkomplott bis in kleinste Details aufflog, nahm das Regime Rache und erreichte sein Ziel auf anderem Weg. Drei Jahre lang hat es Nawalny hinter Gittern auf vielfältigste Weise gepeinigt – durch Unterlassung medizinischer Hilfe, durch seelische Folter, Kälte, Hunger und Isolationshaft in bedrückender Enge, ohne die Möglichkeit ausreichender körperlicher Bewegung. Nawalny bezahlte seinen mutigen Einsatz für die Freiheit mit der Verbannung in eine Hölle auf Erden und nun mit dem viel zu frühen Tod.
Ein Symbol für Russlands Missstände
Putin hat sich einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert als Gewaltherrscher, der Russland mit dem grössenwahnsinnigen Krieg gegen die Ukraine ins Verderben stürzte. Untrennbar damit verbunden sind die Verbrechen gegen Querdenker wie Nawalny. An dessen Fall kristallisiert sich, was in Russland schiefläuft. Das Land ist zerfressen von der Korruption, seine Elite bereichert sich in einem Ausmass, wie es selbst zur Sowjetzeit undenkbar gewesen wäre. Eine Organisation wie jene Nawalnys, die unerschrocken solche Machenschaften aufdeckte, braucht Russland deshalb wie die Luft zum Atmen. Putin hat diese einige Jahre toleriert und ihr dann den Garaus gemacht.
Nawalnys Schicksal steht auch für eine weitere Fehlentwicklung. Russland verliert seine besten Talente – findige Unternehmer kehren dem Land den Rücken, Künstlerinnen entfliehen der kulturellen Enge, Politiker werden ins Exil gezwungen, andere verstummen in der inneren Emigration. Jedes Land müsste stolz sein auf ein kreatives Energiebündel wie Alexei Nawalny. Er war kein gewöhnlicher Politiker; er revolutionierte die Oppositionsarbeit mit seiner Originalität, neuen Recherchemethoden, Organisationstalent und einer erfrischenden Portion Witz. Er war obendrein im persönlichen Kontakt zugänglich und ohne jede Allüren. Nawalny hatte Charisma, eine Eigenschaft, die der gesamten Kreml-Riege abgeht. Leute wie er kommen in freien Ländern weit. In Russland gehen sie zugrunde.
Der Fall Nawalny illustriert zudem, von welcher Paranoia der Kreml getrieben ist. Die Verfolgung Andersdenkender kennt man zwar aus vielen autoritären Ländern. Aber manche Diktatoren sind klug genug, geistige und politische Freiräume offenzulassen. Dies kann einem Regime nützen, um Missstände zu erkennen.
Anders als früher geht die Toleranz des Kremls heute gegen null. Ein gigantischer Polizeistaat überwacht die Gesellschaft und schüchtert sie ein. Es reichte Putin nicht, die Organisationen Nawalnys zu zerschlagen – sein Kritiker musste auch in Lagerhaft. Putin fehlt sogar die Gelassenheit, einen chancenlosen Liberalen wie Boris Nadeschdin zur Präsidentenwahl vom März antreten zu lassen. Dieser musste auf fadenscheinige Art gestoppt werden, weil er der Majestät im Kreml ein paar Prozentpunkte abgezwackt hätte.
Nawalnys Botschaft an die Nachwelt
Nicht zuletzt zeigt sich an Alexei Nawalnys Schicksal ein weiterer Zug des Putin-Regimes: seine verstörende Grausamkeit. Die in der Ukraine manifestierte Vernichtungswut ist Beweis genug. Aber es bedarf einer besonderen Skrupellosigkeit, sich an Gegnern mit völkerrechtlich geächteten Waffen wie Nervengift oder radioaktiven Substanzen zu rächen. Nawalnys Schicksal ist deshalb auch eine Mahnung, nie zu vergessen, mit wem es die Welt im Kreml zu tun hat. Zwei Jahrzehnte lang verführte Putin nicht nur sein eigenes Volk, sondern er täuschte auch hohe westliche Politiker über sein wahres Wesen – zum Teil noch immer.
Nawalny selber hatte dazu eine klare Botschaft. Gefragt, was er der Nachwelt für den Fall seines Todes ans Herz legen möchte, sagte er einmal: «Gebt nicht auf. Für den Triumph des Bösen braucht es nur eines – die Untätigkeit der Guten.»