Es zählt zu den grossen Mythen der Aviatik: Was ist auf der Weltumrundung 1937 passiert, als die berühmte Pilotin zusammen mit ihrem Navigator spurlos im Pazifik verschwand? Jetzt will ein Abenteurer das Wrack ihrer Lockheed Electra lokalisiert haben.
Sie war in ihrer Ära wohl das, was man heute mit It-Girl oder Influencerin beschreiben würde – mit dem Unterschied, dass sie einen echten Leistungsausweis hatte: Die 1897 im US-Gliedstaat Kansas geborene Amelia Earhart wollte sich schon als Teenager nicht mit damaligen Konventionen und geschlechtsspezifischen Fesseln als Frau abfinden und wurde mit ihren Rekordflügen in den 1930er Jahren zu einer Ikone – nicht nur der Luftfahrt, sondern auch als Vorreiterin für die Emanzipation der Frau.
Schon ihr Vorhaben, das Fliegen erlernen zu wollen, kostet sie jede Menge Mut und Anstrengung. Ihre Eltern weigern sich, die nicht gerade billige und für eine Frau damals ungewöhnliche Ausbildung zur Pilotin zu finanzieren. Also nimmt Earhart als gerade 23-Jährige verschiedenste Jobs an, um das Geld für die Pilotenlizenz zusammenzukratzen.
Mit einem ersten Höhenweltrekord für Frauen macht sie 1923 kurz nach Erhalt ihrer Fluglizenz bereits auf sich aufmerksam. Im Jahr 1928 startet sie richtig durch. Ein New Yorker Verleger hat viel Geld mit dem Buch über Charles Lindberghs Rekord-Atlantikflug von New York nach Paris ein Jahr zuvor gemacht und ist Earhart zugetan. Er will die junge Pilotin als Teil einer Crew verpflichten, um den kommerziellen Bucherfolg möglichst zu wiederholen.
Nur soll es diesmal um die erste Atlantik-Überquererin gehen. Deshalb fliegt die 30-jährige Earhart mit zwei Piloten von Halifax in Kanada nach Burry Port im Süden von Wales in Grossbritannien. Offiziell ist Amelia Earhart zwar Kapitänin der Crew, sie steuert das Flugzeug aber keine Sekunde selbst. Später sagt sie desillusioniert über diesen Rekordflug: «Ich war nur Gepäck auf dieser Reise, wie ein Sack Kartoffeln.»
Vorreiterin für heutige Berufspilotinnen
Dennoch macht sie mit dieser Atlantiküberquerung Furore. Und obwohl Earhart lediglich als Passagierin an Bord dieses frühen Transatlantikflugs 1928 war, wird sie rasch berühmter als der Pilot. Denn sie veröffentlicht ein erfolgreiches Buch über den Flug und hält Vorträge.
Vier Jahre später startet sie 1932 in Neufundland selbst als Pilotin und fliegt eigenhändig als erste Frau über den Atlantik bis nach Irland, wo sie anstelle des eigentlich anvisierten Flugziels Paris notlanden muss. Spätestens seit diesem Flug ist sie in den USA eine Berühmtheit. Sie gilt in dieser Ära sogar als bekannteste Amerikanerin der Welt.
Earhart setzt ihre gewaltige Popularität gezielt dafür ein, um für die Gleichberechtigung der Frauen zu werben. Sie ist Mitbegründerin einer Vereinigung für Pilotinnen in den USA und kämpft für ihr Anliegen, dass Frauen auch als Berufspilotinnen in Verkehrsflugzeugen arbeiten dürfen. Das wird zu dieser Zeit noch unter anderem mit dem Argument abgelehnt, dass Frauen im Cockpit nervlich nicht genügend belastbar seien.
Mit weiteren Rekordflügen verschafft sich Earhart in dieser Zeit als Pilotin international Anerkennung und Respekt. Zudem stärken die Aufnahmen der fotogenen jungen Frau im Pilotenoverall ihre Popularität in den Medien. Gleichzeitig kann sie nun mit dem Fliegen auch Geld verdienen. Das Geschäftsmodell sieht nach ihren Worten so aus: «Es ist jetzt Routine. Ich stelle einen Rekord auf und halte anschliessend Vorträge darüber. Da kommt das Geld her. Bis es Zeit ist für einen neuen Rekord.»
Verschollen noch vor dem Zwischenstopp
Ihr ambitioniertestes Projekt ist auch das gefährlichste – und es wird ihr letztes. 1937 will sie als Erste die Welt auf Höhe des Äquators umrunden, in einer neuen zweimotorigen Propellermaschine vom Typ Lockheed 10-E Electra. Zuerst läuft es gut, drei Viertel der Strecke hat sie bereits geschafft.
Nun fehlt noch der Flug über den Pazifik. Doch auf dieser letzten Etappe verschwindet Earhart am 2. Juli 1937 zusammen mit ihrem Navigator Fred Noonan mehrere Stunden nach dem Start in Neuguinea spurlos. Der geplante Zwischenstopp auf der winzigen Howland-Insel mitten im Pazifik, auf der eigens für sie eine 750 Meter lange provisorische Runway sowie Treibstoffvorräte angelegt wurden, findet nie statt.
Damals gab es noch keine modernen Navigationsmethoden. Geflogen und navigiert wird in den 1930er Jahren noch nach den Sternen oder mit Kompass, Zeitmessung und Landkarten. Die helfen allerdings nicht beim Flug über einen Ozean, der keinerlei navigatorische Anhaltspunkte bringt. Kommt der Wind etwa anders als erwartet, driftet die Maschine womöglich unmerklich vom Kurs ab. Die Howland-Insel inmitten eines Ozeans zu finden, gleicht damals der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.
Zwar wurde im Sommer 1937 eigens ein Schiff der amerikanischen Küstenwache an der Insel stationiert, um mithilfe der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Funkpeilung das Auffinden des Eilands für die Lockheed-Crew einfacher zu machen. Aber die Systeme haben nur eine begrenzte Reichweite. Zudem ist am Tag des Unglücksflugs der Himmel wohl bedeckt. Howland Island zu entdecken, ist durch die Wolken noch schwerer.
Zu vermuten ist, dass die Lockheed Electra unbemerkt vom Kurs abgekommen und irgendwann der Sprit ausgegangen ist. Dann dürfte die Maschine wohl ins Meer gestürzt sein. Bereits kurz nach ihrem Verschwinden startet zwar eine der grössten Suchaktionen der amerikanischen Luftfahrtgeschichte im Pazifik mit etlichen Flugzeugen und Kriegsschiffen. Aber auch sie bringt ebenso wie spätere Suchen keinerlei Hinweise auf das Verschwinden der Lockheed und ihrer Crew.
Eine neue Expedition findet Flugzeugspuren
Weil das Wrack nie gefunden wurde, schossen wilde Spekulationen ins Kraut, Earhart sei womöglich gar nicht abgestürzt. Doch nun will der Amerikaner Tony Romeo mit seiner Firma D.S.V. das Wrack von Earharts Flugzeug möglicherweise entdeckt haben. Romeo ist selbst ehemaliger Pilot. Er hat mithilfe von Treibstoff-Berechnungen für die Lockheed Electra und der letzten bekannten Funksprüche Earharts ein Areal im Gebiet des Pazifiks eingegrenzt, in dem er das Wrack vermutet.
Mit einer Unterwasserdrohne scannte Romeo daraufhin monatelang mehr als 13 000 Quadratkilometer Fläche über dem Meeresgrund ab. Nach gut dreissig Tagen nahm die Drohne Bilder von einer möglicherweise flugzeugähnlichen Struktur auf dem Meeresboden auf, rund 160 Kilometer von der Howard-Insel entfernt. Bemerkt wurde das Bild aber erst nach drei Monaten. Romeo ist nun aber zumindest sehr zuversichtlich, dass dieser unscharfe Scan das Wrack von Earharts Flugzeug zeigen könnte.
Allerdings liegt das bis jetzt unidentifizierte Objekt in rund 4800 Meter Tiefe und ist daher nur sehr schwierig zu erkennen, geschweige denn zu bergen. Im Rahmen einer erneuten Expedition will Romeo jetzt versuchen, das mögliche Wrack wiederzufinden und exakter zu identifizieren.
Aviatik-Experten gaben aber gleich nach der Veröffentlichung der Aufnahme zu bedenken, dass der Scan zwar ein versunkenes Flugzeug zeigen könnte, dieses dann aber wohl pfeilförmige Tragflächen aufweise. Die hatte die verschwundene Lockheed 10-E Electra eindeutig nicht. Ausserdem ist es nicht allzu wahrscheinlich, dass die Earhart-Maschine, wenn es zu einer Notwasserung gekommen war, heil geblieben und in einem Stück versunken ist.
Die Maschine mit ihren beiden je 600 PS starken Sternmotoren hätte, falls es überhaupt zu einer kontrollierten Notwasserung gekommen ist, mit hoher Geschwindigkeit auf der Meeresoberfläche aufsetzen müssen. Dass dies gelingt, ohne dass Teile der Struktur des Flugzeugs abbrechen, ist ungewöhnlich. Und wäre die Electra gar aus grosser Höhe abgestürzt, wären ohnehin wohl höchstens kleinere Trümmerteile übrig geblieben. Die hätten sich durch die Strömung vermutlich über eine riesige Fläche verteilt, bevor sie fast 5000 Meter tief auf den Meeresboden sanken.
Parallelen zu Saint-Exupéry
Vermutlich hofft nicht nur die Fliegerwelt auf eine ähnliche Auflösung des Rätsels, wie es vor einiger Zeit mehr als fünfzig Jahre nach dem zunächst ungeklärten Verschwinden des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry, Autor des weltberühmten Buchs «Der kleine Prinz», geschah.
Der Berufspilot Saint-Exupéry, bereits in den 1930er Jahren auch als Literat zu Ruhm gekommen, war am 31. Juli 1944 bei seinem Aufklärungsflug mit einer Lockheed F-5B, der unbewaffneten Foto-Beobachterversion des amerikanischen Jagdflugzeugs P-38 Lightning, über dem Mittelmeer verschwunden. Er sollte von seinem Startflugplatz Bastia auf Korsika eigentlich nach Grenoble in die Alpen fliegen und dann zurückkehren.
Erst 1998 entdeckte ein französischer Fischer vor Marseille in seinem Netz ein Armband, das eindeutig dem Schriftsteller zugeordnet werden konnte. In einer daraufhin gestarteten Suchaktion wurden zwei Jahre später Wrackteile einer F-5B vor Marseille gefunden, die eindeutig von der Saint-Exupéry-Lockheed stammten.
Vermutet wird, dass der erfahrene Pilot von einem deutschen Messerschmitt-109-Piloten abgeschossen wurde. Ungeklärt bleibt allerdings, warum der Flugprofi anders als in seinem Flugauftrag vorgesehen überhaupt so weit westlich bis an die Mittelmeerstadt Marseille herangeflogen ist.
Nun hoffen Tony Romeo ebenso wie wohl etliche Luftfahrt-Historiker, dass eine erneute Suchaktion verifiziert, ob der unscharfe Scan tatsächlich die vermisste Lockheed Electra sein könnte. Damit würde das Rätsel 86 Jahre nach dem Verschwinden von Amelia Earhart und ihrem Crew-Kollegen Fred Noonan doch noch seine Auflösung finden.