Dem Mann wurde vorgeworfen, ein falsches Gutachten erstellt zu haben. Nun sprach ihn auch das Obergericht frei.
Mehrere Rechtsmediziner waren sich nicht darüber einig, ob eine Frau in Lebensgefahr geschwebt war, als ihr Ehemann sie im August 2015 bei einem Streit gewürgt hatte. Weil sich die Gutachten verschiedener Institute diametral widersprachen, landete der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin Zürich (IRM) zusammen mit einem Mitarbeiter schliesslich als Beschuldigter vor Gericht. Eine Verurteilung hätte die berufliche Karriere der beiden infrage gestellt.
Der strafrechtliche Vorwurf: «Falsches Gutachten und falscher Befund», was im Straftatbestand von Artikel 307 StGB geregelt ist. Das Bezirksgericht Zürich sprach die beiden Rechtsmediziner im März 2023 erstinstanzlich frei. Ein ausserordentlich eingesetzter ausserkantonaler Staatsanwalt des Untersuchungsamts Uznach zog den Fall aber ans Zürcher Obergericht weiter.
Die Frage der Lebensgefahr
Nach dem Streit des Ehepaars im August 2015, zu dem die Polizei ausgerückt war, hatten andere Mitarbeiter des Zürcher IRM ein Gutachten erstellt. Besondere Bedeutung kam dabei der Frage zu, ob die Frau gewürgt worden war und deshalb möglicherweise Lebensgefahr bestanden hatte. Das wurde im Gutachten aufgrund der ärztlichen Untersuchung bejaht.
Der Verteidiger des Ehemanns gab dann aber zwei Parteigutachten in Auftrag, in denen (ebenfalls) renommierte Rechtsmediziner aus Bern und Deutschland zu einem gegenteiligen Schluss kamen. Das IRM Zürich wurde angewiesen, ein Ergänzungsgutachten zu erstellen. Dieses wurde nun nicht mehr von den ursprünglichen Verfassern, sondern vom Direktor persönlich abgeliefert.
Wegen der sich widersprechenden Aktenlage gab dann das Bezirksgericht Dielsdorf ein Obergutachten bei einem Institut in Österreich in Auftrag. Es kam ebenfalls zu anderen Schlüssen als die Zürcher Rechtsmediziner.
Darauf gestützt wurde der beschuldigte Ehemann vom Bezirksgericht Dielsdorf im September 2017 nach dem Leitsatz «in dubio pro reo» vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens freigesprochen und nur wegen einfacher Körperverletzung verurteilt. Der Rechtsanwalt des Ehemanns reichte im Mai 2018 Strafanzeige gegen die beiden Zürcher Rechtsmediziner ein.
Stauungsblutungen im Auge
Die beiden beschuldigten Rechtsmediziner weisen die Vorwürfe am Berufungsprozess vor Obergericht zurück und halten an ihren Gutachten fest. Es lägen objektive medizinische Befunde vor, die für Stauungsblutungen im Auge und hinter den Ohren sprächen. Und das Vorhandensein von Stauungsblutungen spreche für Lebensgefahr.
Der ausserordentliche Staatsanwalt beantragt je eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten für die beiden Ärzte. Die Rechtsmediziner hätten bei ihrem Ergänzungsgutachten aus sachfremden Motiven gehandelt, um den Ruf des eigenen Instituts zu bewahren. Sie seien dabei befangen gewesen, was ein ideales Biotop für Fehlentscheide sei.
Auch der Anwalt des Privatklägers ist der Auffassung, es sei klar erwiesen, dass das Gutachten absichtlich falsch erstellt worden sei. Er betont mehrfach eine Aussage der Frau, wonach das Würgen nur zwei bis drei Sekunden gedauert habe. Das Gutachten sei unwissenschaftlich, und die Begründung des Freispruchs der Vorinstanz sei willkürlich.
Die Verteidiger der Rechtsmediziner argumentieren hingegen, die Annahme, dass nur eine Expertenmeinung richtig sein könne, sei eine «Triviallogik», die strafrechtlich falsch sei. Diametral gegensätzliche Ergebnisse lägen in der Natur der Sache von Expertengutachten. Entscheidend sei die Frage, weshalb es zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sei. Die Zürcher Ärzte hätten sich dabei ausschliesslich auf objektive Befunde abgestützt.
Beweis für einen Vorsatz nicht zu führen
Das Obergericht bestätigt die Freisprüche. Der Oberrichter Christoph Spiess erklärt, der Gesetzesartikel zum falschen Gutachten sei eigentlich ein «Papiertiger», denn er verlange Vorsatz, und in solchen Fällen sei es sehr schwer, einen Vorsatz nachzuweisen. Es müsste ein eindeutiger Beweis dafür erbracht werden.
Und dies sei nicht möglich, auch ein weiteres Obergutachten könne das Problem nicht klären. Die Frage, ob eine Lebensgefahr bestand, sei bei Delikten von häuslicher Gewalt ja stets ein «Eiertanz». Die Mediziner seien sich selber nicht einig, wie lange ein solches Würgen dauern müsste, um Lebensgefahr zu begründen. Und objektive Befunde seien zuverlässiger als die Aussagen von Betroffenen.
Dass man den Schuldbeweis eines absichtlich falschen Gutachtens nicht führen könne, sei für das Gericht hingegen eindeutig.
Urteil SB230263 vom 28. 6. 2024, noch nicht rechtskräftig.