Die Prämieninitiative der SP würde die Finanzflüsse im Land stark verändern. Je nach Umsetzung mit gravierenden Folgen. Es geht um mehr Geld als im Finanzausgleich.
Entsteht da gerade ein neuer, milliardenschwerer Finanzausgleich? Die SP-Initiative für den Ausbau der Prämienverbilligungen, die am 9. Juni an die Urne kommt, hat das Potenzial, die Geldströme zwischen den Landesteilen markant zu verändern. Vordergründig geht es um Sozialpolitik: um die Subventionierung von mehr oder weniger finanzschwachen Haushalten durch die Allgemeinheit, um die Umverteilung von Reich zu Arm. Im Hintergrund aber könnte sie zu regionalpolitischen Verwerfungen führen.
Die Initiative will nicht nur die Prämienverbilligung erhöhen, sondern gleichzeitig auch den Anteil des Bundes: Heute bezahlt er rund die Hälfte, neu wären es zwei Drittel. Wie das umgesetzt würde, ist nicht sicher. Der Bund geht in seinen Schätzungen aber davon aus, dass die Vorgabe in jedem einzelnen Kanton gelten müsste. Und just bei einer solchen Umsetzung sind beträchtliche neue Querfinanzierungen absehbar – primär von Ost nach West.
Mehr Geld als im Finanzausgleich
Die Mehrausgaben des Bundes betragen laut den offiziellen Schätzungen zunächst etwa 3,7 Milliarden Franken, bis 2030 steigen sie auf 6,5 Milliarden. Bezahlen müsste dies das ganze Land. Die Verteilung aber wäre gemäss den Annahmen des Bundesrats sehr ungleich. In den Genuss der Gelder kämen vor allem die Einwohner der Kantone mit den höchsten Gesundheitskosten: Basel-Stadt, Neuenburg, Tessin und Genf dürften mit rund 1000 Franken pro Kopf rechnen (Stand 2024). Am anderen Ende der Querfinanzierung, in Appenzell Innerrhoden, Nidwalden und Zug, wären es weniger als 25 Franken.
In den sechs Kantonen mit den höchsten Gesundheitskosten leben nur 24 Prozent der Schweizer Bevölkerung, sie würden aber 36 Prozent der Prämienverbilligung des Bundes erhalten. Somit entstünde via Krankenkassen eine neue verdeckte Umverteilung. Der Bund müsste über dieses System mehr Geld an die Kantone ausschütten als im nationalen Finanzausgleich.
Obwohl die Kantone sehr unterschiedlich betroffen wären, ist es ihren Regierungen gelungen, sich hinter den Kulissen zusammenzuraufen. Ihre Position ist klar, die Kantone lehnen die Initiative ab. Eine solche Abstimmungsparole ist nur möglich, wenn sich in der Konferenz der Kantonsregierungen mindestens 18 Kantone dafür aussprechen. Das genaue Resultat ist nicht bekannt; es war zwar nicht einstimmig, aber offenkundig deutlich. Auch einige Kantone, die mit viel Geld rechnen dürften, lehnen die Initiative ab.
Basel könnte profitieren, sagt aber Nein
Das beste Beispiel ist Basel-Stadt. Der kleine Kanton hat die höchsten Gesundheitskosten der Schweiz. Weil er bereits heute viel für die Prämienverbilligung ausgibt, könnte er bei Annahme der Initiative sogar Geld sparen, weil der Bund für ihn in die Bresche springen müsste. Dies zeigen Zahlen des Bundes. Trotzdem lehnt Basel die Initiative ab. Und nicht nur das: Der Basler Regierungsrat Lukas Engelberger ist als Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren einer der wichtigsten Köpfe im gegnerischen Lager. Wie geht er mit dem Zwiespalt um?
Engelberger winkt ab: «Es ist zwar möglich, dass wir bei Annahme der Initiative vorübergehend geringfügig entlastet würden, aber das BAG rechnet in seinen Prognosen längerfristig mit massiven Mehrbelastungen auch für Basel-Stadt.» Die Berechnungen basierten notgedrungen auf vielen wackligen Annahmen. Niemand wisse heute, wie das Parlament die Initiative umsetzen würde.
«Unabhängig davon können wir als Kantone keinerlei Interesse daran haben, dass sich die Finanzlage des Bundes weiter verschlechtert.» Engelberger verweist auf die Kürzungen, die der Bundesrat im Bereich Bildung und Forschung plant – sehr zum Verdruss der Kantone. Sein Fazit: «Wir Kantone müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und für eine ausreichende Prämienverbilligung sorgen, ohne den Bund stärker zur Kasse zu bitten.»
Waadt könnte 275 Millionen sparen
In der Romandie sieht man die Dinge etwas anders. Die Prämienlast ist hier deutlich höher als im Landesdurchschnitt. Das trägt – neben der grundsätzlich höheren Bereitschaft für staatliche Eingriffe – dazu bei, dass die Offenheit für radikale gesundheitspolitische Umwälzungen grösser ist. Die vier Kantone, die 2014 für die Einheitskasse stimmten, stammten allesamt aus der Romandie. Auch beim Urnengang vom 9. Juni ist ein tiefer Röstigraben zu erwarten, zumal die Westschweizer – in absoluten Zahlen – von der SP-Initiative noch stärker profitieren würden als die Basler.
Im Besonderen gilt dies für die beiden grössten Kantone, Waadt und Genf. Sie kennen bereits heute überdurchschnittlich ausgebaute Systeme der Prämienverbilligung. Die Waadt hat einen «10-Prozent-Deckel» eingeführt, der den Initianten gar als mögliches Umsetzungsbeispiel dient. Weil der Bund neu zwei Drittel übernehmen müsste, könnten die Kantone, die bereits heute «grosszügig» sind, bei einem Ja am 9. Juni massiv sparen.
Wie hoch die Budgetentlastung konkret wäre, hinge von der Umsetzung der Initiative ab. Das nationale Parlament hätte einigen Spielraum. Die kantonalen Finanzämter haben aber durchaus bereits erste Schätzungen erstellt: So könnte die Waadt im «besten» Fall 275 Millionen Franken jährlich sparen (Zahlen von 2023), Genf knapp 200 Millionen (Zahlen von 2022).
Sie sagen nicht Ja, aber auch nicht Nein
Kämpfen die Regierungen der beiden Kantone also an vorderster Front für die Initiative? Nein, das nicht. Aber sich dagegen auszusprechen, wie es die Basler machen und die Mehrheit der anderen Kantone erst recht – das geht den Genfern und Waadtländern dann doch zu weit. Der Genfer Staatsrat erklärt auf Anfrage, man gebe keine Abstimmungsempfehlung ab. Solche Positionsbezüge seien «äusserst selten». Ähnlich die Waadt: Weil innerhalb der Regierung keine Einstimmigkeit herrsche und die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen unklar sei, äussere man sich weder zur Initiative noch zum Gegenvorschlag.
Vor drei Jahren tönte es noch anders. Der damalige Waadtländer Staatsrat erachtete die SP-Initiative als «insgesamt vorteilhaft». Sie habe «sehr positive Auswirkungen» für die Versicherten, und auch die Entlastung der Kantonsfinanzen wurde explizit genannt. Warum diese Kehrtwende innert weniger Jahre? Zum einen will man offenbar nach dem klaren Positionsbezug der Kantone nicht allzu sehr ausscheren. Zum anderen werden die Waadt seit 2022 und Genf seit 2023 nicht mehr von einer links-grünen Mehrheit regiert.
Wieder anders ist die Lage in Neuenburg: Der klamme Kanton hat sehr hohe Gesundheitskosten und folglich auch eine der höchsten Prämienbelastungen. Im Vergleich zu Genf, Basel und der Waadt vermag er diese jedoch weniger mit Subventionen abzufedern. Deshalb würde die SP-Initiative für Neuenburg beträchtliche Mehrausgaben bewirken. Laut Schätzungen der Staatskanzlei für 2024 müsste der Kanton 55 bis 65 Millionen mehr bezahlen als heute. Sehr viel mehr – 200 bis 220 Millionen – käme aber vom Bund.
Wenn es denn tatsächlich so weit kommt. Die Bundesgelder könnten grundsätzlich auch anders verteilt werden. Falls die Initiative angenommen wird, dürfte der Verteilkampf unter den Kantonen losgehen. Dass sie es dann immer noch schaffen würden, sich zusammenzuraufen, ist nicht anzunehmen.