Der geplante Umbau der Gesundheitsfinanzierung führt laut den Gegnern zu höheren Versicherungsprämien. Diese These würde nur unter sehr unwahrscheinlichen Annahmen zutreffen.
«Nein zu höheren Prämien.» Das ist die Hauptparole der Gewerkschaften in ihrem Abstimmungskampf gegen die Finanzierungsreform im Gesundheitswesen. Die Behauptung, dass die Reform im Vergleich zum Nichtstun zu höheren Krankenkassenprämien führen würde, soll im Publikum Verunsicherung schüren. Bei einer komplizierten Reform wie dieser kann das sehr wirksam sein – unabhängig vom Realitätsgehalt der Kampfparole.
Der Kern der Abstimmungsvorlage ist eine Änderung des Finanzierungsschlüssels für die im Krankenversicherungsgesetz (KVG) geregelten Gesundheitsleistungen. Dabei geht es um ein Volumen von brutto etwa 50 Milliarden Franken pro Jahr. Die Nettokosten, nach Abzug der Eigenzahlungen der Patienten, betrugen 2022 rund 44 Milliarden.
Zurzeit gehen die Nettokosten für ambulante Gesundheitsdienstleistungen zu 100 Prozent zulasten der Krankenkassen. Bei den stationären Leistungen (mit Übernachtung im Spital) zahlen die Krankenkassen knapp 45 Prozent und die Steuerzahler der Kantone mindestens 55 Prozent. In der Pflege ist es komplizierter. Doch in der Referenzperiode 2016 bis 2019 gingen 54 Prozent der Pflegekosten zulasten der Krankenkassen, den Rest übernahmen die Steuerzahler.
Mit der Reform würden künftig alle genannten Gesundheitsleistungen nach einem einheitlichen Schlüssel finanziert: 72,9 Prozent der Nettokosten schultern die Krankenkassen, den Rest die Kantone. Die geplante Aufteilung entspricht genau der effektiven Aufteilung in der Referenzperiode 2016 bis 2019.
Von stationär zu ambulant
Ob die Reform im Vergleich zum Nichtstun die Prämienzahler der Krankenkassen auf Kosten der Steuerzahler entlastet oder umgekehrt, hängt von der künftigen Entwicklung der Kostenblöcke ab. Steigen die Kosten für ambulante Behandlungen um einen Franken, entlastet die Reform die Krankenkassen um rund 27 Rappen (weil diese statt 100 Prozent künftig nur noch 72,9 Prozent zahlen müssten). Bei den anderen Kostenblöcken müssten die Kassen dagegen künftig einen höheren Anteil zahlen. Bei stationären Behandlungen wären es pro Franken etwa 28 bis 29 Rappen mehr und in der Pflege etwa 19 Rappen.
In den letzten Jahren fiel der Kostenanstieg bei den ambulanten Behandlungen weit stärker ins Gewicht als in den anderen Bereichen. Denn der Kostenblock «Ambulant» ist klar der grösste, und er wuchs wegen des Trends zur Verlagerung von stationär zu ambulant auch sehr stark. So wuchsen die Nettokosten im ambulanten Sektor von 2014 bis 2022 um total gut 8 Milliarden Franken, während der Anstieg bei den stationären Eingriffen und in der Pflege total «nur» 3,2 Milliarden ausmachte.
Der neue Finanzierungsschlüssel hätte bei einer Einführung 2022 die Prämienzahler um gut 500 Millionen Franken entlastet – auf Kosten der Steuerzahler. Setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, würde die Reform im Vergleich zum Nichtstun noch deutlich höhere Entlastungen für die Prämienzahler bringen. Der neue Finanzierungsschlüssel käme für ambulant und stationär ab 2028 schrittweise; ab 2032 wäre auch die Pflege integriert.
Kühner Blick auf 2040
Eine Milchbüchleinrechnung soll hier unter gewissen Annahmen mögliche Entwicklungen bis 2040 abbilden. Den Beginn macht die einfachste Annahme: Die Nettokosten wachsen prozentual pro Jahr künftig gleich stark wie im Mittel von 2014 bis 2022: ambulant um 4,5 Prozent pro Jahr, stationär um 1,5 Prozent und in der Pflege um 4,1 Prozent. (Pro Einwohner lagen die Wachstumsraten jeweils knapp einen Prozentpunkt tiefer.)
Mit dieser Annahme würde die Reform auch 2040 im Vergleich zum geltenden Recht die Prämienzahler um mehrere Milliarden Franken entlasten. Doch die Zukunft ist ungewiss. So könnte man vielleicht mutmassen, dass sich der Trend in Richtung der ambulanten Behandlungen irgendwann abschwächt. Doch selbst wenn man annähme, dass künftig die ambulanten Kosten um einen halben bis ganzen Prozentpunkt pro Jahr weniger steigen als in der jüngeren Vergangenheit und dafür die stationären Kosten stärker zulegten, brächte die Reform immer noch eine deutliche Entlastung der Prämienzahler.
Gut möglich ist, dass die Pflegekosten künftig stärker steigen als jüngst – wegen der Alterung der Gesellschaft und der Zusatzkosten aus der Pflegeinitiative. Eine Analyse des Gesundheitsobservatoriums rechnete für 2040 mit einen Zusatzbedarf an Alters- und Langzeitpflege von 56 Prozent im Vergleich zu 2019. Das entspräche im Mittel einem Mengenanstieg von 2,1 Prozent pro Jahr. Das wäre indes keine grössere Mengenausweitung als jüngst.
Hier ist für die Zukunft der prozentual gleiche jährliche Mengenanstieg und im ersten Schritt auch der gleiche Kostenanstieg in der Pflege wie im Mittel von 2014 bis 2022 angenommen. Zusätzlich ist unterstellt, dass die Umsetzung der Pflegeinitiative die Preise um 20 Prozent erhöht. Der gesamte Anstieg der Nettokosten in der Pflege betrüge damit im Mittel etwas über 5 Prozent pro Jahr. Doch auch mit dieser Annahme zusätzlich zum genannten Negativszenario zu den ambulanten Leistungen wäre für 2040 immer noch eine Prämienentlastung als Folge der Reform zu erwarten – sofern im Szenario ohne Reform der Anteil der Krankenkassen an der Pflegefinanzierung nicht stark sinkt.
Im geltenden Regime belastet ein Anstieg in der Zahl der Pflegebedürftigen automatisch auch die Krankenkassen, da diese pro Pflegepatient einen bestimmten Betrag bezahlen müssen. Diese Beträge sind nach Pflegeintensität abgestuft und werden vom Bund (Innendepartement) festgelegt. Steigen die Pflegepreise, belastet dies derzeit die Versicherten nur dann, wenn der Bund den Krankenkassenbeitrag pro Pflegepatient entsprechend erhöht.
Gäbe es bis 2040 im Szenario ohne Reform selbst bei der hier angenommenen hohen Preissteigerung der Pflege keine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge pro Patient, könnte sich in Kombination mit den anderen genannten Negativannahmen das Bild umkehren: Die Reform brächte 2040 im Vergleich zum Nichtstun wohl höhere Prämien – und eine Entlastung der Steuerzahler.
Doch ein solcher Ausgang ist sehr unwahrscheinlich. Dies auch darum, weil beim angenommenen Anstieg der Pflegekosten unter den geltenden Finanzierungsregeln der Druck zur Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für die Pflege gross wäre. Ironischerweise hatten die Gewerkschaften, die sich im Abstimmungskampf als Hüter der Prämienzahler verkaufen, schon 2023 mit den Arbeitgebern und den Kantonen eine Erhöhung der Pflegebeiträge der Krankenkassen zulasten der Prämienzahler gefordert.
Hinzu kommt: Wird mit der Reform ein einheitlicher Finanzierungsschlüssel beschlossen, dürften Forderungen nach einer Anpassung des Schlüssels zwecks höherer Steuerfinanzierung nur eine Frage der Zeit sein. Je höher das Prämienniveau liegt, desto eher werden solche Forderungen erfolgreich sein.
Hoffnung auf Sparanreize
Die bisherigen Betrachtungen umfassten nur die Umverteilung zwischen Prämienzahlern und Steuerzahlern. Der Hauptantrieb der Reform ist indes die Linderung von Fehlanreizen. Als Folge der höheren Sparanreize wäre eine Verstärkung des Trends zu ambulanten Behandlungen zu erwarten. Das Ausmass ist jedoch ungewiss. Dieser Effekt würde jedenfalls die Bilanz der Reform für die Prämienzahler noch verbessern und wäre zudem auch positiv für die Steuerzahler.
Alles in allem ist es sehr wahrscheinlich, dass die Reform nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig den Prämienanstieg dämpft. Aus Sicht der Steuerzahler ist das Fazit dagegen durchwachsen – doch das scheint derzeit die wenigsten zu interessieren.