Die Zukunft des traditionsreichen Saals in der Kalkbreite ist noch ungewiss. Dasselbe gilt für das schon geschlossene Alba am Central.
Der Üetliberg steht noch, zum Glück, und daran wird sich hoffentlich so schnell nichts ändern. Das von seinem Namen inspirierte Lichtspieltheater aber ist der sterbende Beweis dafür, wie sehr die Kinowelt wankt: Das Uto an der Zürcher Kalkbreite schliesst im März für immer seine Tore. Auch eine von zehntausend Leuten unterschriebene Petition zur Rettung konnte daran nichts ändern.
Damit stellt das älteste noch betriebene Kino der Stadt und eines der charaktervollsten seinen Dienst ein. Es endet ein Stück Kultur – samt einem der letzten funktionstüchtigen 35-Millimeter-Projektoren weit und breit – und eine fast hundertjährige Geschichte. Im letzten Drittel dieser Zeit hat Simon Schwendimann hier gewirkt, jahrelang auch als Leiter. Vor einer Nachmittagsvorstellung des Meisterwerks «Anatomie d’une chute» versinkt er mit dem Journalisten in den roten Polstern und lässt die Jahrzehnte Revue passieren.
Zunächst Zürichs billigstes Kino
Doch zunächst zurück zu den Anfängen. Als im November 1927 im Parterre eines fünfstöckigen Wohnneubaus ein Lichtspieltheater eröffnet wird, beides errichtet vom Bauherrn und Architekten Fritz Fischer, wird es als «Zürichs billigstes Kino-Theater» angepriesen. Das Uto soll namentlich den Arbeitern der umliegenden Wohnquartiere Zerstreuung bieten; am preisgünstigsten sind die Stehplätze auf der Empore, wo man schon ab 50 Rappen dabei ist.
Es sind die Pionierzeiten, in denen Film und Ton noch nicht recht zusammengefunden haben: In einer Anzeige aus dem Jahr 1928 wird für die eigene Hauskapelle geworben, die den «ventilierten Saal» in Schwingungen versetzt. Genau vierzig Jahre später, im revolutionären 1968, werden neue Besitzer die ursprünglich auf Stummfilme ausgelegte Stätte mit einem Grossumbau in die neue Ära führen. Vorübergehend prägen Heimatfilme das Programm, bald sind es Studiofilme und Reprisen, als Georg Derungs das Haus übernimmt. Er wird der letzte verbliebene Kinoalleinbesitzer der Stadt sein, als er das Studio Uto 2013 der Arthouse Commercio Movie AG übergibt, die es sanft renovieren lässt.
Der 1962 in Thun geborene Simon Schwendimann, ausgebildet zum Volksschullehrer, hat Regieerfahrung am damaligen Zürcher Theater Coprinus gesammelt und von einer Karriere als Filmemacher geträumt, als er im Kino Uto landet: Hier macht er Anfang der neunziger Jahre die Ausbildung zum Operateur. Damals ist das noch ein richtiges Handwerk, und bald wird er zur Seele und zur Stimme des Hauses, die später auf dem Telefonbeantworter festhalten wird: «Für alle Filme sind keine Reservationen nötig, das Kino ist nie ausverkauft.» Er bedient auch die Kasse – bei Ticketpreisen von noch knapp 9 Franken – und sorgt dafür, dass dieses Kino bis zum Ende eine popcornfreie Zone bleibt.
Eine stadtweite Exklusivität
Heute präsentiert sich das Uto, dieses Kind der Roaring Twenties, als stimmiger Mix der Epochen – eine einzigartige Kreuzung aus Geisterbahn (die Wände sind mit schwarzen Schallschutzelementen verkleidet), Tempel, Turn- und Vorführhalle. Drinnen wie draussen zeugen Art-Déco-Schmuckelemente und Anleihen beim Expressionismus von der Gründungszeit, erst später entstanden Elemente wie das zitronenfaltergelbe Foyer mit einem Himmelszelt als Decke.
Eine stadtweite Exklusivität ist die früher durchaus verbreitete Möglichkeit, direkt vom Kinosaal aus die Toiletten aufzusuchen. Neben der Treppe zu diesen scheinen Seifenschalen in die Wände integriert zu sein – es dürfte sich eher um Aschenbecher handeln: Hier deponierte man wohl, als bei Filmvorführungen noch munter gepafft wurde, die brennenden Zigaretten vor dem Wasserlassen, um sie danach weiterzurauchen.
Im Strassenbild fallen die ochsenblutrot gestrichenen Türen und die Schaukästen mit Filmtiteln in grossen, weissen Styropor-Lettern auf. Das Wahrzeichen der denkmalgeschützten Liegenschaft aber ist die in Stein gehauene Fratze an der Hausecke mit Blick zum Üetliberg. Dieser wurde literarisch auch «Uto» genannt, wie eine altägyptische Göttin, was sich heute noch im Uto Kulm und im Utoquai spiegelt. Der Name des Zürcher Hausbergs dürfte zurückgehen auf den alemannischen Namen Uotilo, und wer will, kann in der zornigen Fratze eine in Stein gehauene germanische Gottheit sehen. Andere Kinos plünderten einst lieber die römische Mythologie, von Apollo bis Merkur .
Ein Haus voller Geschichten
Schwendimann erzählt mit traurigen Augen von der Geschichte des Hauses; sie beginnen zu leuchten, wenn er das Filmprogramm rekapituliert. Prägend waren Reprisen wie jene von «Taxi Driver» (1976): 1992 erhielt Scorseses meisterhaftes Frühwerk hier ein ganzes Jahr lang ein zweites Leben im Vorabendprogramm – und zog laut Schwendimann fast immer Dutzende von Zuschauern an. Weder DVD noch Streaming machten den Kinos damals Konkurrenz bei solchen Zweitverwertungen.
In jener Zeit organisierte die tamilische Diaspora, wie er sich erinnert, im Uto auch regelmässig Vorführungen mit Filmen aus der Heimat. Sie zogen die Landsleute aus der ganzen Schweiz in Scharen an, meist sonntagmorgens oder in Nocturnes. Das Interesse schwand, als ein Pay-TV-Angebot diesen Bereich abdeckte, dessen Monatspreis kaum höher war als ein Kinoeintritt. Das Gemeinschaftserlebnis allerdings liess sich damit nicht ersetzen.
Daneben wurde der Bogen zu anderen Kulturformen geschlagen, nicht nur in der Reihe «Uto Kult» der Künstlerin Stella Glitter. Einmal sang Sophie Hunger auf der Bühne, und als sie den Kulturpreis der Stadt Zürich erhielt, fand die Übergabe auf ihren Wunsch im Uto statt. Im Haus selbst wohnten schon diverse Filmschaffende, von Anna Luif bis zu Lorenz Suter, dem es dann gar als Drehort für seinen Debütfilm «Strangers» (2018) diente. Er hauste in der 1-Zimmer-Wohnung, zu der das ursprüngliche Balkon-Foyer umfunktioniert worden war, und durch die dünne Wand drangen jeweils die Geräusche des gerade gezeigten Films, wie er im Gespräch einmal erzählt hat.
Kommt eine Multimedia-Show?
Totgesagt worden ist das Kino Uto schon oft: «Seit ich da bin, geht jährlich das Gerücht um, es gehe bald zu», sagt Schwendimann. Nun aber werden die Unkenrufe von der Realität eingeholt. Die PK Rück unterzieht die Liegenschaft einer Gesamtsanierung, die weit über eine Auffrischung der heruntergekommenen Fassade hinausführt, und will danach ohne Kino wirtschaften. Gewiss ist ein solches mit den Anforderungen eines Wohnhauses schwer in Einklang zu bringen, und Rentabilitätssteigerung dürfte auch eine Rolle spielen: Zur künftigen Monatsmiete kursiert die Zahl von ungefähr 13 000 Franken, was deutlich höher läge als bisher.
Die Arthouse-Gruppe selbst hatte sich um eine cineastische Zukunft am gut frequentierten Standort bemüht und ein Projekt vorgelegt, das ans nahe Riffraff erinnert: Der Balkon wäre zur Bar geworden, durch deren Scheibe der gerade im Saal laufende Film geschienen hätte. Die PK Rück stieg nicht darauf ein, kündigte aber vor Jahresfrist an, den Saal zu erhalten und «einen Mieter aus dem Kulturumfeld» mit einem «Konzept zugunsten des Quartiers» zu suchen. Auf Anfrage teilt die Versicherungsgesellschaft nun mit, zur künftigen Nutzung noch immer keine verbindliche Angaben machen zu können.
Das lässt Raum für Mutmassungen: Die im Gespräch gewesene Idee für einen Escape-Room ist offenbar wieder vom Tisch. Laut gut informierten Kreisen dürfte am ehesten ein Ausstellungsort für multimediale Gemälde-Shows entstehen, wie etwa die Lichthalle Maag sie zu Monet oder van Gogh gezeigt hat.
Ein letztes Aufflackern
Schwendimann wird weiter bei der Arthouse-Gruppe tätig sein und zudem das winzige Kellerkino in Bern führen, das er 2009 übernommen hat. Es kann sich in einem der Untergeschosse unter den Lauben mitten in der Bundesstadt nur dank einem Mini-Mietzins halten, wie er festhält. Werden Studiokinos bald reihenweise sterben ohne Subventionen, wie sie in der Zürcher Politik zurzeit ein Thema sind? Einzelsäle wie das Le Paris könnten sich ohne «eine gewisse Unterstützung» nur noch schwer halten, sagt er: «Die Zahl von Konkurrenzangeboten aller Art ist halt explodiert.»
Für die letzten Wochen hat Schwendimann einen Abschiedsreigen unter dem Motto «Farewell Uto» kuratiert, mit Filmen, die in seiner Zeit hier liefen. So wird bis am 24. März das reguläre Programm ergänzt um Werke wie David Lynchs phänomenales «Wild at Heart», den Überraschungserfolg «Little Miss Sunshine», im Uto der Kassenschlager dieses Jahrtausends, und Virginie Despentes’ skandalträchtiges «Baise-moi» (2000) voller Gewalt und Sex. Er selbst habe das damals nicht gerade als Meisterwerk empfunden, aber inzwischen sei das ja ein Kultfilm, sagt er.
So lässt das Kino Uto, wie es dies immer tat, in diesen Tagen noch einmal die ganze Bandbreite cineastischer Gefühle aufflackern, von Abscheu über tiefe Rührung bis zu höchstem Vergnügen.
Was geschieht mit dem Kino Alba?
urs. Schon seit einigen Wochen geschlossen ist in Zürich das 1951 als Variété-Theater konzipierte Kino Alba. Etwas verloren fristete es in den letzten Jahren beim Central in aller Schönheit sein Mauerblümchendasein, so dass die Arthouse-Gruppe es aufgab. Wie geht es dort weiter? Laut Eric Fassbind von der Besitzerfamilie des Hauses, die darin das Hotel «Swiss Chocolate by Fassbind» führt, haben sich die Hoffnungen auf eine Wiederbelebung mit kulturellen Inhalten zerschlagen.
Er habe zahlreiche Betreiber von grossen und kleinen Kinos angefragt, aber auch von Theatern und Opern, darunter bekannte Häuser in der Schweiz. Doch es bestehe offenbar kein Interesse, vor allem, weil Gastroflächen fehlten und die Infrastruktur mangelhaft sei. Sehr grosses Interesse gezeigt habe eine deutsche Supermarktkette, doch eine solche Nutzung komme für ihn nicht infrage. «Sehr wahrscheinlich wird der Saal in der Zukunft zu den öffentlichen Räumlichkeiten des Hotels gehören», hält Fassbind fest: Man könnte den Eingang auf diese Seite verlegen und den Empfang und den Frühstücksraum dort einrichten, während im oberen Stock neue Zimmer entstünden. Zurzeit sei man an Abklärungen mit den Ingenieuren und der Stadt, und bis zum Baubeginn gebe es womöglich eine Zwischennutzung mit kleinen Anlässen und Festivals.