Noch knapp vier Monate, dann rollt der Ball bei der Fussball-EM in Deutschland. Für Deutschlands grosse Sportartikelhersteller geht es um viel: Wie attraktiv sind Adidas und Puma nach den jüngsten Börsenenttäuschungen?
Es geht doch nichts über eine gute sportliche Rivalität: Roger Federer vs. Novak Djokovic, Lionel Messi vs. Cristiano Ronaldo oder Real Madrid vs. FC Barcelona. Wenn die Schweizer Nationalmannschaft bei der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland am 23. Juni auf den Gastgeber trifft, geht es nicht nur um das Weiterkommen ins Achtelfinale, sondern auch um die Rivalität der Sportartikelhersteller Adidas und Puma, die die beiden Teams ausstatten.
Was in der Welt des Sports Millionen Fans rund und den Erdball elektrisiert, ist auch an der deutschen Börse seit Jahren ein Duell zwischen den beiden Sportartikelunternehmen. Besondere Brisanz erhält der Wettkampf der beiden bayerischen Konzerne durch ihre Geschichte, die bereits Stoff für manche Verfilmung war: Adidas und Puma sind schliesslich im wahrsten Sinne des Wortes Bruderkonzerne.
Die Geschichte begann in den frühen Zwanzigerjahren in der kleinen deutschen Stadt Herzogenaurach, als die Brüder Adolf (Adi) und Rudolf (Rudi) Dassler in der Waschküche ihrer Mutter anfingen, Sportschuhe herzustellen. Die Brüder gründeten 1924 gemeinsam die Gebrüder Dassler Schuhfabrik, die sich schnell einen Namen für die Herstellung hochwertiger Sportschuhe machte. Für erste internationale Aufmerksamkeit sorgte die Ausstattung der deutschen Athleten bei den Olympischen Spielen 1928 und 1936 mit Dassler-Schuhen.
Bruderstreit führt zur Gründung von Adidas und Puma
Trotz des anfänglichen Erfolgs kam es zwischen den Brüdern zu Spannungen, die während des Zweiten Weltkrieges eskalierten und 1948 schliesslich zur Aufteilung der Firma führten: Adi Dassler gründete Adidas (eine Kombination aus seinem Spitznamen Adi und den ersten drei Buchstaben seines Nachnamens), während Rudi Dassler Puma gründete. Das ursprünglich mit dem Namen Ruda gegründete Unternehmen wurde kurz darauf nach der agilen Puma-Katze umbenannt.
Nach der Trennung entwickelten sich beide Unternehmen schnell zu zwei der bekanntesten und erfolgreichsten Sportbekleidungsmarken der Welt. Als Schlüsselmoment für Adidas gilt die Fussball-Weltmeisterschaft 1954 («Das Wunder von Bern»), bei der die deutsche Nationalmannschaft, ausgestattet mit Adidas-Schuhen, sensationell den Titel gewann. Der spektakuläre WM-Sieg verhalf Adidas zu weltweiter Anerkennung.
Puma sicherte sich ebenfalls Prestigeerfolge – etwa mit der Ausstattung der brasilianischen Fussballlegende Pelé, der während der Fussball-Weltmeisterschaft 1970 in Puma-Schuhen spielte und damit die Marke auf der globalen Bühne prominent machte. In der Folge experimentierten Adidas und Puma bei ihren Produkten mit innovativen Designs und Technologien, womit sie in der Popkultur einen nachhaltigen Fussabdruck hinterliessen (wie im Kulthit «My Adidas» von Run-DMC).
Verpatzte Stabübergabe führt zu tiefer Krise in den Neunzigerjahren
Doch nach der verpatzten Stabübergabe an die nächste Generation folgten in beiden Fällen im Verlauf der Neunzigerjahre bittere Krisenphasen, die jeweils im Verkauf der Dassler-Erben endeten. Ausländische Investoren erkannten den Wert der weltbekannten deutschen Markenkonzerne und erwarben Mehrheitsanteile, nur um sie später zu veräussern.
Bei Puma griff 1990 die schwedische Private-Equity-Gesellschaft Proventus/Aritmos zu, die ihre Anteile 2007 – nach höchst erfolgreicher Restrukturierung – dem Luxusgüterriesen Kering verkaufte. Dieser schmiss seine Anteile 2018 mehrheitlich auf den Markt. Adidas wiederum ging durch die Hände der berühmt-berüchtigten französischen Unternehmer Bernard Tapie (1992) und Robert Louis-Dreyfus (1994), ehe 1995 der Gang an die Börse folgte.
Bemerkenswert ist in beiden Fällen die Zyklizität des Geschäftsverlaufs: Bei Adidas und Puma prägen regelrechte Ären die Entwicklung, die am Ende einer Achterbahnfahrt glichen. Nach der Beinahepleite in den frühen Neunzigerjahren erlebte Puma unter dem Jung-Manager Jochen Zeitz, der als Dreissigjähriger den CEO-Posten übernahm, eine Dekade lang einen regelrechten Boom, der mit der Eingliederung in den Gucci-Konzern Kering verebbte.
Unter eigener Regie setzte die Raubkatze dann wieder zum grossen Sprung an, um 2021 an der Börse gar neue Allzeithochs zu markieren. Adidas verzeichnete seit dem IPO 1995 einen stetigen Aufstieg, der jedoch gleich mehrfach von Dellen mit Kurshalbierungen unterbrochen wurde – zunächst zum Ende der Amtszeit von CEO Herbert Hainer Mitte der Zehnerjahre, dann aber auch unter Kasper Rorsted 2022.
2024: Adidas und Puma wieder im Krisenmodus
2024 sind die beiden deutschen Sportpioniere im Krisenmodus: Vier Monate vor Beginn der Fussball-Europameisterschaft im eigenen Land suchen beide Aktien nach der Form, wie der Fehlstart ins neue Börsenjahr beweist. Die Adidas-Titel starteten mit Verlusten ins neue Börsenjahr, konnten sie im Februar aber immerhin aufholen…
…während die Anteilscheine des gerade einmal zwei Kilometer entfernten Bruderkonzerns seit Anfang Januar um 14% im Minus notieren.
Auslöser ist in beiden Fällen die enttäuschende Geschäftsentwicklung. Adidas, die seit Jahrzehnten den amtierenden Weltmeister Argentinien ausstattet (wichtigste Absatzquelle: Trikots von Lionel Messi), hat die massive Abwertung des Pesos die vorläufige Bilanz für 2023 verhagelt. Und nicht nur das: Der Dax-Konzern leidet immer noch unter den Folgen der beendeten Kooperation mit Skandal-Rapper Kanye West. Immerhin werden seine Yeezy Sneakers nun nicht mehr abgeschrieben, sondern kostendeckend verkauft.
Konzernchef Bjørn Gulden, von Puma abgeworben und seit rund einem Jahr als CEO im Amt, konnte vor wenigen Wochen immerhin noch einen Konzerngewinn von 268 Mio. € für das Jahr 2023 vermelden – statt eines erwarteten Verlusts. Indes: Im vorherigen Geschäftsjahr hatte der Dreistreifenkonzern noch ein sattes Plus von 669 Mio. € eingefahren. Auch der Umsatz befindet sich im Abwärtstrend: Mit einem Erlös von 21,4 Mrd. € betrug das Minus im vergangenen Jahr 5%.
«Natürlich wissen wir, dass unsere Finanzergebnisse nicht gut sind», räumte Gulden Ende Januar vor Analysten zerknirscht ein. Auch 2024, das mit EM und den Olympischen Spielen eigentlich maximalen Rückenwind bietet, dürfte eher zum Übergangsjahr werden: Gulden stellte ein Umsatzplus von lediglich 5% und einen Konzerngewinn von immerhin 500 Mio. € in Aussicht – erst für 2025 sei die Rückkehr zu zweistelligem Umsatzwachstum zu erwarten. Analysten rechnen 2024 mit einem Umsatz von 22,56 Mrd. €, was einem Plus von 5,4% entspricht, und einem Gewinn je Aktie von 2.97 €.
Puma: bitterer Fehlstart 2024
Ähnlich stark fielen die Rückschläge bei Puma aus. Der kleinere Herzogenauracher Konzern informierte die Anleger ebenfalls Ende Januar vorläufig über eine schwächere Geschäftsentwicklung – primär wegen der Abwertung des Pesos. Das Umsatzwachstum kam mit einem erwarteten Plus von nur noch 1,6% auf 8,6 Mrd. € praktisch zum Erliegen, das Konzernergebnis halbierte sich auf etwa 305 Mio. €. Im vierten Quartal verbuchte Puma gar einen Umsatzrückgang von knapp 10% auf knapp 2 Mrd. €.
Wie es 2024 weitergeht, erscheint nach dem vagen Ausblick fraglich. Zwar stellte der seit Ende 2022 amtierende neue CEO Arne Freundt ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich in Aussicht, vermied jedoch Aussagen in der Berichtswährung Euro. 2023 hatte das währungsbereinigte Umsatzwachstum noch 6,6% betragen. 2024 drohen auf Eurobasis sowohl eine Erlös- und als auch eine Gewinnstagnation.
Entsprechend harsch reagierten die Anleger auf die Hiobsbotschaften und schickten die Puma-Aktie zweistellig auf Talfahrt. Bei einem Kurs von derzeit etwas über 40 € notieren die Anteilscheine des gemessen am Umsatz drittgrössten Sportartikelherstellers der Welt derzeit nur knapp über den Ende Januar aufgestellten Sechsjahrestief von 37 €.
Der Kurssturz gegenüber dem Ende 2021 aufgestellten Allzeithoch beträgt damit fast zwei Drittel. Aber auch kurzfristig ist der Einbruch happig: Noch Anfang Dezember leuchteten auf den Kurstafeln Notierungen von mehr als 60 € auf – der Abschlag betrug also binnen drei Monaten fast 35%. Derzeit wird Puma an der Börse mit lediglich noch 6,4 Mrd. € bewertet.
Puma-Aktie mit interessantem Chance-Risiko-Verhältnis
Bietet der heftige Ausverkauf aus Contrarian-Sicht nun eine Einstiegsgelegenheit?
Analysten äusserten sich zuletzt zuhauf skeptisch. Nach der Gewinnwarnung vor wenigen Wochen stuften zahlreiche grosse Banken die Puma-Aktie herab und strichen die Kursziele teilweise drastisch zusammen. Royal Bank of Canada (RBC) etwa senkte das Kursziel von 64 auf 42 €, UBS von 60 auf 41 €, während JPMorgan die Titel in zwölf Monaten statt bei 58 bei nur noch 50 € sieht. «Der Puma ist nicht mehr die schnellste Katze», kanzelte der RBC-Analyst den MDax-Konzern ab.
Die bärische Gemengelage macht eine antizyklische Positionierung attraktiv, wenn man die nötige Geduld mitbringt und davon ausgeht, dass die Weltwirtschaft nicht in die Rezession abgleitet. Gemessen an historischen Vergleichen bietet Puma ein interessantes Chance-Risiko-Verhältnis für Contrarians.
Das Kurs-Umsatz-Verhältnis, das angesichts der volatilen Gewinnentwicklung eine verlässlichere Kennzahl ist, liegt mit derzeit 0,72 auf historisch niedrigem Niveau. Letztmals wies Puma während der Finanzkrise und im Krisenjahr 2015 eine ähnlich günstige Bewertung auf. Analysten rechnen 2024 zudem mit einem Gewinn je Aktie von 2.51 €, was einem moderaten KGV von 16 entspricht.
Adidas: deutlich höher bewertet, aber nicht ärmer an Herausforderungen
Adidas weist unterdessen eine sportlichere Bewertung auf: Der nach Nike zweitwertvollste Sportartikelhersteller ist mit 31,5 Mrd. € derzeit fünfmal so viel wert wie Puma. Gemessen am Kurs-Umsatz-Verhältnis (1,4) ist er fast doppelt so teuer wie Puma. Beim vorausschauenden KGV, das bei Adidas (55) wegen der volatilen Gewinnentwicklung einen Übergangswert darstellt, geht die Schere (Puma-KGV: 16,5) gar noch weiter auf.
Nicht zuletzt aufgrund der Historie und der festen Verankerung der Marke Adidas in der Welt des Sports ist die Börse bereit, dem Dax-Konzern einen satten Bewertungsaufschlag zu gewähren – doch ist eine doppelt (Umsatz) bzw. fast viermal (Gewinn) so hohe Bewertung wie für Puma gerechtfertigt? Die durchwachsene Geschäftsentwicklung von Adidas und der immer härtere Konkurrenzkampf mit Branchenprimus Nike sprechen dagegen.
Puma besitzt zudem den Joker, auch abseits des klassischen Sportgeschäfts punkten zu können, etwa mit dem Lifestyle-Sektor. Er konnte der Marke mit der Raubkatze in den Nuller- und den Zehnerjahren zusätzlichen Glanz verleihen. Aussrdem erscheint eine Turnaround-Wette auch nach der Arithmetik aussichtsreicher: Angesichts des zweieinhalbmal kleineren Umsatzes würde ein Anziehen der Geschäfte bei Puma einen stärkeren Nachhall in der Bilanz – und mutmasslich im Kurs – hinterlassen als bei Adidas. Aktionären wird der Einstieg zusätzlich mit einer Dividendenrendite von knapp 2% versüsst (Ausschüttung: 0.82 €).
Wer sich also auf das Spielfeld der Sportartikelhersteller begeben möchte, besitzt mit der Puma-Aktie mehr Aufwärtspotenzial als mit dem arrivierteren und weitaus höher bewerteten Bruderkonzern, dessen Herausforderungen kaum kleiner erscheinen.