Der Bund muss innert zehn Jahren mit einer Erhöhung der jährlichen Ausgaben um total 20 bis 25 Milliarden Franken rechnen. Was tun?
Lobbyisten, die an die Bundeskasse wollen, haben ein Idealszenario: die Festschreibung von Bundesausgaben für die eigenen Hobbys in einem Gesetz oder noch besser in der Bundesverfassung. Der Jargon spricht von «stark gebundenen» Ausgaben. Solche Ausgabenposten müssen im jährlichen Budgetprozess des Parlaments nicht in die mühselige Konkurrenz mit den unzähligen anderen guten Zwecken. Und via Volksabstimmung sind Ausgabenkürzungen nur schwer durchzubringen.
Der ordentliche Bundeshaushalt umfasst zurzeit rund 80 Milliarden Franken pro Jahr. Schon etwa zwei Drittel der Bundesausgaben sind «stark gebunden», Tendenz weiter steigend. Kurzfristige Sparprogramme sind deshalb auf das verbleibende Drittel der «schwach gebundenen» Ausgaben fokussiert.
Mehrausgaben programmiert
Der Traum von Lobbyisten hat noch ein zweites Element: die Festschreibung von Ausgaben in einer Art, die ein laufendes Ausgabenwachstum programmiert. Das bedeutendste Lehrbuchbeispiel liefert die AHV.
Zum einen fliesst ein Mehrwertsteuerprozent in die AHV. Die Mehrwertsteuereinnahmen wachsen etwa im Einklang mit der Volkswirtschaft, die Bundessubventionen wachsen so mit. Und noch besser für die Subventionsfreudigen: Der Bund zahlt nebst Steueranteilen 20,2 Prozent der gesamten Jahresausgaben der AHV. Die Ausgaben der AHV steigen wegen der wachsenden Rentnerbevölkerung deutlich stärker als die Volkswirtschaft, und das gilt damit auch für die Bundessubventionen.
Die AHV ähnelt für die Staatskassen einem Fass ohne Boden. Das Vorsorgewerk erhielt im Jahr 2000 gut 7 Milliarden Franken an staatlichen Subventionen. 2022 zahlte der Bund schon rund 13 Milliarden Franken für die AHV, was etwa einem Sechstel des gesamten Bundeshaushalts entsprach. 2033 dürften es laut Bundesschätzung von 2023 bereits etwa 19 Milliarden Franken sein. Dieser Betrag steigt in den folgenden Jahrzehnten noch stark weiter.
Mit der jüngst beschlossenen Rentenerhöhung steigen die Kosten für die AHV ab 2026 noch zusätzlich um etwa 5 Milliarden Franken pro Jahr. Wird je die Hälfte dieser Zusatzkosten durch Erhöhung der Lohnbeiträge und durch Zusatzsubventionen des Bundes gedeckt, muss der Bund 2033 schon gegen 22 Milliarden Franken in die AHV stecken – rund 9 Milliarden mehr als 2022.
Und die nächste teure AHV-Volksinitiative ist schon unterwegs: Die Mitte-Partei reicht diese Woche die Unterschriften für ihre Initiative ein, welche eine starke Erhöhung der Ehepaarrenten fordert. Dies würde die AHV gegen 3 Milliarden Franken pro Jahr zusätzlich kosten.
Mehr Prämiensubventionen
Auch im Gesundheitswesen tickt eine finanzpolitische Zeitbombe. Eine SP-Volksinitiative, die einen starken Ausbau der staatlichen Verbilligung der Krankenkassenprämien fordert, kommt diesen Juni an die Urne. Die Vorgabe der Initiative: Die Versicherten müssen höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens als Krankenkassenprämien für die Grundversicherung zahlen.
Die genaue Art der Umsetzung wäre offen. Doch der Bund rechnet aufgrund von Umsetzungsannahmen der Initianten damit, dass dies dem Staat aufgrund der Daten von 2020 jährlich Mehrkosten von 4,5 Milliarden Franken brächte. Laut der Initiative müsste der Bund total mindestens zwei Drittel der Prämienverbilligung finanzieren, was deutlich über dem derzeitigen Anteil von rund der Hälfte liegt. So ginge der grösste Teil der Zusatzkosten zulasten des Bundes.
Die Gesundheitskosten und die Krankenkassenprämien steigen stärker als die Volkswirtschaft. Hauptgründe sind die Alterung der Gesellschaft, die Zunahme der Nachfrage mit steigendem Wohlstand, teure neue Behandlungsmethoden und verbreitete Fehlanreize. Seit dem Jahr 2000 stiegen die Krankenkassenprämien in der Grundversicherung im Mittel um 3,6 Prozent pro Jahr, während die Volkswirtschaft um nominal 2,4 Prozent pro Jahr wuchs.
Wachsen die Krankenkassenprämien künftig im Mittel pro Jahr um einen Prozentpunkt stärker als die Volkswirtschaft, würde ein Erfolg der Volksinitiative den Bund im Jahr 2025 laut Regierungsschätzung rund 5 Milliarden Franken zusätzlich kosten. 2030 wären es schon 6,5 Milliarden, und in den Folgejahren ginge das Kostenwachstum im gleichen Stil weiter. Anzunehmen ist überdies, dass der starke Ausbau der Prämienverbilligungen die Sparanreize im Gesundheitswesen deutlich senken würde. Auch die Prämienverbilligung bekäme für die Bundeskasse den Charakter eines Fasses ohne Boden.
Kuriose Anbindung an das BIP
Auch bei der Armee steht ein starkes Ausgabenwachstum an. Das Parlament will bis spätestens 2035 die Armeeausgaben auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) heben, was im Vergleich zu 2023 einer Erhöhung der jährlichen Kosten um etwa 5 Milliarden Franken entspräche. Sicherheitspolitisch ergibt die Anbindung der Armeeausgaben ans BIP keinen Sinn. Doch nebst dem aussenpolitischen Marketing ermöglicht sie einen laufenden Anstieg der Armeeausgaben über die allgemeine Teuerung hinaus.
Zusammen könnten AHV, Prämienverbilligungen und Armee den Bund in zehn Jahren aufgrund schon beschlossener oder diskutierter Vorgaben etwa 20 bis 25 Milliarden Franken pro Jahr mehr kosten als heute. Das brächte eine massive Einschränkung der Spielräume für künftige neue Prioritäten der Politik – oder massive Steuererhöhungen.
Wenn alle Ausgabenposten im Einklang mit dem BIP wachsen, bringt dies den Bundeshaushalt noch nicht aus dem Gleichgewicht: Die Steuereinnahmen nehmen ungefähr im Einklang mit der Volkswirtschaft zu. Doch zu jedem Zeitpunkt hat ein Land strategische Prioritäten und will deshalb dort überdurchschnittlich viele zusätzliche Mittel einsetzen. Das bedingt, dass andere Ausgabenposten unterdurchschnittlich oder gar nicht wachsen. Je höher der Anteil der Ausgaben liegt, die nicht nur im Niveau, sondern auch im künftigen Wachstum schon fest verankert sind, desto geringer sind die künftigen Entscheidungsspielräume.
Das harte Festschreiben des künftigen starken Ausgabenwachstums à la AHV, Gesundheitswesen und Armee ist für die Finanzpolitik etwa gleich zu betrachten wie der CO2-Ausstoss für die Klimapolitik: als «Umweltverschmutzung», die den Verursachern dienen mag, aber zulasten vieler anderer geht.