Der Freiburger nimmt die erste Hürde für die Wahl zum Generalsekretär. Der frühere Bundesrat wirbt mit seinem globalen Netzwerk.
Rückblickend klingt es wie ein Werbespruch in eigener Sache. Der Europarat sei im Jahr 1949 gegründet worden, um das kriegsversehrte Europa aufzurichten und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu schaffen. Seine Werte seien heute wichtiger denn je, für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sagte Alain Berset am 5. Mai 2023 anlässlich des Europatages als Bundespräsident.
Heute feiern wir den #Europarat. 1949 gegründet, um das kriegsversehrte Europa aufzurichten und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu schaffen, sind seine Werte und unser Engagement wichtiger denn je. Für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. @coe #Europatag
— Alain Berset (@alain_berset) May 5, 2023
Nun ist Berset auf bestem Weg, Generalsekretär der Organisation zu werden. Am Montag hat das Ministerkomitee des Europarats seine Kandidatur der parlamentarischen Versammlung unterbreitet. Das Aussendepartement (EDA) begrüsste den Entscheid auf der Plattform X. In den vergangenen Monaten hatte der Freiburger intensiv für seine Kandidatur geweibelt. Vier Mal besuchte er Strassburg, den Sitz der zwischenstaatlichen Organisation. Für seine Wahlkampagne reiste er auch in die Nachbarländer der Schweiz sowie nach Polen, in die Ukraine und die Moldau.
Zwar entschied sich das Ministerkomitee, der parlamentarischen Versammlung alle drei Kandidaten vorzulegen. Neben Berset sind das der Belgier Didier Reynders (65), ein EU-Kommissar, der schon einmal Generalsekretär werden wollte, und Indrek Saar (51), ein früherer estnischer Kulturminister. Letztgenannter ist der am wenigsten profilierte Kandidat, aber wie Berset Sozialdemokrat. Trotzdem sind die Chancen des 52-jährigen Schweizers gut: Er steht zuoberst auf dem Dreierticket, wie eine Sprecherin des Europarats auf Anfrage bestätigte.
Internationale Statur stärken
Berset wollte bis anhin nicht mit den Medien über seine Kandidatur sprechen. In einer Wahlbroschüre zuhanden von Parlamentariern des Europarats legt er aber seine Prioritäten offen. Für Schweizer Verhältnisse präsentiert sich der Altbundesrat unbescheiden. Die Broschüre illustriert er mit dem Bild einer Debatte im Uno-Sicherheitsrat, die er in seinem letzten Präsidialjahr 2023 präsidierte.
Im Bundesrat galt Berset neben der amtierenden Finanzministerin Karin Keller-Sutter als eine der starken Figuren. Nun verkauft er sich als «Schweizer Staatsmann», der mit seiner Regierungserfahrung eine nachgewiesene Erfolgsbilanz mitbringe. Er wirbt mit seinem umfangreichen Netzwerk von globalen Spitzenkontakten, die entscheidend seien, um die internationale Statur und den Einfluss des Europarats zu stärken. Er verfüge über viel Erfahrung in der Leitung komplexer Organisationen. Als talentierter Verhandlungsführer und Kommunikator habe er ein ausgeprägtes Gespür für Taktik. Die Werte des Europarats seien für ihn als Politiker stets im Zentrum gestanden.
Als erste Priorität für die Organisation nennt Berset die Ukraine. Er wolle sich für die Wiederherstellung eines freien, wiederaufgebauten Landes einsetzen. Der Europarat solle sich in der Diskussion über die Wiedergutmachung von Schäden, die durch den russischen Angriffskrieg entstanden seien, stärker einbringen.
Viel Unterstützung und ein scharfer Kritiker
Das EDA unterstützt Bersets Wahlkampagne. Es arbeitete mit diesem und der Verwaltung die Strategie aus, erstellte Werbematerial und organisierte Reisen und Treffen. Der Bund übernimmt auch die Spesen des Freiburgers. Der Europarat bleibe für die Schweiz die wichtigste Organisation, um in Europa Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu fördern, sagt der EDA-Sprecher Valentin Clivaz. Die Schweiz müsse in wichtigen Organisation angemessen vertreten sein, um ihre Interessen wahrzunehmen. Bern ist dem Europarat im Jahr 1963 beigetreten, als 17. Mitglied.
Die Schweizer Delegation beim Europarat, die der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer präsidiert, unterstützt Bersets Kandidatur geschlossen. Sie betrachtet diese als grosse Chance. Dennoch geht es in Bersets Heimat nicht ohne Misstöne. Der Mitte-Präsident Gerhard Pfister kritisierte den Altbundesrat auf der Plattform X mehrmals scharf. Der Europarat müsse wissen, dass Berset die Haltung der Organisation gegenüber Russland und der Ukraine nicht teile, schrieb er im Januar. Pfister spielte damit auf Interviewaussagen Bersets vor einem Jahr an. Der damalige Bundespräsident hatte in der «NZZ am Sonntag» gesagt, er spüre «in gewissen Kreisen einen Kriegsrausch». Vergangene Woche doppelte Pfister auf X nach: Der «Kriegsrausch-Behaupter» Berset sei auf Goodwill-Tour, um seine Frührente abzusichern, schrieb er.
Zumindest im Ministerkomitee des Europarats scheinen Pfisters Vorbehalte keine Wellen geschlagen zu haben. Ob das auch in der parlamentarischen Versammlung so ist, entscheidet sich am 25. Juni.