Die Stimmbevölkerung beschert dem Verkehrsminister eine schwer verdaubare Niederlage. Selbst die ländliche Bevölkerung sprach sich zu grossen Teilen gegen die Investitionen ins Nationalstrassennetz aus.
Bis zum Schluss hatte der Verkehrsminister Albert Rösti Gas gegeben. Noch in der Woche vor der Abstimmung tourte er durchs Land, gab sich kämpferisch und warf den Gegnern der Vorlage vor, sie würden «Quatsch» erzählen. Davor hatte er sich sogar öffentlichkeitswirksam ans Steuer der Bundesratslimousine gesetzt. Gereicht hat es am Schluss trotzdem nicht. 53 Prozent der Stimmbevölkerung lehnt den «Ausbauschritt 2023» ab.
Es ist dies für Bundesrat Rösti die erste Niederlage bei einem Urnengang. Seit seinem Amtsantritt Anfang 2023 hat er seine Abstimmungen jeweils stets klar gewonnen. Sowohl beim Klimaschutzgesetz als auch beim Stromgesetz und bei der Biodiversitätsinitiative vermochte er eine komfortable Mehrheit der Stimmbevölkerung von seiner Haltung zu überzeugen.
Schwer verdauliche Niederlage
Auf die Erfolge folgt nun eine Schlappe, die für ihn nur schwer zu verdauen sein dürfte. Denn ein Sieg für den SVP-Magistraten schien programmiert. Im Autoland Schweiz sind die Nationalstrassen das Rückgrat der Mobilität. Rund die Hälfte aller Pendlerfahrten entfällt auf das Auto, beim öffentlichen Verkehr sind es bloss 30 Prozent. Eigentlich sollten das ideale Voraussetzungen sein für ein Ja zum Ausbau des Autobahnnetzes.
Zumal mit dem «Ausbauschritt 2023» nicht auf Vorrat Strassen gebaut werden sollten. Vielmehr wollten Bundesrat und Parlament punktuell auf sechs besonders stark befahrenen Abschnitten die Autobahn erweitern. Im Raum Bern und entlang des Genfersees sollte die A1 um zwei Spuren erweitert werden, in Basel, Schaffhausen und St. Gallen waren neue Tunnels geplant. 4,9 Milliarden Franken hätten gemäss den Behörden die Bauvorhaben gekostet.
Doch Rösti missriet bereits der Startschuss zur Abstimmungskampagne: Am gleichen Tag, an dem er seine Argumente für den Ausbau an einer Medienkonferenz präsentierte, kam eine Studie aus einem Amt seines Departements zum Schluss, dass das Auto weitaus grössere gesellschaftliche Schäden verursacht als bisher angenommen. Kurz vor der Abstimmung dann meldeten sich 340 Verkehrsexperten zu Wort, die davor warnten, dass der Autobahnausbau langfristig zu mehr Stau und Verkehr führen werde.
Während die emotionslose Kampagne der befürwortenden Wirtschaftsverbände ungehört verhallte, gelang es den Verbänden, die das Referendum ergriffen hatten, weit über das linksgrüne Lager hinaus Zweifel zu säen. In den Wochen vor dem Urnengang mehrten sich in den Medien die Berichte, die infrage stellten, ob die sechs Autobahnprojekte tatsächlich eine nachhaltige Entlastung der Strassen zur Folge hätten. Ebenfalls wurde die Vermutung geäussert, dass die Kosten der Bauvorhaben deutlich höher sein könnten und auch der Benzinpreis steigen könnte.
Westschweizer Kantone geschlossen gegen Ausbau
Die vielstimmige Kritik verfehlte ihre Wirkung nicht. Im bevölkerungsreichen Mittelland und der Ostschweiz, wo auch die Verkehrsbelastung am grössten ist, fand der Autobahnausbau zwar über weite Strecken Zustimmung. Doch vom Rheinknie über den Jura bis hinunter zum Genferseebogen fiel die Devise «Weniger Verkehr mit mehr Beton» flächendeckend durch. In allen Westschweizer Kantonen wurde die Ausbau-Vorlage wuchtig verworfen, im Kanton Neuenburg etwa resultierten 63 Prozent Nein-Stimmen.
Frappant ist, dass der Ausbau der Strasseninfrastruktur auch in vielen ländlich-geprägten Kantonen der Deutschschweiz keine Mehrheit fand. In den Kantonen Luzern, Obwalden, Uri und Glarus verwarf die Bevölkerung Röstis Vorlage – wenn auch meist knapp. Und auch im Kanton Tessin, wo die Umfragen noch vor ein paar Wochen klare Mehrheiten zum Ausbau voraussagten, versagte die Bevölkerung Bundesrat und Parlament die Gefolgschaft.
Gerade in den Kantonen, in denen kein Ausbauprojekt geplant war, dürften viele Abstimmende ein Nein eingelegt haben in der Haltung, dass ihre eigene Verkehrssituation nicht verbessert wird. Zugleich lassen Umfragen vor der Abstimmung vermuten, dass auch viele rechtskonservative Bürgerinnen und Bürger Nein zur Ausbauvorlage gestimmt haben. Dies in der Überzeugung, dass nicht Bundesgelder in den Strassenbau fliessen sollten, sondern die Zuwanderung eingeschränkt werden sollte. Auch das bäuerliche Umfeld begegnete dem Ausbau der Strassen kritisch. Obwohl der Schweizerische Bauernverband ein Ja empfahl, dürfte der Landverlust, der mit dem Bau der Strassen verbunden ist, von vielen Landwirten höher gewichtet worden sein.
Was dem Verkehrsminister zu denken geben muss: Selbst in den Regionen, in denen der Ausbau der Nationalstrassen unmittelbare Entlastung bringen sollte, überwogen in der Bevölkerung vielerorts die Abwehrreflexe. Der Ausbau des A1-Abschnitts von Genf nach Nyon etwa war erst nachträglich durch das Parlament in die Vorlage integriert worden, auch Verkehrsminister Albert Rösti hatte dafür geweibelt. Doch das Kalkül, damit die Ausbauvorlage in der Westschweiz beliebt zu machen, ging nicht auf. Die beiden Kantone Genf und Waadt verwarfen die Ausbauvorlage deutlich. In den Städten Genf und Nyon stimmten über 60 Prozent Nein.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Basel. Auch dort sprach sich der Kanton Basel-Stadt gegen den Autobahnausbau aus – und das obwohl der geplante Rheintunnel zwischen den Verzweigungen Wiese und Hagnau Entlastung bringen sollte. In St. Gallen und Schaffhausen, wo mit einer zusätzlichen Tunnelröhre der wachsende Verkehr bewältigt werden sollte, befürworteten zwar die umliegenden Gemeinden den Ausbau. Die Bevölkerung der beiden Städte jedoch lehnte ihn ab. Nun droht an beiden Orten spätestens dann eine eklatante Verkehrsüberlastung, wenn die bestehenden Röhren saniert werden müssen.
Ob das Nein an der Urne das Aus für alle sechs Projekte bedeutet, ist noch nicht definitiv entschieden. «Das Gesamtpaket kann nun nicht umgesetzt werden», sagte Bundesrat Albert Rösti am Sonntagabend. Man werde die Arbeiten an diesen Projekten nun rasch einstellen. Der Verkehrsminister hatte davor in einem Interview mit der NZZ allerdings betont, dass man einzelne Projekte wie den Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen allenfalls trotzdem weiterverfolgen könnte, falls die Abstimmungsanalyse ergebe, dass diese unbestritten seien.
Rösti selber führte die Niederlage darauf zurück, dass die Ausbauvorlage für einen Teil der Bevölkerung wohl zu umfangreich gewesen sei. Auch sei es nicht gelungen in den Kantonen ohne Projekte den Nutzen der sechs Projekte für die ganze Schweiz darzulegen. Schliesslich hatte gemäss dem Bundesrat auch die finanzielle Sanierung des Bundeshaushalts einen Einfluss: «Wachstumskritische Bürgerinnen und Bürger dürfte sie von einem Ja zu diesen Investitionen abgehalten haben»
Klar ist derweil: Die Zahl der Staustunden – es sind mittlerweile jährlich 48 000 – wird auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die Ausbaubefürworter und der Verkehrsminister können nur darauf hoffen, dass mit einem steigenden Leidensdruck auch die Bereitschaft zunehmen könnte, die Strasseninfrastruktur zu erweitern.