Bitte keine Kompromisse: ein Stimmungsbild der grössten Partei im Land.
Bundesrat Albert Rösti wusste, dass er auf verlorenem Posten kämpfen würde, auch wenn er an diesem Samstagmorgen in Langenthal vor den Delegierten seiner eigenen Partei stand. Er redete für das Stromgesetz, das er am 9. Juni zur Abstimmung bringt – «ein schwieriges Gesetz», wie er sagte. Also versuchte er es seinen Leuten als eine Art Unabhängigkeitsgesetz beliebt zu machen.
«Unser Land befindet sich in einer unsicheren Lage», rief Rösti in den Saal des Hotels Meilenstein, «wir brauchen deshalb mehr Strom. Mehr Strom ist ein Zeichen für Souveränität und Freiheit.»
Am Ende seiner Rede hatte er eine Welt errichtet, die mit der Erzählung der SVP scheinbar übereinstimmte: Als Parteipräsident habe er damals «an vorderster Front» gegen die Energiestrategie von Doris Leuthard gekämpft habe – jetzt müssten die Fehler von damals korrigiert werden. Kurzfristig bleibe nichts anderes übrig, als auf einheimische, erneuerbare Energie zu setzen, vor allem auf Wasser, auf Wind und auf Sonne. Längerfristig, das sei ebenso klar, brauche das Land aber alle Technologien (also auch Atomkraft).
«Sie kennen mich gut genug, ich bin kein Windradfan», sagte Rösti. «Und dass wir unser schönes Land mit Sonnenkollektoren verpflastern, das will ich auch nicht.» Es brauche jetzt aber ein paar Windräder, ein paar alpine Solaranlagen, ein paar Wasserkraftprojekte – mit diesem Gesetz lasse sich gleichzeitig der Ausbau der Erneuerbaren kanalisieren («es sind Grenzen gesetzt in diesem Gesetz»), aber auch die Stromproduktion herauffahren, um weniger abhängig zu sein von der Europäischen Union.
Rösti trat als der helvetische Stromgeneral auf, den die SVP im letzten, energieunsicheren Winter gefordert hatte. Er war so grundsätzlich geworden, wie er konnte – Freiheit, Sicherheit, da musste seine Partei ihm doch folgen?
«Der ist gekippt»
Noch im vergangenen September, im Parlament, hatte er alle Ständeräte der SVP auf seiner Seite, und auch eine deutliche Mehrheit der Nationalrätinnen und Nationalräte. Aber Albert Rösti musste in den vergangenen Tagen feststellen, wie er wichtige Leute in der Partei verlor. Magdalena Martullo-Blocher, Nationalrätin aus Graubünden, nannte das Gesetz einen «Bschiss», der neue Parteipräsident Marcel Dettling forderte in der «NZZ am Sonntag», es dürfe nicht mehr vorkommen, dass die Energiespezialisten der Partei so ein Gesetz «unkritisch durchwinken». Sandra Sollberger, Nationalrätin aus dem Baselbiet, erklärte ihren plötzlichen Meinungswechsel mit dem schlichten Satz: «Man darf auch gescheiter werden.» Als Albert Rösti am Montag seinen Abstimmungskampf eröffnet hatte, sagte er: Jene, die drauskämen in der Partei, seien weiterhin für das Gesetz. Er lächelte. Die vereinte Parteileitung hatte er jetzt gegen sich.
Die Parteikader redeten in den vergangenen Tagen teilweise schneidend übereinander. «In der Parteileitung plötzlich anders stimmen als im Parlament? Eher nicht mein Stil» – «Der ist auch gekippt. Die Karriere ist halt verlockend…»
Der Druck gegen das Stromgesetz kam vor allem von Magdalena Martullo-Blocher, die auch am Samstag in Langenthal die Diskussion lancierte. Nachdem Rösti gesprochen hatte, sagte sie, sicherer werde mit diesem Gesetz gar nichts – man solle sich nicht täuschen lassen vom Bundesrat. «Mit Solaranlagen und Windrädern ist keine sichere Stromversorgung möglich, da braucht es ja immer zuerst Sonne oder Wind.» Das Stromgesetz im Ergebnis? «Wenig Strom für viel Geld.»
Zürich gegen Bern
Die Redner, die ihr folgten, wurden schnell grundsätzlich: «Mit diesem Gesetz werden unsere Berge unattraktiv gemacht», fand ein Delegierter. Ein anderer rief über «idiotische Windräder» aus – er empfahl «ein klares Nein». Domenik Ledergerber, Präsident der Zürcher SVP, sagte: «In der linken Stadt Zürich produzieren sie auf den Dächern keinen Strom, die machen da Party.» Und Ulrich Schlüer, alt Nationalrat vom rechten Parteiflügel, sah die Gelegenheit gekommen, über die Masseneinwanderungsinitiative zu reden: «Wenn wir hier Nein sagen, dann muss der Bundesrat die Initiative endlich umsetzen.»
Es war die Fundamentaloppositions-SVP blocherscher Prägung, die sich an diesem Samstag durchsetzte. Bitte keine Kompromisse – und alles ablehnen, was mit Windrädern zu tun hat. Christoph Blocher selbst soll noch am Freitag im Parteivorstand gesagt haben, es sei nicht schlimm, wenn die SVP gegen ihren eigenen Bundesrat antrete, das habe man immer wieder gemacht, und am Ende habe man profitiert. Das ist seine Zürcher Lehre: Die SVP ist nur so lange gross, wie sie in der Opposition bleibt.
Nicht zufällig kam die grundsätzlichste Kritik von Zürcher Rednerinnen und Rednern (Magdalena Martullo darf dazu gezählt werden) – und nicht zufällig erhielt Albert Rösti die grösste Unterstützung aus dem Kanton Bern, wo die SVP immer auch eine staatstragende Partei war. In der grossen Zeit von Blocher haben sich die beiden Flügel regelmässig bekämpft. In Langenthal gab es ein kleines Reenactment.
«Haben Sie Vertrauen in unseren Bundesrat Rösti», forderten die Berner, etwa in Richtung Zürich. «Diese Vorlage bringt uns Sicherheit, wie es auch die Armee bringt», sagte der Berner Nationalrat Lars Guggisberg. Irgendwann stand sogar alt Nationalrat Adrian Amstutz auf – er benutzte die street credibility, die er sich als Oppositionsführer im Nationalrat erworben hatte, um ein Ja zu empfehlen: «Wir sind die grösste Partei in diesem Land, wir haben eine Verantwortung. Wir brauchen Sicherheit und genügend Strom. Mit einem Nein stampfen wir kein einziges Atomkraftwerk aus dem Boden.»
Aber am Ende setzten sich die Zürcher (und Innerschweizer) Fundamental-Oppositionellen durch. 242 Delegierte lehnten das Stromgesetz ab, 149 Delegierte waren dafür. Eine Stimmfreigabe wurde deutlich verworfen. Die Partei vollzog damit ihre ganz eigene Energiewende.
Das beste Resultat für alle?
Albert Rösti sagte hinterher, es sei das beste Resultat – für alle. «Dass vierzig Prozent der Delegierten über den Schatten gesprungen sind und Ja gesagt haben, ist ein schönes Zeichen.» Gleichzeitig sei es auch gut, dass die SVP weiterhin genau hinschaue, wenn Windräder und Solaranlagen geplant seien. Rösti kennt seine Partei, er war einmal ihr Präsident. Natürlich wusste er, dass er den oppositionellen Kräften nicht viel entgegensetzen konnte. Schon am Montag, an der Pressekonferenz in Bern, hatte er deshalb gesagt, wenn die Hauptprobe bei den Delegierten schiefgehe, könne es dafür bei der Abstimmung im Juni gut kommen. Aus dem Publikum war er auch von parteiinternen Gegnern als ganzer Bundesrat gelobt worden: «Dieses Gesetz ist nicht die Schuld unseres sehr guten Bundesrates Albert Rösti», hiess es.
Ob er jetzt pessimistisch auf die Abstimmung blicke, fragte ihn irgendwann ein Reporter aus der Romandie.
«Ich bin kein Pessimist», sagte Rösti, «das ist nicht meine Persönlichkeit. Aber ich habe Respekt.»
Da erklärte oben auf der Bühne bereits der neugewählte Parteipräsident Marcel Dettling, die Partei sei doch nicht gespalten. Er zeigte runter zu Albert Rösti und rief: «Er ist immer noch da, er ist nicht hässig auf uns!» Grosses Gelächter, Jubel. Am Ende wurden die Dissonanzen von den Kindern von Marcel Dettling überspielt, die an ihren Instrumenten sassen und als Familienkapelle das «Buurebüebli» anstimmten.