Der Bundesrat wehrt sich gegen den Vorwurf der Grünen, er respektiere die Demokratie nicht. In der AKW-Debatte drückt Rösti aufs Tempo: Es müsse möglich sein, Leibstadt und Gösgen mit einem neuen Kernkraftwerk zu ersetzen.
Herr Rösti, sind Sie der Donald Trump der Schweiz?
Wie kommen Sie darauf?
Die grüne Parteichefin Lisa Mazzone sagte kürzlich in einer Rede, Ihre Klimapolitik sei so verheerend wie die von Donald Trump.
Diese Kritik ist nicht nachvollziehbar. Anfang Jahr hat der Bundesrat unter meiner Federführung vier Gesetze in Kraft gesetzt: das Klima- und Innovationsgesetz, das CO2-Gesetz, das Stromgesetz und das Kreislaufgesetz. Sie sind die Grundlage für den Ausstieg aus den fossilen Energien. Gerade beim Stromgesetz nehme ich für mich in Anspruch, dass ich wesentlich dazu beigetragen habe, dass Volk und Parlament die Vorlage gutgeheissen haben. Ich habe dafür gesorgt, dass im Parlament ein Kompromiss gelang. Bei der Parteichefin der Grünen ging das offenbar vergessen.
Man wirft Ihnen auch vor, Sie würden die demokratischen Institutionen ritzen. So wie Trump mit den Dekreten würden Sie mit Verordnungen das Parlament umgehen.
Diese Aussage stammt von Aline Trede, der Fraktionschefin der Grünen. Sie operiert mit Unwahrheiten und behauptet etwa, ich hätte eine Verordnung zur proaktiven Wolfsregulierung erlassen, obschon das Volk das Gesetz abgelehnt habe. In Tat und Wahrheit ist das Parlament nach dem Volksentscheid stark unter Druck geraten und hat in der Folge ein neues Gesetz zur Regulierung der Wölfe verabschiedet. Indem ich zu diesem Gesetz rasch eine Verordnung erliess, habe ich nur meine Pflicht als Bundesrat erfüllt. Nichts daran ist undemokratisch. Die steten Angriffe der Grünen sind Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit. Die Umweltverbände haben ihre Einsprachen gegen die Wolfsregulierung zurückgezogen. Das zeigt, dass mein Vorgehen rechtlich konform war.
Vergangenen November sagten Sie, Sie würden bei den US-Wahlen zu Trump tendieren. Wie beurteilen Sie seine Politik nun, zwei Monate nach Trumps Amtsantritt?
Mir steht es nicht zu, als Bundesrat einen Regierungspräsidenten eines anderen Landes zu bewerten. Ich begründete die Aussage damals mit der Vermutung, dass Trump eine Friedenslösung für die Ukraine erreiche. Diese Hoffnung ist nach wie vor intakt. Zumindest spricht man nun über einen Waffenstillstand. Ich hoffe, dass eine solche Lösung bald kommt. Das würde sich nicht nur für Europa, sondern auch die Schweiz positiv auswirken, gerade in wirtschaftlicher Hinsicht.
Das transatlantische Verhältnis ist seit Trumps Amtsübernahme stark angespannt. Das muss Ihnen doch Sorgen bereiten.
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter hat zu einer gewissen Gelassenheit im Verhältnis mit den USA aufgerufen. Auch ich denke, dass es schwierig einzuschätzen ist, welche Auswirkungen die angekündigten Massnahmen der USA auf die Schweiz haben werden, gerade bei den Zöllen. Der Bundesrat analysiert die Entwicklung regelmässig in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Aber es wäre vermessen, täglich zu kommentieren, was in den USA passiert.
Donald Trump krempelt die Klima- und Energiepolitik um. Er will Gas und Öl fördern, zudem steigen die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Wie ist die Schweiz davon betroffen?
Wichtig ist, dass unser Land als Exportnation wettbewerbsfähig bleibt und beim Klimaschutz nicht plötzlich so weit vorausgeht, dass die Unternehmen viel höhere Energiepreise bezahlen müssen. In der Schweiz gilt, dass wir bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen sollen. Das hat die Bevölkerung so beschlossen. Auf diesem Pfad sind wir unterwegs. Zumal unsere Gesetze davon absehen, die Energie mit neuen Lenkungsabgaben zu verteuern. Stattdessen wollen wir den Ausstieg aus den fossilen Energien mit der Förderung von Innovationen schaffen.
Erste grosse Unternehmen weichen bereits von ihren Klimazielen ab. Gibt Ihnen das zu denken?
Ich überlasse den Unternehmen die Entscheidung, welche Ziele sie zur Eindämmung ihrer CO2-Emissionen verfolgen. Ich bin aber optimistisch. Fossile Energien sind so oder so endlich. Darum ergibt es langfristig auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn, Alternativen zu entwickeln. Für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ist das sicher positiv.
Ganz grundsätzlich: Wie gut meistert die Schweiz aus Ihrer Sicht die Energiewende auf einer Skala von 1 bis 10?
Bei den Rahmenbedingungen stehen wir mit dem neuen Stromgesetz und dem Klima- und Innovationsgesetz gut da, also sagen wir bei 7 oder 8. Betrachten wir aber den Zubau der Stromproduktion, liegen wir nur bei einer 4.
Wieso so schwach?
Beim Ausbau der Winterstromproduktion geht es nicht vorwärts. Praktisch alle zukunftsgerichteten Wasser- und Windkraftwerke werden durch Beschwerden verzögert, ebenso alpine Solaranlagen. Zwar sieht der Beschleunigungserlass, der derzeit im Parlament diskutiert wird, eine Verkürzung der Verfahren vor. Trotzdem besteht die Gefahr, dass wir weiterhin nicht vom Fleck kommen.
Ärgert Sie das als Energieminister?
Ich bin lange genug in der Politik. Ich weiss, dass Wunder jeweils recht lange auf sich warten lassen. Aber ich habe die Kraft und den Willen, zu kämpfen. Und in letzter Zeit gab es auch Bewegung beim Ausbau der Wasserkraft. Die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva hat öffentlich deklariert, dass sie ihre Beschwerde gegen das Trift-Projekt zurückziehe, sofern das Verbandsbeschwerderecht bestehen bleibe. Gleichzeitig hat Landschaftsschutz Schweiz neu in Aussicht gestellt, beim Gornerli-Projekt im Wallis in der Begleitgruppe konstruktiv mitzuarbeiten. Ich habe beide Organisationen getroffen und sie motiviert, von ihrem Widerstand wegzukommen. Wir kommen also vorwärts, wenn auch in kleinen Schritten.
Keine Abstriche beim Umweltschutz und Festhalten am Verbandsbeschwerderecht – im Gegenzug verzichten die Umweltverbände auf Einsprachen gegen geplante Wasserkraftwerke: Sie engagieren sich stark dafür, dass im Parlament dieser Kompromiss zustande kommt. Wie können Sie sicher sein, dass die Schutzorganisationen Wort halten?
Ich glaube schon, dass sie das tun werden – etwas anderes können sich die Umweltverbände gegenüber der Öffentlichkeit auch kaum leisten. Zumal die Organisationen auch noch von der zuständigen Kommission des Ständerats angehört werden. Wichtig ist, dass die Kommission von den Umweltverbänden klar einfordert, dass sie Hand bieten zur Realisierung dieser Kraftwerke. Das würde es ermöglichen, das Verbandsbeschwerderecht beizubehalten und die Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen nicht anzutasten.
Was passiert, wenn der angestrebte Kompromiss scheitert?
Dann wird es zu sehr unschönen Verwerfungen kommen. Der Beschleunigungserlass fiele dann streng aus. Die Umweltverbände würden wohl das Referendum ergreifen, es käme zu einer Volksabstimmung. Enden kann das auf zwei Arten: Entweder in der Aufhebung des Verbandsbeschwerderechts, was ich nicht unterstütze, da die Verbände Kraftwerksprojekte rechtlich überprüfen können sollen. Oder es kommt zu einer Totalblockade, wenn die Vorlage abgelehnt wird. Für Wasser- und Windkraftanlagen sowie alpine Solaranlagen könnte dies das Aus bedeuten. Es ist im Interesse aller, dass es nicht so weit kommt.
Der Strombedarf wird in den nächsten Jahren stark zunehmen. Die beiden Reaktoren in Beznau haben bereits ein Ablaufdatum, Gösgen und Leibstadt noch nicht. Wie kann der Strom dieser Kernkraftwerke ersetzt werden?
Kurzfristig ist wichtig, dass genügend Reservekraftwerke zur Verfügung stehen für den Fall, dass wir nicht genügend Strom importieren können. Ich bin froh, dass das Parlament dazu grünes Licht gegeben hat. Mittelfristig – also in der Zeit von der Abschaltung des AKW in Beznau 2033 bis 2040 – sind wir darauf angewiesen, dass wir beim Zubau der erneuerbaren Energien vorwärtskommen. Das Problem wird der Winter sein. Um auf der sicheren Seite zu stehen, brauchen wir etwa 10 Prozent mehr Strom, also etwa 6 Terawattstunden. Dazu müssen wir die 16 geplanten Wasserkraftwerke, alpine Solarkraftwerke sowie etwa 200 Windturbinen realisieren.
Und wie soll es gelingen, den Strom der Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt zu kompensieren?
Das ist die grosse Frage. Denn bis dahin müssen wir die Winterstromproduktion im Inland um weit mehr als diese 10 Prozent erhöhen. Angesichts der gegenwärtigen Blockaden bin ich skeptisch, ob wir es schaffen. Gerade nach der Abstimmung über das Stromgesetz kann ich mir nicht vorstellen, dass die Bevölkerung extrem viele Windturbinen akzeptieren würde. Wir müssen daher über neue Technologien sprechen. Der Bundesrat hat sich deswegen für den Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative ausgesprochen, der eine Aufhebung des Neubauverbots für Kernkraftwerke vorsieht. Es muss möglich sein, Leibstadt oder Gösgen nötigenfalls mit einem neuen Kernkraftwerk zu ersetzen.
Viele Energieversorger sind bezüglich des Baus eines neuen AKW skeptisch, weil die Kosten für den Bau immens wären. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?
Die Stromwirtschaft hat 2017 den Ausstieg aus der Kernenergie unterstützt. Nun tut man sich schwer damit, dass es zu einer Kehrtwende kommen könnte. Dafür habe ich Verständnis. Allerdings haben wir heute eine völlig andere Ausgangslage als damals. Die geopolitische Situation ist neu, niemand hatte vorausgesehen, dass man wenige Jahre danach schon über eine Strommangellage reden würde. Auch das Bevölkerungswachstum ist deutlich höher als damals prognostiziert. Und gegen die Projekte zum Ausbau der Stromkapazitäten gab es unerwartet viel Widerstand. Zudem war damals auch nicht vorgesehen, vollständig aus den fossilen Energien auszusteigen.
In der Stromwirtschaft wird befürchtet, dass die Dringlichkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien abnimmt, wenn alle von neuen Kernkraftwerken sprechen.
Wir richten ja nicht unsere ganze Politik auf die Kernenergie aus. Mit dem Gegenvorschlag halten wir uns bloss eine zusätzliche Option offen. Das Stromgesetz und die darin verankerten Förderbeiträge für die Erneuerbaren gelten dessen ungeachtet weiter. Auch lasse ich mir gerne beweisen, dass wir mit den erneuerbaren Energien die Versorgungslücke schliessen können. Noch so gerne sogar! Denn dann brauchen wir keine neuen Kernkraftwerke. Das zeigt doch: Die Kernenergiedebatte behindert den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht. Im Gegenteil: Damit setzen wir Druck auf, dass es endlich vorwärtsgeht.
Die Stromkonzerne sagen aber klar, dass sie aufgrund der hohen finanziellen und politischen Risiken kaum ernsthaft über den Bau eines neuen AKW nachdächten. Wieso kippen Sie das Neubauverbot, wenn danach ohnehin nichts passiert?
Da bin ich mir nicht so sicher. Zeichnet sich ab, dass zu wenig Strom verfügbar sein wird, stehen auch die Stromkonzerne in der Verantwortung. Diese sind ja keine Privatunternehmen, sie sind im Besitz der öffentlichen Hand. Und in der Verfassung ist klar geregelt: Die Verantwortung für die Stromversorgung liegt bei der Branche. Der Bund ist mit den Gemeinden und den Kantonen für die Rahmenbedingungen zuständig. Sollte sich dereinst zeigen, dass für die Erneuerbaren tatsächlich die Akzeptanz fehlt und ein weiterer Ausbau nicht mehr möglich ist, müsste über eine Revision der Rahmenbedingungen nachgedacht werden, die auch die Kernenergie einschliessen. Dazu bleibt aber genügend Zeit, da das gegenwärtige System bis 2035 gilt.
Was Sie jetzt im ganzen Gespräch nicht erwähnt haben: das Stromabkommen mit der EU. Ist das ein Zeichen, dass Sie dieses nicht so wichtig finden?
Die Schweiz wird bei ihrer Stromversorgung nie autark sein, sie wird immer auf den Austausch mit den Nachbarn angewiesen sein. In dieser Hinsicht hilft das Stromabkommen klar, indem es die Lieferbeziehungen für Importe absichert. Die Netzbetreiberin Swissgrid wird mit dem Stromabkommen in den internationalen Energiemarkt eingebunden, was wichtig für die Netzstabilität in der Schweiz ist. Es reicht aber nicht aus, wenn wir nur auf das Stromabkommen setzen. Es gibt keine Gewissheit, dass es in Europa jederzeit und für alle genug Strom geben wird.
Die Strombranche argumentiert, dass die Sicherstellung der Stromversorgung ohne ein Abkommen massiv teurer würde. Einverstanden?
Ja. Es unterstützt das Ziel, dass die Schweiz zuverlässig Strom importieren kann, und verringert ungeplante Stromflüsse durch unser Netz.
Wie sieht es mit den Gesetzen zur Stromreserve aus? EU-Kritiker monieren, dass die Schweiz diese nicht länger behalten dürfte.
Wir haben eine Übergangsfrist von sechs Jahren erhalten, das ist ein Verhandlungserfolg. Das heisst: Die Reserven, die wir heute festlegen und bauen, könnten wir nach Inkrafttreten des Abkommens vorerst behalten. Danach könnten wir weiterhin Reserven betreiben, müssten uns aber bei der Berechnung der Höhe an die Methodologie der EU halten. Gleichzeitig gewährt das Abkommen uns das Recht, auf landesspezifische Herausforderungen einzugehen, etwa das hohe Klumpenrisiko, sollte eines der verbleibenden AKW ausfallen. Findet die EU das dann unverhältnismässig, greift der normale Streitbeilegungsmechanismus.
Jetzt haben Sie nur positiv über das Stromabkommen geredet. Wo sehen Sie die kritischen Punkte?
Kontrovers dürften die Diskussionen um die Öffnung des Strommarkts für die Endkunden werden. Diese waren bisher an ihren lokalen Energieversorger gebunden, mit der Liberalisierung wären die Verbraucher dann einer gewissen Schwankung der Strompreise ausgesetzt. Aber die Verhandler haben erreicht, dass die Endkunden in die Grundversorgung zurückkehren können. Dazu sind bei der technischen Ausgestaltung noch einige offene Fragen zu klären.
Veranstaltungshinweis: Bundesrat Albert Rösti spricht am Montagabend an einem Anlass der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft (ZHVG) über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Energie und Infrastruktur.