Der Ausbau der Netze kann mit dem Solarboom nicht Schritt halten. Mit kürzeren Verfahren will der Bundesrat nun Gegensteuer geben. Der Strombranche gehen seine Massnahmen allerdings nicht weit genug.
Jeden Tag werden schweizweit gegen 200 neue Solaranlagen installiert, die meisten davon auf den Dächern von Wohnhäusern und Industriebetrieben. Geht es nach dem Willen des Bundesrats, soll es in den nächsten Jahren so weitergehen: Bis 2035 soll die Menge an produzierter Sonnenenergie noch einmal verfünffacht werden. Zudem sind einige alpine Solarkraftwerke, 16 Wasserkraftprojekte sowie etwa 200 Windturbinen geplant.
Das Stromgesetz, das das Volk im vergangenen Jahr angenommen hat, enthält für diesen Ausbau der Stromproduktion grosszügige Förder- und Entlastungsmassnahmen. Kaum etwas Konkretes sah die Politik bisher jedoch dafür vor, dass sich im Gleichschritt auch das Stromnetz entwickelt. Und das, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass die Energiewende scheitern wird, wenn der Bau leistungsfähiger Netze vernachlässigt wird. Zumal der geplante Wechsel hin zu einer dezentralen Stromproduktion den Ausbaubedarf erst recht vergrössert.
Beispielhaft zeigt sich die Problematik etwa bei der alpinen Solarkraft. Da Leitungen fehlen, die den Strom abtransportieren können, mussten Energieversorger diverse Projekte verkleinern oder ganz begraben. Auch immer mehr kleine Solarproduzenten bekommen derweil den Engpass bei der Netzinfrastruktur zu spüren: Da die Verteilnetze bereits am Limit sind, können sie ihre Anlagen gar nicht erst anschliessen – oder sie müssen fortan die ins Netz eingespeiste Leistung limitieren.
Nun reagiert der Bundesrat. Am Mittwoch hat er die Botschaft zum revidierten Elektrizitätsgesetz verabschiedet, das straffere Bewilligungsverfahren beim Aus- und Umbau der Stromnetze vorsieht. Im Zentrum der Vorlage stehen die Hochspannungsleitungen: Mehr als 60 Prozent von ihnen sind heute zwischen 50 und 80 Jahre alt und müssen in den nächsten Jahren erneuert werden.
36 Jahre für eine Stromleitung
Das allerdings dauert mit den bestehenden Rahmenbedingungen meist viel zu lange: Im Durchschnitt verstreichen von der Planung bis zur Realisierung 15 Jahre. Die 27 Kilometer lange Leitung von Chamoson nach Chippis (VS) konnte 2022 gar erst 36 Jahre nach dem Projektstart in Betrieb genommen werden – die reine Bauzeit betrug bloss 4 Jahre. Die Folge davon ist, dass das Schweizer Stromnetz zu schwach ist, um all den Strom, der in den Walliser Bergen produziert wird, ins Mittelland und ins Tessin zu bringen.
Mit dem sogenannten Netzexpress sollen Leitungsprojekte nun rascher realisiert werden. Vorgesehen ist etwa, dass es für den Ersatz der bestehenden Hochspannungsleitungen auf denselben Trassees künftig kein Sachplanverfahren mehr braucht. Gemäss der Netzgesellschaft Swissgrid bringt allein diese Massnahme eine Zeitersparnis von bis zu vier Jahren mit sich. Ebenfalls soll das Interesse an der Realisierung von Anlagen des Übertragungsnetzes in der Interessenabwägung künftig anderen Interessen vorgehen, so etwa dem Schutz der Landschaft. Zudem müssen die Bundesbehörden bei strittigen Fällen in Plangenehmigungsverfahren innerhalb eines Monats einen Beschluss fassen.
Verzichtet hat der Bundesrat auf den ursprünglich vorgeschlagenen Grundsatz, dass Übertragungsleitungen künftig prinzipiell als Freileitungen geplant werden sollen. Neue Leitungen sollten demnach nur noch in begründeten Ausnahmefällen in den Boden verlegt werden. So etwa, wenn der Strahlenschutz nicht gewährleistet ist, weil die Leitungen zu nah an Siedlungen stehen. Die Netzbetreiberin Swissgrid hätte damit viel Zeit einsparen können, die Strombezüger Geld.
Doch in der Vernehmlassung äusserten sich Landschafts- und Heimatschützer kritisch zur Verankerung des Freileitungsgrundsatzes im Gesetz. Sie befürchteten, dass die Netzinfrastruktur fortan ohne Rücksicht auf die Natur ausgebaut werde. Ebenfalls lehnte ein Grossteil der Kantone das Ansinnen des Bundesrats ab, woraufhin dieser nun zurückruderte.
Die Swissgrid bedauert diesen Entscheid. Sie hält fest, dass ein hoher Anteil Erdkabel im Übertragungsnetz zu grossen Problemen führe und daher begrenzt werden müsse. Im Falle von Störungen könne es zudem Wochen bis Monate dauern, bis ein Kabel im Boden repariert sei. Schliesslich seien Erdkabel bis zu zehn Mal so teuer wie Freileitungen.
Lokale Netze halten mit Solarboom nicht Schritt
Der Strombranche zumindest teilweise entgegengekommen ist der Bundesrat dagegen bei den Verteilnetzen, also den Leitungen in den Gemeinden und Quartieren. Durch den Solarboom sowie die steigende Zahl an Elektroautos und Wärmepumpen sind diese stark gefordert. Insbesondere sind neue Transformatorenstationen auf den untersten Netzebenen nötig, um den Anschluss von neuen Photovoltaikanlagen zu gewährleisten, was aufgrund von Beschwerden und bürokratischen Hürden häufig Jahre dauert.
Mit dem neuen Gesetz soll nun ein einfacheres und damit rascheres Verfahren für den Bau von Trafostationen angewendet werden. Restlos zufrieden zeigt sich die Stromwirtschaft damit allerdings nicht. Um die Bedingungen für die Netze aller Ebenen zu verbessern, seien weitere Massnahmen nötig, insbesondere für die Verteilnetze, moniert der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE). Ebenfalls müssten alle Leitungen, die für den Anschluss von Produktionsanlagen von nationalem Interesse nötig seien, auch ein nationales Interesse erhalten. Nur so könne die Energiewende effizient umgesetzt werden.