Die EU zwingt Whatsapp, sich zu öffnen. Eigentlich soll dies seine Marktmacht brechen und den kleinen Anbietern helfen. Doch die haben etwas dagegen.
Wer kennt das nicht? Man sitzt im Bus und sucht die Adresse einer Freundin, hat aber vergessen, in welchem Chat man sie erhalten hat. War es Signal? Threema? Whatsapp? Telegram? Oder doch eine ganz normale SMS? Bis man die Adresse gefunden hat, öffnet man mehrere Apps, klickt sich durch mehrere Suchfunktionen – und verpasst dabei womöglich seine Bushaltestelle.
Die EU möchte ihren Bürgerinnen und Bürgern das Leben vereinfachen und zwingt mit der Digital Markets Act (DMA) grosse Plattformen wie Whatsapp dazu, eine Schnittstelle zu kleineren Chat-Diensten wie Signal oder Threema zu schaffen. Ab März 2024 muss Whatsapp ermöglichen, dass seine Nutzerinnen und Nutzer auch von Leuten auf anderen Chat-Apps angeschrieben werden können, falls die anderen Chat-Apps dies verlangen. In guter Bürokratensprache heisst das: Interoperabilität. Um die Adresse der Freundin zu finden, würde es dann reichen, eine App zu öffnen und nach ihrem Namen zu suchen; mit welcher App sie die Nachricht abgeschickt hat, ist egal.
Mit der Vorschrift will die EU die Marktdominanz von Whatsapp, das zum Meta-Konzern gehört, brechen. Denn bisher profitierte Whatsapp vom Netzwerkeffekt: Immer mehr Nutzer melden sich an, weil die, mit denen sie Nachrichten austauschen wollen, bereits auf der Plattform registriert sind. Für kleinere Dienste ist es in dieser Ausgangslage schwer, neue Nutzerinnen zu gewinnen und eine Konkurrenz zu Whatsapp aufzubauen.
Threema und Signal wollen sich nicht an Whatsapp binden
Doch kleine Plattformen, die sich eigentlich über die Regel freuen könnten, sind skeptisch. Martin Blatter, Gründer und CEO von Threema, hat bereits entschieden, seine Chat-App nicht an Whatsapp anzubinden. «Wir wollen das Sicherheitsrisiko, das von Meta ausgeht, nicht eingehen», sagt Blatter auf Anfrage.
Whatsapp sei eine «Blackbox». Die Plattform habe zwar Datenschutzbestimmungen, «aber ob diese wie versprochen umgesetzt werden, kann niemand belegen», sagt Blatter. Threema hingegen ist erstens datensparsam, das heisst, es werden möglichst keine Nutzerdaten erhoben. Und zweitens eine Open Source: Die Programmcodes sind öffentlich einsehbar, unabhängige Softwareexperten können nachprüfen, ob Threema tatsächlich keine Daten sammelt, um seine Nutzerinnen und Nutzer zu vermessen.
«Wir wissen, dass Meta nicht gerade zimperlich mit den persönlichen Daten von seinen Nutzern umgeht», sagt Blatter. Er lancierte deshalb eine Umfrage bei Threema-Kunden. Das Resultat daraus bestätigte ihn in seiner Haltung, von einer Zusammenarbeit mit Whatsapp abzusehen.
Ähnlich tönt es bei Signal. Die Zusammenarbeit mit Whatsapp würde letztlich die Privatsphäre von Signal und seinen Benutzern verschlechtern, erklärte die gemeinnützige Stiftung hinter Signal schon im Sommer 2022. «Andere Apps, die nicht die gleichen Datenschutzstandards wie Signal haben, hätten Zugriff auf grosse Mengen von Benutzerdaten. Diese Daten könnten dann auf eine Weise verwendet oder verkauft werden, die nicht mit der Mission und den Werten von Signal übereinstimmt.»
Telegram und weitere Kommunikations-Apps verzichteten bisher auf eine Stellungnahme.
Wer den Standard setzt, hat die Macht
Carmela Troncoso, Professorin für Informatik an der EPFL, zeigt Verständnis für das Argument von Threema und Signal. Sie sagt aber auch, es liege noch keine konkrete technische Lösung vor. Deshalb lasse sich noch nicht beurteilen, wie heikel eine Zusammenarbeit mit Whatsapp für den Datenschutz wäre.
Aber sie befürchtet, dass Whatsapp einseitig die Konditionen für eine plattformübergreifende Zusammenarbeit vorgeben wird und damit seine Marktmacht noch weiter ausbaut. «Beginnen kleinere Plattformen tatsächlich mit Whatsapp zusammenzuarbeiten, werden sie abhängig: Whatsapp kann Standards definieren, denen die kleineren Firmen folgen müssen.»
Und definiert Meta den Standard, ist fraglich, ob sich der bestmögliche Standard für die Gesellschaft durchsetzt. Wünschenswert wäre ein Chat-Dienst, der privat, datensparsam und interoperabel ist. Bisher hat sich Meta mit solchen selbstlosen Lösungen nicht hervorgetan.