Ein Juwelier wird überfallen, eine Frau getötet. Und ein 13-Jähriger steht Schmiere dabei. Die Kommissare Lannert und Bootz beschäftigt der Junge, der sich in Phantasiewelten flüchtet.
Was macht ein 13-Jähriger, der von der Polizei für einen Täter gehalten wird und von dem der eigene Vater im Gefängnis sagt: «Wenn du die Familie aufgibst, bist du tot»? Er schaut verträumt und phantasiert sich auf dem Jugendhof, wo er seit der Herausnahme aus seiner Familie lebt, den grossen Bruder herbei.
Dieser lebt zwar längst nicht mehr, er war bei einem illegalen Autorennen vor Jahren umgekommen. Für den 13-jährigen David aber ist der hochgewachsene blonde Theo ein Vorbild, das ihm immer dann erscheint, wenn er nicht weiterweiss. Zu viele Menschen zerren an ihm herum. Zu unsicher tapst er buchstäblich durchs Leben, in dem er vor die Frage gestellt ist: Treue zur Familie oder Treue zum Gesetz?
Weil David strafunmündig ist, hatten ihn seine Verwandten vom berüchtigten Maslov-Ellinger-Clan als Wachposten eingesetzt. Während die Erwachsenen einen Juwelier brutal überfielen und eine Frau töteten, wurde David von einem Mann beobachtet und geriet in Panik. Der Zeuge müsse weg, befanden die Grossen und setzten den Kleinen unter Druck. Töten sollte er den Kerl, damit sie ihr angedachtes Leben als Millionäre irgendwo am Meer leben können.
Traum von einer Liebesgeschichte
Der 13-Jährige hadert mit allem, mit sich, der Welt, dem gefesselten Zeugen, dem er eine Kugel in den Leib jagen soll. Er flieht in seine Träume zu Theo, phantasiert sich auch eine Liebesgeschichte mit seiner Sozialarbeiterin herbei. Er will mit seiner Familie sein und das Richtige tun, auch wenn er nie recht weiss, was dieses Richtige nun sein soll.
«Zerrissen» haben der Regisseur Martin Eigler und sein Drehbuchautor Sönke Lars Neuwöhner den neuen «Tatort» aus Stuttgart genannt. Es ist der richtige Titel für das Gefühl des Jugendlichen, der unschlüssig und schwankend seinen Weg sucht. Geht er ihn, wie sein Vater, seine Cousins und seine Schwester es tun, und wird ihr Leben als Verbrecher führen, oder löst er sich aus der kriminellen Umgebung und findet die eigene Freiheit?
Im neuen Fall der Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) geht es gar nicht um die Suche nach dem Mörder. Warum auch, wenn er sich in den ersten Minuten offenbart? «Zerrissen» ist vielmehr ein Sozialdrama, das in leisen Tönen das Dilemma eines Teenagers aufzeigt.
Louis Guillaume verkörpert ausgezeichnet die Rolle des schmächtigen wie schmachtenden David, der von seinen Visionen getragen wird, zweifelt, Halt sucht und immer wieder enttäuscht wird – von Leuten, die ihn mal für einen «Joker» halten, mal für die «Knackstelle».
Lannert gibt ihm seinen Oldtimer-Porsche und rast mit ihm über eine betonierte Piste, um sein Vertrauen zu gewinnen, der Vater pocht auf die «Familienwerte», die Jugendhilfeeinrichtung verlangt von ihm «eigene Entscheidungen». Wie aber geht das, wenn «Eigenes» nie eigen war und nicht sein durfte?
Gegen das System
David ist für alle nur ein Werkzeug, kein Individuum. Letztlich nicht einmal für seine hoch engagierte Sozialarbeiterin Annarosa (Caroline Cousin), «Aro» genannt, die durch David ihren wütenden Kampf gegen «das System» ausficht, den Staat und seine Behörden, denen sie nicht weniger Skrupellosigkeit bescheinigt als Davids krimineller «Sippe».
Der Fall ist kein fesselnder, manches ist oberflächlich und auch unglaubwürdig angelegt. Louis Guillaume aber trägt das Jugenddrama, mit Blicken, seiner gebeugten Haltung, dem strahlenden Lächeln, der zweifelnden Stimme. Sein David wird sich entscheiden müssen, und er entscheidet sich – indem er sich auf den buchstäblich phantastischen Theo verlässt. Und auf seine zornige und doch so coole Sozialarbeiterin.
«Tatort» aus Stuttgart: «Zerrissen». Sonntag, 21. Januar, um 20.05 Uhr bei SRF 1 und um 20.15 Uhr bei der ARD.