Was die Hochschule Biel 1990 schaffte, will das Team Alpha Centauri bald wiederholen. Mit einem Solarmobil soll ein Sieg an der World Solar Challenge der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen.
Schon beim Beschleunigen kommt die Pilotin ins Schwitzen. Sie sitzt im australischen Outback in der engen Kabine des Solarmobils «Aletsch», die für die nächsten Stunden ihr Arbeitsplatz ist. Als eine von vier Studierenden der ETH Zürich will sie mit dem ultraleichten Dreirad innerhalb von fünf Tagen Australien von Norden nach Süden durchqueren – an der World Solar Challenge.
Bis zu 50 Grad Celsius heiss kann es im Cockpit werden, doch das ist durchaus willkommen, denn allein die Energie der australischen Frühlingssonne sorgt für Batterieladung. Klimaanlage? Überflüssiger Ballast. Die Piloten sind stattdessen durch Gewichtssäcke im Hüftbereich zusätzlich eingeengt, damit das vorgeschriebene Mindestgewicht nicht unterschritten wird. Und beim Lenken werden die Fahrer immer wieder durch peitschende Seitenwinde beeinträchtigt. Doch jeder Schlenker kostet Piloten und Batterie unnötige Energie.
Die Strapazen der verschiedenen Teams auf dem rund 3000 Kilometer langen Weg von Darwin nach Adelaide sollen Früchte tragen. Gemeinsam will man die Effizienz des elektrischen Fahrens verbessern, mit möglichst wirkungsvollen Elektromotoren, mit sparsam haushaltenden Batterien – und vor allem mit leistungsfähigen Solarzellen. Der Wettstreit dient der Allgemeinheit, aber gewinnen will hier jedes einzelne der 43 Teams aus 23 verschiedenen Ländern – mit der aerodynamisch besten Karosserie, der cleversten Elektrotechnologie und der ausgefeiltesten Strategie.
2023 nahm erstmals ein Team der ETH Zürich an der World Solar Challenge zwischen Darwin und Adelaide teil. Innerhalb nur eines Jahres hatten die Studierenden des Projekts Acentauri ein Solarauto namens «Aletsch» entwickelt, gebaut und im australischen Rennen eingesetzt.
Acentauri Solar Racing war im Februar 2022 von 9 Studierenden gegründet worden und ist mittlerweile auf 70 Mitglieder aus verschiedenen Studienrichtungen und Jahrgängen angewachsen. 25 Studierende reisten im Oktober 2023 nach Australien, um die 3000 Kilometer lange Strecke innerhalb von sechs Tagen zu bewältigen.
Es sind frische Denkanstösse, die die Zukunft der Mobilität vorantreiben. Oft stammen solche Ideen von Studierenden an technischen Hochschulen. Die Formula Student ist als internationaler Hochschulwettkampf mit elektrischen Rennautos das derzeit wohl bekannteste Beispiel, wie man an der ETH Zürich und anderen technisch-wissenschaftlichen Universitäten Fortschritte bei der Effizienz von Elektroautos erzielen kann.
Die Frage ist nur, wie viele der neuen Erkenntnisse in Produkte einfliessen können, die jedermann kaufen kann. Oder ist dies alles nur Selbstzweck, um ein Forschungsprogramm mit ideeller und finanzieller Unterstützung von Sponsoren und der öffentlichen Hand voranzutreiben? Ein Abenteuer für Pioniere der Forschung, ohne praktische Folgen für die nachhaltige Mobilität?
«Wir sehen den Zweck unseres Projekts in erster Linie darin, die Technologie des effizienten Fahrens voranzutreiben», erklärt Daniel Lagnaux, Sprecher von Alpha Centauri. «Und wir wollen auch andere Studierende dazu inspirieren, in diesem Bereich weiterzuforschen. Schliesslich ist es möglich, auch mit nur wenig praktischem Wissen an einem solch prestigeträchtigen Rennen teilzunehmen.»
Ein entscheidender Faktor beim lautlosen Vorwärtskommen sind die Reifen, auf denen die Gefährte rollen. Sie sollen möglichst wenig Rollwiderstand bieten und daneben auch die Rollgeräusche vermindern. Reifenhersteller sind an den Ergebnissen der World Solar Challenge nicht nur sehr interessiert, sondern direkt beteiligt. «Aletsch» rollt auf Scheibenrädern und erhält Pneus des japanischen Herstellers Bridgestone. Dieser stellt die Reifen als Einheitsprodukt allen Teams zur Verfügung und erwartet im Gegenzug detaillierte Berichte zu den Rolleigenschaften der Gummis.
Schon in den 1990er Jahren rollte die Schweiz durch Australien
Die Reifen spielten bereits in den 1980er Jahren eine wichtige Rolle, als etwa die Ingenieurschule Biel ein Solarfahrzeug baute, um an der World Solar Challenge in Australien anzutreten. Als die «Spirit of Biel/Bienne II» 1990 das Rennen gewann, waren die Augen der Wissenschaft auf die Schweiz gerichtet.
Fredy Sidler, der damalige Leiter des Teams rund um die «Spirit of Biel/Bienne», gibt offen zu, dass die Solarmobile nicht in erster Linie für die Serienentwicklung gedacht waren: «Von uns hat niemand daran geglaubt, dass es Solarfahrzeuge im Alltagsverkehr geben wird.» Doch sei es 1990 gar nicht in erster Linie um das Solarauto gegangen, sondern vielmehr um die Förderung von Elektroautos. «Wir leisteten damals Grundlagenarbeit für den Swatch-Gründer Nicolas Hayek und seine Idee des batterieelektrischen Smart – entsprechend war er auch unser grösster Sponsor», erklärt Sidler. «Den Smart hätten wir entwickeln sollen, doch Hayek sah ein, dass seine SMH-Gruppe zu klein war, um ein solches Grossserienprojekt zu stemmen.»
Aus dem Smart wurde zunächst ein VW-Projekt, später eines von Mercedes, das sich jedoch rasch von der Grundidee Hayeks entfernte und mit Benzinmotor entwickelt wurde. Eine Folge hatten die «Spirit of Biel/Bienne II» und ihr Rennerfolg immerhin: «Hayek gründete eine Firma, um den Elektroantrieb bei Autos zu verbessern, da waren wir als Team involviert», sagt Sidler. Er weist darauf hin, dass sich insbesondere im Bereich der Komponenten bei Elektroautos seither vieles verbessert habe: «E-Motoren haben heute einen viel besseren Wirkungsgrad, und das Batteriemanagement ist heute deutlich besser, da haben wir erste Ansätze geliefert.»
Weit entfernt von Rennsiegen war das Zürcher ETH-Team 2023. Es fuhr kurz vor Meldeschluss auf dem zwölften und letzten Rang ein, 16 weitere schafften es gar nicht erst bis ins Ziel. Acentauri erreichte im Mittel 61,4 Kilometer pro Stunde, das belgische Siegerteam erzielte 88,2 Kilometer pro Stunde.
Dass Solarzellen im Pkw der Zukunft eine Rolle beim Elektroantrieb spielen werden, bezweifelt nicht nur Fredy Sidler vom Bieler Solarprojekt von 1990. Auch der Acentauri-Sprecher Lagnaux glaubt nicht daran: «Wir fahren ausschliesslich mit der Energie, die von den Solarzellen am Fahrzeug generiert wird. Wir sehen aber auch mit der heutigen Technologie keine Möglichkeit, dies bei Pkw zu tun.»
Selbst mit grossen Solarzellenflächen auf der Karosserie lässt sich bestenfalls ein kleiner Beitrag an den gesamten Energiebedarf eines Autos leisten, das erkannte auch die deutsche Firma Sono Motors. Sie scheiterte mit ihrem Pkw-Projekt im vergangenen Jahr deutlich und hat sich nun darauf verlegt, die Flächen auf dem Dach von Lkw-Anhängern und Bussen zum Generieren von Sonnenenergie zu nutzen. Damit lässt sich aber nicht der gesamte Elektroantrieb mit genügend Elektrizität versorgen.
Nächste Ziele sind bereits definiert
Bei der einmaligen Teilnahme des Schweizer Teams an der World Solar Challenge soll es nach der geleisteten Vorarbeit nicht bleiben. Derzeit arbeiten die Studierenden in ihrem Zentrum im Technopark Zürich intensiv an zwei Projekten. Mit dem bestehenden Fahrzeug will Acentauri im September 2024 an der European Solar Challenge, einem 24-Stunden-Solarrennen im belgischen Zolder, teilnehmen. Gleichzeitig entwickelt das Team ein neues Fahrzeug für die Teilnahme an der nächsten Durchführung des australischen Rennens.
«Für die nächstjährige World Solar Challenge haben wir soeben erste Indikationen erhalten, was die geplanten Reglementsänderungen betrifft», erklärt Gian-Leo Willi, der bereits 2023 Teil des Einsatzteams von Acentauri war und sich derzeit um die Vorbereitung auf den zweiten Start von «Aletsch» am Rennen im belgischen Zolder kümmert. «Wir dürfen das Fahrzeug für 2025 von 5,00 auf 5,80 Meter verlängern und die Fläche der Solarzellen von 4 auf 6 Quadratmeter steigern. Ob wir das ausschöpfen und ob wir die Bauart unseres Fahrzeugs verändern, wird gerade im Team diskutiert.»
Das Fahrzeug «Aletsch» hat gewisse Ähnlichkeiten mit der «Spirit of Biel/Bienne II» und ist in der Bullet-Form gebaut, besteht also aus einem tropfenförmigen Cockpit mit einer umgebenden rechteckigen Fläche für die Solarzellen. Die neuen Vorgaben könnten jedoch auch für die Katamaran-Bauweise Vorteile bieten.
Die World Solar Challenge wird zum Winterrennen
Eine wesentliche Änderung ergibt sich beim Rennen in Australien durch die Verlegung vom australischen Frühling im Oktober in den August, wenn auf der Südhalbkugel Winter herrscht. «Dadurch verändern sich die Temperaturen, die Windverhältnisse sowie die Intensität und der Winkel der Sonneneinstrahlung», sagt Willi. «Da im Reglement die Kapazitätslimite der Batterie von 8 auf 3,5 kWh verringert wurde, dürfte sich das Rennen zu einem Strategiewettstreit wandeln.» Die kleinere Batterie habe zur Folge, dass häufiger schnell gefahren werde, anstatt bei langsamer Fahrt den Akku mit Sonnenenergie nachzuladen.
Acentauri wird auch weiterhin von der ETH unterstützt, nachdem aus einem Fokusprojekt der Hochschule ein ETH-Verein wurde. «Künftig wollen wir einen eigenen Elektromotor entwickeln, um den eines Zulieferers zu ersetzen», sagt Daniel Lagnaux.
Auch weiterhin werden die Mitarbeitenden dabei jedoch nicht bezahlt. «Aber schon heute arbeiten die Studenten ohne Entlöhnung», sagt Lagnaux. Zum Gesamtbudget, das von Sponsoren und Lieferanten, die ihre Produkte im Sach-Sponsoring zur Verfügung stellen, gedeckt wird, äussert sich das Schweizer Team nicht. Eine Indikation: Letztes Jahr verfügte das Sieger-Team über ein geschätztes Budget von rund 1,5 Millionen Franken.
Am 24-Stunden-Rennen in Zolder will Acentauri mit dem «Aletsch»-Fahrzeug einen Mittelwert von 70 Kilometern pro Stunde schaffen. «Das würde es uns erlauben, zu den Spitzenteams aufzuschliessen», sagt Gian-Leo Willi. «Ein Sieg wird jedoch kaum machbar sein. Zu stark ist die Konkurrenz aus Japan, den USA, Belgien und den Niederlanden.»
Und für die World Solar Challenge 2025 soll das neue Fahrzeug, das derzeit entwickelt wird, um den Sieg mitfahren. Man muss sich ja Ziele setzen. Das gilt auch für die Elektromobilität, bei der es darum gehen muss, möglichst viele Erkenntnisse aus den Solarrennen zu ziehen, um das emissionsfreie Fahren weiter zu optimieren.