Die Prüfung wissenschaftlicher Texte auf Plagiate ist wichtig, weil Betrug heute einfach ist. Doch wenn Plagiatsjäger Teil des politischen Wettbewerbs werden, ist Vorsicht geboten. Betrachtungen um den Fall Föderl-Schmid.
Plagiate sind ein ernstes Problem. Gibt ein Autor die publizierten Gedanken anderer als seine eigenen aus, handelt es sich um Diebstahl von geistigem Eigentum. Erschleicht sich ein Wissenschafter die Doktorwürde durch das Abschreiben anderer Schriften, ohne dies als Zitat auszuweisen, betrügt er zudem seine Universität, die Wissenschaft sowie die Gesellschaft mit dem Ziel, sich persönliche Karrierevorteile zu verschaffen. Diebstahl und Betrug sind Delikte, die gesellschaftlich geächtet sind, oft werden sie auch zivil- oder strafrechtlich geahndet. Dasselbe muss für Plagiate gelten.
Deshalb ist es richtig, dass Personen in hohen öffentlichen Ämtern zurücktreten, wenn ihnen die Doktorwürde wegen Erschleichung durch eine plagiierte Dissertation aberkannt wird. Von diesen Personen erwartet die Bevölkerung zu Recht ein hohes Mass an Integrität und Vertrauenswürdigkeit. Eine ertrogene Doktorwürde ist damit nicht zu vereinbaren.
In diese Kategorie fielen in den letzten Jahren manche bekannte Politikerinnen und Politiker wie 2011 der damalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und im selben Jahr die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Silvana Koch-Mehrin, 2013 die damalige deutsche Bildungsministerin Annette Schavan oder 2021 die Familienministerin Franziska Giffey. Hier kamen nicht nur die Politiker in Verruf, sondern auch die Professoren und Institute, die ihre Arbeiten aus Inkompetenz oder Nachlässigkeit trotz groben Mängeln abgenommen hatten.
Ein persönliches Drama in München
Aber was genau sind Plagiate? Und Hand aufs Herz – wer hat noch nie einen Satz übernommen?
In der Nacht auf Freitag wurde Alexandra Föderl-Schmid, eine der bekanntesten österreichischen Journalistinnen, vermisst. Suchtrupps der Polizei fanden sie am Freitag glücklicherweise lebend am Ufer des Inn und brachten sie in ein Spital. Der 53-jährigen stellvertretenden Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» («SZ») waren davor Plagiate in journalistischen Texten sowie «Plagiatsfragmente» in ihrer 1996 vorgelegten Dissertation vorgeworfen worden. Das Abschreiben einzelner Passagen aus allgemein verfügbaren lexikografischen Quellen hat sie zugegeben und sich dafür entschuldigt – ein Lapsus, der nicht vorkommen sollte, die berufliche Leistung der Topjournalistin aber auch nicht infrage stellt.
Journalisten lesen und nutzen bei ihren Recherchen eine riesige Menge an Informationen, meist in Textform. Vieles davon fliesst verarbeitet in die Gedanken und Analysen der Autoren ein. Natürlich gehört es zum Handwerk, nicht ganze Passagen aus anderen Texten ohne Kennzeichnung wörtlich zu übernehmen. Aber wo genau hört die Inspiration auf, wo beginnt das unzulässige Zitat? Was ist ein Flüchtigkeitsfehler, was ist der gezielte Raub fremden geistigen Eigentums? Das dürfte in vielen Fällen nicht eindeutig zu klären sein, wenn journalistische Texte unter die Lupe von Plagiatsjägern genommen werden.
Von der Nachlässigkeit zum Betrug
Die heutige breite Verfügbarkeit von Texten in digitaler Form macht das Plagiieren besonders leicht. Deshalb ist es unerlässlich, dass Universitäten gegenwärtige Forschungsarbeiten genau prüfen. Das war in der Zeit vor dem Internet noch anders. Bis in die frühen neunziger Jahre schlummerte das Wissen der Menschheit massgeblich in den grossen Universitäts- und Landesbibliotheken. Das veröffentlichte Wort war im Wesentlichen das auf Papier gedruckte Wort.
Für das korrekte Zitieren mussten die Bücher aus düsteren Bibliothekslagern herbeigeschafft, die bibliografischen Verweise ausführlich auf Karteikarten aufgeschrieben und bis zur Niederschrift der wissenschaftlichen Arbeit aufbewahrt werden. Das war zeitaufwendig, mühsam und erforderte Disziplin. Dass es hier bei vielen Autoren wohl mitunter zu kleineren Fehlern und Nachlässigkeiten kam, ist eine plausible Annahme.
Deshalb sollten heutige Plagiatsjäger mit ihren spezialisierten Computerprogrammen eine gesunde Portion Augenmass walten lassen, wenn sie Texte, zumal ältere, prüfen. Und sie sollten sich bewusst machen, wie wichtig der Ruf und die Integrität von öffentlich auftretenden Persönlichkeiten wie Politikern, Managern oder Journalisten sind. Bevor ein Autor als Plagiator öffentlich entlarvt wird, sollte sich der Ankläger kritische Fragen stellen: Gibt es ein öffentliches Interesse an dem Fall? Belegen die entdeckten Stellen im Text ausreichend den Verdacht, dass es sich hier um einen systematischen Betrugsversuch handelt? Oder sind es eher einzelne Fragmente und Nachlässigkeiten? Wurde der Person die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen?
Leider macht die gegenwärtige Praxis der Plagiatsjägerei eher den gegenteiligen Eindruck. Plagiatsvorwürfe gegen öffentliche Personen werden nicht selten ohne Vorwarnung veröffentlicht. Medien übernehmen diese ohne weitere Prüfung. Der Ruf der Person ist bereits angeschlagen, bevor sie sich zum Vorwurf äussern kann. In den sozialen Netzwerken werden die unbewiesenen Vorwürfe brutal ausgeschlachtet, und sie bleiben an der Person hängen; ganze Karrieren und das Selbstwertgefühl können irreparablen Schaden nehmen.
Das Plagiat wird zum Teil des politischen Wettbewerbs
Als neuster Trend scheint die Jagd nach Plagiaten gar zum Teil des politischen und medialen Wettbewerbs zu werden. Interessengruppen oder Medienschaffende setzen Plagiatsjäger gegen Entgelt auf öffentliche Personen an oder breiten entsprechende Vorwürfe ausschweifend aus, um den Gegner zu diskreditieren. Oder ist es Zufall, dass das konservative Online-Medium «Nius» ausgerechnet die Doktorarbeit der stellvertretenden Chefredaktorin der linksliberalen «SZ» überprüfen liess? Ist es Zufall, dass die «SZ» sehr ausführlich über Plagiatsvorwürfe zur Doktorarbeit der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel berichtete, die spätere Entkräftung durch Weidels Universität aber nur kurz vermeldete? In der Schweiz geriet unlängst eine prominente SVP-Nationalrätin ins öffentliche Visier eines Plagiatsjägers, ohne dass die Vorwürfe geklärt wurden.
Wer auf diesem Weg voranschreitet, lässt sich auf ein riskantes Spiel ein. Einerseits sitzen alle, die häufig publizieren, im Glashaus. Können sie sich absolut sicher sein, dass ihnen nie bewusst oder unbewusst eine kleinere übernommene Textstelle in einen ihrer Texte gerutscht ist? Anderseits wird sich die Waffe der öffentlichen Empörung über Plagiate rasch abnützen, wenn solche Vorwürfe zur Routine des politischen Wettbewerbs werden. Der im öffentlichen Interesse stehende Effekt der Abschreckung und des Schutzes des geistigen Eigentums würde damit geschwächt.
Deshalb seien allen Plagiatsjägern und ihren Auftraggebern ein Schuss Gelassenheit und eine Prise Nachsicht empfohlen. Wenn sich ihr Eifer auf die Entlarvung eindeutiger, relevanter Betrugsfälle konzentriert, ist der Öffentlichkeit der grösste Dienst erwiesen.