Gemäss dem Chef des weltgrössten Vermögensverwalters steht das Finanzsystem am Beginn eines fundamentalen Umbruchs, der durch Blockchain-Technologien vorangetrieben wird. Zur Verwirklichung seiner Vision fehlt aber noch ein entscheidendes Element: smarte Finanzkontrakte.
Es ist leicht, in den Chor der Lobeshymnen für Larry Fink einzustimmen – und etwas «billig», um in den Medien Aufmerksamkeit zu erregen, wenn man ihm widerspricht. Immerhin handelt es sich bei BlackRock um einen der erfolgreichsten Finanzdienstleistungskonzerne der Welt mit mehr als 10 Bio. $ an verwalteten Kundengeldern.
An Finks Vision einer kompletten Tokenisierung und «ETF-isierung» aller Finanzinstrumente, wie er sie unlängst in einem Interview mit Bloomberg TV dargelegt hat, sind dennoch Zweifel angebracht. Dies, weil mitunter kritische Elemente für die erfolgreiche Umsetzung von tokenisierten Finanzinstrumenten fehlen. Besonders bei Anleihen, strukturierten Produkten und Derivaten stehen erfolgreiche Anwendungen noch aus.
Bitcoin-ETF: Startschuss zur Transformation der Kapitalmärkte
Seit der Bewilligung mehrerer Bitcoin-ETF in den USA im Januar sind netto annähernd 7,5 Mrd. $ in die diversen Anlagevehikel geflossen. Anfangs handelte es sich um Umschichtungen aus verschiedenen existierenden Bitcoin-Anlagemöglichkeiten wie beispielsweise dem Grayscale Bitcoin Trust. Mit der Aussicht auf das bevorstehende Bitcoin Halving im April und einer allgemein höheren Risikobereitschaft der Anleger haben strukturelle Zuflüsse in Bitcoin-ETF jedoch kontinuierlich zugenommen.
Wenn man Larry Finks Kernaussagen genauer analysiert, lässt sich jedoch eine wesentlich grössere Vision erkennen: Wir erhalten einen vertieften Einblick in den Denkprozess von BlackRock zu Tokenisierung, Blockchain und Anwendungen basierend auf der Distributed Ledger Technologie (DLT).
In der Essenz geht es um die fundamentale Transformation der Kapitalmärkte anhand von Finanzinstrumenten unterlegt durch gemeinsam genutzte und synchronisierte digitale Daten. Resultieren sollen daraus Effizienzgewinne sowie automatisierbare Prozesse, die eine bessere und verlässliche Abstimmung von Finanzpositionen und Kontoständen ermöglichen.
Larry Fink beschreibt die Rolle von BlackRock in den zukünftigen, auf Blockchain-Technologien basierenden Kapitalmärkten wie folgt (die Reihenfolge seiner Aussagen wurde zum besseren Verständnis leicht abgeändert):
«Tokenization of Financial Assets [is a] technological transformation for financial assets [it will allow to] customize strategies through tokenization for every individual [and any investor. Blackrock will be] curating performance products [and] everything will be ETF’d.»
«Die Tokenisierung finanzieller Vermögenswerte [ist] eine technologische Transformation von Finanzanlagen, die es ermöglicht, Anlagestrategien durch Tokenisierung auf jeden individuellen Anleger [und jeden institutionellen Investor] zuzuschneiden. [BlackRock wird] Produkte für die Investment-Performance entwickeln [und] alles wird in ETF verpackt sein.»
Weiter erwartet Fink grosse Veränderungen beim Zugang zu allen Anlagekategorien, da die höhere Effizienz dank der neuen Technologien sowohl für Privatanleger als auch für institutionelle Investoren neue Anlagemöglichkeiten bieten wird.
Umbruch in der Vermögensverwaltung
Die Vision, die hier von einem der führenden Köpfe der Wallstreet und der globalen Finanzmärkte ausgebreitet wird, wird tiefgehende Auswirkungen auf alle Akteure im Finanzsystem haben.
Einige bereiten sich schon länger darauf vor und sind vorne mit dabei: UBS (ursprünglich mit Fnality), Franklin Templeton und Fidelity (tokenisierte Treasuries und Geldmarktfonds), KKR, Apollo und Partners Group (tokenisierte Fondsanteile).
Wer den CEOs bei Fidelity und Franklin Templeton – Abigail Johnson und Jenny Johnson (nicht verwandt) – genau zuhört, hat schon lange erraten, dass sie es mit eben dieser Tokenisierungs-Technologie auf das (allzu) profitable Geschäft der Private-Equity-Industrie abgesehen haben. Als grosse Vermögensverwalter wollen sie mit effizienten und transparenteren tokenisierten Instrumenten ihren privaten und institutionellen Kunden mehr Anlageinstrumente bieten, besonders bei verbrieften Krediten und privaten Märkten.
Dumme Token: Gefahr für das Finanzwesen
Um die Vision von tokenisierten Finanzinstrumenten in die Realität umzusetzen, fehlt aber noch ein entscheidendes Element: Während bei der Tokenisierung von Bargeld, Bargeld-ähnlichen Anlagen wie Deposit Tokens und Treasuries und bei tokenisierten Fondsanteilen schon viel Dynamik herrscht, gibt es bei der Tokenisierung von Anleihen, strukturierten Produkten und Derivaten bisher nur geringe Fortschritte.
Dieser Umstand hat nicht nur mit einem Mangel an Infrastruktur und an der Entwicklung von Sekundärmärkten zu tun. Das Problem liegt auch an der Art und Weise, wie Anleihen und strukturierte Produkte gegenwärtig tokenisiert werden.
Bei der Tokenisierung von Bargeld ist die Beziehung zwischen dem Token und dem zugrunde liegenden Asset klar. USD Stablecoins zum Beispiel sind mit amerikanischen Dollar unterlegt, und Deposit Token mit der Verpflichtung einer Bank, Geld auszuzahlen. Bei der Tokenisierung einer Anleihe oder anderer Cashflow-basierter Finanzinstrumente wird die Sache etwas komplizierter. Der Grund dafür liegt darin, dass Rechte (Aktiva) und Verpflichtungen (Passiva) des zugrunde liegenden Finanzinstruments tokenisiert werden müssen.
Gegenwärtig werden bei der Tokenisierung von Anleihen, strukturierten Produkten und Derivaten vorwiegend «dumme» Token generiert. Nämlich solche, die bloss auf ein PDF oder auf eine andere Datenbank zeigen, wo mehr Informationen zum betreffenden Instrument verfügbar sind.
Um jedoch das Potenzial für die Innovation in den neuen, DLT-basierten Kapitalmärkten auszuschöpfen, muss die technische Implementierung eines Tokens, der solche Anlagen repräsentiert, umfassender sein als nur ein Eintrag in einem DLT-Register, das auf ein elektronisch verwahrtes Stück Papier (in der Regel ein Term-Sheet im PDF-Format) verweist.
Innovation durch Smart Financial Contracts
Die Essenz des Finanzwesens ist der Austausch von Cashflows auf einer Zeitachse. Eine – wenn nicht sogar die kritische – Komponente ist daher der Finanzkontrakt. Er bildet eine Vereinbarung ab, die Parteien über den Austausch von Zahlungen abschliessen. Um eine Revolution des Finanzwesens – wie von Larry Fink beschrieben – zu ermöglichen, müssen die Finanzinstrumente deshalb selbst zuerst von Grund auf digitalisiert und standardisiert werden.
Die Branche muss sich dazu auf die entscheidende Komponente des Finanzwesens rückbesinnen: eben den Finanzkontrakt, also die vertragliche Abmachung zwischen Parteien über die Muster der Cashflows. Finanzkontrakte sind in ihrer Natur digital, algorithmisch und standardisierbar und können daher ideal von Maschinen verarbeitet werden. Voraussetzung für Innovation im Finanzbereich und in traditionellen Systemen sind folglich ein standardisiertes Datenmodell und standardisierte, konsistente Algorithmen zu den Cashflow-Mustern bei Finanzkontrakten.
Der (unter anderem) in der Schweiz entwickelte Open Source ACTUS Finanz Standard (Algorithmic Contract Type Unified Standard) schliesst diese Lücke. Seine Verwendung bei der Tokenisierung von Anleihen, strukturierten Produkten sowie Derivaten ist die Vorbedingung für eine effizientere Preisbildung. Sie ermöglicht die lange erhoffte Automatisierung im Back-Office und bei der Abwicklung administrativer Prozesse in der Vermögensverwahrung generell.
Fazit
Wenn BlackRock die Ansage macht, dass in Zukunft alles tokenisiert und die gesamte Infrastruktur der Kapitalmärkte zukünftig auf DLT-basierten Systemen aufgebaut wird, dann sollten sich alle Marktteilnehmer fragen, wie sich diese Transformation auf ihre Rolle in der Wertschöpfungskette auswirkt.
Die Tokenisierung von Bitcoin, Bargeld und von Bargeld-ähnlichen Anlagen ist einfach im Vergleich zur Tokenisierung von Cashflow-basierten Finanzinstrumenten wie Anleihen, strukturierten Produkten und Derivaten. Ohne ein standardisiertes, von Maschinen lesbares und verarbeitbares Term-Sheet, das auf einem offenen Standard basiert, wird tokenisierten Kapitalmärkten leider kein Erfolg beschieden sein.
Ralf Kubli
Ralf Kubli kommentiert für The Market aktuelle Trends in den Bereichen Blockchain, Krypto sowie Innovationen im Kapitalmarkt. Er ist im Vorstand der Casper Association und bei mehreren Blockchain-Firmen tätig, unter anderem als Verwaltungsrat. Seine berufliche Laufbahn begann er im Bereich M&A und Management in der traditionellen Industrie. 2015 stiess er durch ein Fintech-Investment auf die Blockchain-Technologie. 2017 kam er dank einer Venture-Capital-Firma ins Zuger Crypto Valley. Als Investor, Berater und Verwaltungsrat beschäftigt er sich seither mit den Auswirkungen und Opportunitäten dezentraler Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft.
Weiterführende Literatur:
Link zum Bloomberg TV Video mit Larry Fink: https://www.youtube.com/watch?v=HTveRlW7QPo
Das Problem mit dummen Token:
https://www.youtube.com/watch?v=nMmxZYBf0Vg
Rekonstruktion der Silicon Valley Bank – Forward looking Risk Management with ACTUS:
https://youtu.be/1OxFWdxF0LE?feature=shared