Gegen Dani Alves läuft ein Prozess wegen mutmasslicher Vergewaltigung. Der Präzedenzfall zeigt, dass sich auch im Fussballmilieu etwas ändert. Selbst wenn das Ewiggestrige nicht wahrhaben wollen.
Ende Juli 1987 fand im Berner Wankdorf-Stadion der Philips-Cup statt. Neben YB, Xamax und Benfica Lissabon war auch der brasilianische Spitzenklub Grêmio Porto Alegre eingeladen. Im Teamhotel lockten Spieler des südamerikanischen Klubs die 13-jährige Sandra mit der Aussicht auf ein Fantrikot in ihr Zimmer und vergewaltigten sie.
Nach 30 Tagen Untersuchungshaft kehrten sie in ihre Heimat zurück, der Prozess fand in ihrer Abwesenheit statt; eine Psychiaterin berichtete darin von einem Selbstmordversuch der Jugendlichen. 1989 verurteilte das Amtsgericht Bern drei Angeklagte zu 15 Monaten auf Bewährung, darunter der Stürmer Alexi «Cuca» Stival, dessen Spermaspuren am Körper des Mädchens gefunden worden waren. Er avancierte zum Nationalspieler und begann später eine lange Trainerkarriere.
Im Februar 2024, diese Woche, sass der Brasilianer Dani Alves vor dem Provinzgericht Barcelona. Der mit 43 Titeln nach Lionel Messi zweiterfolgreichste Fussballer der Geschichte soll in der Nacht auf Silvester 2022 im VIP-Bad eines Nachtklubs der Stadt eine 23-jährige Frau vergewaltigt haben. Seit über einem Jahr sitzt er in Untersuchungshaft, das Urteil soll bis Monatsende ergehen. Die Staatsanwaltschaft fordert neun Jahre Gefängnis, das mutmassliche Opfer als Nebenklägerin zwölf Jahre. Das Mindeststrafmass im Falle eines Schuldspruchs wären vier Jahre.
In Spanien gilt «Nur Ja heisst Ja»
Die Zeiten haben sich geändert seit dem skandalösen Urteil von Bern, zumal im Zuge der #MeToo-Bewegung. Die Gesellschaft zeigt dem Allmachtdünkel von Prominenten zunehmend die rote Karte. In Spanien entsorgte ein selbstbewusster Feminismus den übergriffigen Fussballverbandschef Luis Rubiales. Versinnbildlichte dessen Kuss auf den Mund von Jenni Hermoso den (Fussball-)Machismus vor allem symbolisch, geht es bei Alves um heftigere Vorwürfe. Doch auch hier handelt es sich um einen Präzedenzfall.
Im spanischen Sexualstrafrecht gilt seit 2022 der Grundsatz «Solo sí es sí». Das bedeutet zwar keine Umkehrung der Beweislast, aber eine signifikante Nuancierung. Etwa wird ein Flirt oder ein Küssen nicht mehr automatisch als Einverständnis zu sexuellen Handlungen gedeutet, wie es lange Praxis in Verfahren war, bei denen Aussage gegen Aussage steht. Die Frau muss sich auch nicht mehr, wie früher trotz der von Angst und Einschüchterung geprägten Situation verlangt, aktiv gegen Gewalt gewehrt haben. Also nicht nur «Nein heisst Nein», sondern eben: «Nur Ja heisst Ja.»
«Es ist mir egal, ob meine Mandantin ‹getwerkt› hat», sagte die Anwältin der Frau während des Prozesses zu Vorhaltungen der Gegenseite, diese habe vorher mit Alves diese sexuell aufgeladene Tanzform praktiziert: «In dieser Debatte sind wir nicht mehr.»
Derweil zielt die Strategie der Verteidigerin in althergebrachtem Sinne darauf ab, das Verhalten der Frau und ihr freiwilliges Betreten des WC insoweit als Einverständnis zu deuten, als es für Alves, zumal angeblich betrunken, unmöglich gewesen sei, zu erkennen, ab welchem Moment sie Nein gesagt habe. «Die gesellschaftlichen Veränderungen können nicht die Verletzung anderer Grundrechte rechtfertigen», argumentierte sie.
Ein Verweis auf die Unschuldsvermutung – die Alves allerdings nach Kräften selbst demontiert hat. Schon beim ersten Verhör änderte er dreimal seine Version der Dinge. Erst Monate später räumte er den Geschlechtsverkehr ein, erst im Prozess kam der angebliche Alkoholkonsum dazu, der ihn nicht daran hinderte, sich in allen Details an die seiner Aussage nach einvernehmlichen Sexualhandlungen zu erinnern. «Señor Alves hat so viele Erklärungen abgegeben, dass wir gar nicht mehr mitkommen», sagte die Staatsanwältin. «Ich glaube, das liegt daran, dass er sich unantastbar fühlte.»
Die Zeiten haben sich geändert – aber haben es auch alle mitbekommen? Diese Frage stellt sich besonders im Fussballermilieu, wo Hugo Mallo, ehemaliger Profi von Celta de Vigo, vor einem Spiel bei Espanyol Barcelona das – weibliche – Maskottchen in einem Ausmass betatschte, das ihn im Juli vor Gericht bringen wird. Der Alves-Clan wiederum lieferte eine Show ab, von der sich die Behörden geradezu verhöhnt fühlen mussten.
Seine Ex-Frau zog mit den gemeinsamen Kindern nach Barcelona, um das Fehlen von Fluchtgefahr zu demonstrieren und Alves aus der Untersuchungshaft zu bekommen. Die Mutter enthüllte entgegen der richterlichen Auflage die Identität des mutmasslichen Opfers. Und Alves’ heutige Ehefrau Joana Sanz sagte der Presse erst, sie sei in der Tatnacht bei ihrer kranken Mutter auf Teneriffa gewesen – um jetzt im Prozess mit der Aussage auszuhelfen, Alves sei betrunken und torkelnd zu ihr nach Hause gekommen.
Sanz zeigte sich danach Arm in Arm mit Mutter Alves und in einem Outfit, welches das Provinzgericht vorübergehend in einen Laufsteg zu verwandeln schien. Auch einer der Brüder von Alves kleidete sich so schillernd, wie es der Profi zu seinen besseren Zeiten selbst gern tat. Als ob Styling und Glamour die Justiz doch noch in Ehrfurcht vor der Prominenz des Angeklagten erstarren lassen könnten.
Letzte Zuckungen einer untergehenden Kultur, die den Fussballstars so die Sinne vernebelt hat, dass sie junge Frauen wie Drinks auf Handzeichen über den Kellner in ihre VIP-Logen bringen lassen? Dass sie diese beim Sex dann zwingen, zu sagen: «Ich bin deine kleine Nutte»? So soll es laut Aussagen im Fall Alves geschehen sein, und so lebt das Trauma jener Nacht beim mutmasslichen Opfer seither fort.
Etliche Zeugenaussagen illustrierten die harte Wirklichkeit einer Frau, die sich zu einem extrem medialen Gerichtsverfahren durchgerungen hat. Sie gehe nicht mehr arbeiten, kaum aus dem Haus und sei in psychiatrischer Behandlung. Gleichzeitig hoffen Experten durch den Fall auf einen Aufklärungseffekt für Frauen und einen Abschreckungseffekt für Stars.
Den Vergewaltiger demonstrativ gefeiert
Dass sich die Zeiten geändert haben, ein bisschen jedenfalls – das verstehen viele im Profifussball nicht einmal auf Druck von aussen. Letztes Jahr verpflichtete Corinthians São Paulo den Trainer Stival, einen der Vergewaltiger von Bern. Proteste aus der Fanszene und vom Frauenteam zwangen ihn bald zum Rücktritt.
Doch seine Spieler liessen ihn nach seinem letzten Match demonstrativ hochleben, und der Trainer selbst sieht sich dadurch rehabilitiert, dass das Berner Regionalgericht kürzlich den Prozess von damals wegen Verfahrensfehlern annullierte. Das Opfer erfuhr das nicht mehr. Wie aus Justizquellen berichtet wurde, ist Sandra schon mit 28 Jahren verstorben.
Stars unter Anklage
Fussballstars unter Vergewaltigungsverdacht sorgen immer wieder für Schlagzeilen und Gerichtsverfahren. Einige der prominentesten Fälle der letzten Jahre betreffen Weltfussballer, Welt- und Europameister.
Cristiano Ronaldo. Der Rekordtorschütze der Fussballgeschichte wurde 2009 von Kathryn Mayorga der Vergewaltigung in einem Hotel in Las Vegas bezichtigt. 2010 kam es zu einer aussergerichtlichen Schweigevereinbarung. Ab 2018 versuchte die Amerikanerin, den Deal anzufechten und das Verfahren wieder aufrollen zu lassen. Die Gerichte nahmen zunächst die Ermittlungen wieder auf, wiesen die Klagen aber schliesslich ab.
Robinho. Der 100-fache brasilianische Nationalspieler wurde in Italien durch alle Instanzen zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Während seiner Zeit bei der AC Milan vergewaltigte er 2013 mit weiteren Männern eine 23-Jährige in einer Diskothek. Weil Brasilien keine Staatsbürger ausliefert, lebt er in seinem Heimatland auf freiem Fuss. 2020 wollte ihn der FC Santos verpflichten, zog das Angebot auf Druck der Sponsoren aber zurück.
Benjamin Mendy. Der französische Weltmeister von 2018 stand vier Jahre später in England unter dem Verdacht der Vergewaltigung in acht Fällen vor Gericht. Frauen berichteten von einem «Panikraum» in der Villa des Profis von Manchester City. Im Laufe des Jahres 2023 wurde er von allen Anklagen aus Mangel an Beweisen freigesprochen und hat seine Karriere beim FC Lorient in seinem Heimatland wieder aufgenommen.
Santi Mina. Der Schütze von 84 Toren in Spaniens Liga für Vigo und Valencia wurde 2022 wegen Vergewaltigung zu vier Jahren Haft verurteilt. Er soll 2017 die Sexualpartnerin eines Freundes in einem Wohnwagen missbraucht haben. Derzeit laufen Berufungen beider Seiten vor dem Obersten Gericht Spaniens. Mina, 26, ist im Moment ohne Verein.
William Carvalho. Im vorerst jüngsten Fall wurde der portugiesische Mittelfeldspieler von Betis Sevilla am Dienstag von einer Ermittlungsrichterin vernommen. Eine Frau wirft ihm vor, sie vorigen Sommer unter Drogen gesetzt und in einem Hotelzimmer vergewaltigt zu haben. Der Europameister von 2016 betont seine Unschuld.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»