Die Ethnologin spricht von einer «Mobbingkampagne» – und beklagt, dass es keine kritische Islamforschung mehr gebe in Deutschland.
Als in dieser Woche der islamistische Terrorist Issa al-Hasan zu einer lebenslänglichen Haftstrafe mit anschliessender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, zeigte sich wieder einmal, wie akut der Islamismus in Deutschland die öffentliche Sicherheit bedroht. Hasan hatte im vergangenen Jahr auf einem Stadtfest in Solingen unter «Allahu akbar»-Rufen drei Menschen mit einem Messer ermordet und acht weitere verletzt.
Über die Bedrohungslage hinaus ist nahezu alles andere am Phänomen Islamismus Gegenstand intensiver Debatten: wie sehr es sich vom Islam unterscheidet, was seine sozioökonomischen Ursachen sind und wie sich islamistische Radikalisierung verhindern lässt.
Genau diesen Fragen widmet sich das 2014 von der mittlerweile emeritierten Ethnologieprofessorin Susanne Schröter gegründete Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI). Es ist an der Goethe-Universität angesiedelt, jedoch nicht in der «Organisationsstruktur» verankert, wie es vom Pressesprecher der Universität auf Anfrage heisst.
Der Think-Tank war zunächst an Schröters Professur gekoppelt und wurde ab 2023 im Rahmen von Schröters Goethe-Forschungsprofessur weitergeführt, die durch Drittmittel finanziert wurde. Mit dem planmässigen Auslaufen dieser Professur löst sich Ende September nun auch das Zentrum auf. Zwei Mitarbeiter werden nicht weiterbeschäftigt.
«Es gibt keine kritische Islamforschung mehr an den Universitäten in Deutschland», konstatiert Schröter im Gespräch mit der NZZ, für die sie immer wieder als Gastautorin tätig ist. Die Islamforschung an den Universitäten sei «fast ausschliesslich affirmativ»: Kritische Forschung etwa zu nichtjihadistischen Strömungen des Islamismus werde weitgehend abgelehnt oder unter den Verdacht des antimuslimischen Rassismus gestellt. Im Gegensatz dazu wolle das FFGI liberale und extremistische Strömungen des Islam sichtbar machen.
Schröter beklagt «Mobbingkampagnen» gegen sie und das FFGI. Sie kritisiert eine Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit, die sie auf eine «Dominanz postkolonialer Theorie» zurückführt. Ist das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam also einer Cancel-Kampagne zum Opfer gefallen?
Streit um die Nachfolge auf Schröters Lehrstuhl
Zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn hatte sich Schröter als Ethnologin noch hauptsächlich mit religiös-politischen Fragen Südostasiens beschäftigt. Seit der Gründung des FFGI weitete sie ihren Forschungsschwerpunkt aus. Sie veröffentlichte mehrere Bücher und meldete sich häufig in den Medien zu Wort. Nicht immer hingen diese Wortmeldungen unmittelbar mit ihrer Forschung zusammen.
Ihr zuletzt erschienenes Buch etwa, das sich mit der «woken Linken» beschäftigt, die «Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft» bedrohe, wurde von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» als «Kampfschrift» im «alarmistischen Ton» eingeordnet. Dennoch habe Schröter «durchaus Punkte» in ihrer Kritik einer sich formenden Allianz aus Islamisten und Linken, räumt das Blatt ein.
Als das Ende des FFGI absehbar gewesen sei, habe sie die Hoffnung gehabt, einen Nachfolger mit islamwissenschaftlichem Schwerpunkt für ihren Lehrstuhl zu finden, erzählt Schröter. Sie habe damals für eine «vorgezogene Nachberufung» Geld eingeworben, so dass ihre Stelle noch während ihrer Amtszeit hätte nachbesetzt werden können. Allerdings sei diese Nachfolge gescheitert und eine «sehr geeignete» Person sei, so Schröter, nicht berufen worden. Nun hat eine Mexiko-Expertin die Stelle übernommen.
Auf Anfrage erklärte ein Pressesprecher der Goethe-Universität, eine «Berufungskommission im Sinne der Bestenauslese» sei zuständig gewesen. Dass der Schwerpunkt von Lehrstühlen sich verschiebe, wenn Professoren emeritiert würden, sei «im Universitätsbetrieb fast immer der Fall».
Bei einer Migrationskonferenz kam es 2023 zum Eklat
Die vom Zentrum ausgerichteten Konferenzen, die sich auch an eine nichtakademische Öffentlichkeit richteten, seien das «Herzstück» des Forschungszentrums, heisst es in einer Broschüre. Damit verbunden sei das «Bemühen, unserer Gesellschaft wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Verfügung zu stellen». Man fungiere als Anlaufstelle für Institutionen, Behörden und die Medien.
Dieser Ansatz angewandter Wissenschaft, verbunden mit dem islamismuskritischen Profil des Zentrums, brachte Schröter den Vorwurf ein, die Arbeit des FFGI sei unwissenschaftlich, gar aktivistisch. In einem Beitrag des islamwissenschaftlichen Magazins «Zenith» war 2023 von einer «Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit» die Rede. So verfüge das Zentrum nicht über die notwendige Zahl von Fachpublikationen, um wissenschaftlich relevant zu sein. In einer Replik warf Schröter den Autoren des Textes «Halbwissen» vor, sie seien nicht mit den «Publikationsgepflogenheiten» unterschiedlicher Fachrichtungen vertraut.
Im Rahmen der FFGI-Konferenzen zu Migration, Islamismus oder zum Antisemitismus nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 schlugen Schröter massive Anfeindungen entgegen, wie sie in der akademischen Welt eher unüblich sind. Schon 2019 forderten anonyme Studenten anlässlich einer von ihr ausgerichteten Konferenz zum islamischen Kopftuch ihre Entlassung und erklärten sie zur Rassistin.
An einer Konferenz im April 2023 zur Steuerung von Migration kam es zum Eklat. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer wurde von Gegendemonstranten als Nazi beschimpft und entgegnete, die Rufe ähnelten dem «Judenstern». Hinzu kam, dass er in seinem darauffolgenden Vortrag mehrfach das N-Wort verwendete.
Im Nachgang wurde das FFGI vom Universitätspräsidenten öffentlich kritisiert. Das Zentrum distanzierte sich von Palmer und wurde dennoch Ziel eines offenen Briefs von mehr als 200 Wissenschaftern, unter ihnen viele Ethnologen, die dem Zentrum Billigung von Rassismus vorwarfen. Das FFGI wehrte sich wiederum mit Gegenbriefen und Solidaritätsbekundungen.
Man habe sich stets für Wissenschaftsfreiheit eingesetzt, sagt die Goethe-Universität
Etwa ab diesem Zeitpunkt scheint das Projekt FFGI sich verlangsamt zu haben: Wo vorher Gastbeiträge von assoziierten Wissenschaftern auf der Website veröffentlicht worden sind, finden sich nun hauptsächlich offene Briefe, Solidaritätsadressen und Verweise auf Schröters Arbeit. Die Abgrenzung ihrer eigenen Tätigkeit von der des Zentrums wurde von aussen schwieriger.
Neben ihr und den von ihr betreuten Doktoranden seien es zunehmend ehrenamtliche Mitarbeiter gewesen, die Konferenzen organisiert und für das Zentrum gearbeitet hätten, erzählt Schröter. Zudem habe die Universität Schröters wichtigsten Mitarbeiter auf eine andere Stelle versetzt, erklärt sie, da er Angestellter der Universität gewesen sei.
Gleichzeitig hatte sich die Bedrohungslage verschärft. Schröter spricht von einem «Klima der Anfeindungen». Weil sich das Zentrum keinen Sicherheitsdienst leisten konnte und Störungen vermeiden wollte, wurde seine letzte, internationale Konferenz Ende August dieses Jahres gar nicht erst öffentlich beworben.
Das Universitätspräsidium wehrt sich gegen den Vorwurf, es habe das FFGI nicht ausreichend gegen Anfeindungen geschützt. Man habe sich «stets für die Wissenschaftsfreiheit und gegen Boykottaufrufe positioniert», erklärt ein Pressesprecher. Jedoch müssten Wissenschafter auch verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umgehen. Der Tenor: Protest gegen Veranstaltungen müsse man aushalten.
Neben der nicht abebben wollenden Kritik und den lautstarken Protesten, die ihre Veranstaltungen in den vergangenen Jahren begleiteten, erhielt Susanne Schröter viel Zuspruch aus der Politik. Die hessische CDU-Fraktion bezeichnet das FFGI auf Anfrage als «Leuchtturmprojekt», dessen «herausragende wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung» man weiter unterstützen wolle.
Schröter kann sich da etwas vorstellen: Sie wünsche sich ein vergleichbares Forschungszentrum auf Landes- oder Bundesebene, sagt sie. Ausserhalb der Beschränkungen einer Universität. Ob sie dabei auf die hessische CDU-Fraktion zählen kann, ist ungewiss: Man wolle eine «tragfähige Lösung» entwickeln, heisst es vage aus der Fraktion. Doch Susanne Schröter wird wohl auch ohne ihr Islamforschungszentrum der gesellschaftlichen Debatte erhalten bleiben.