Der Milliardär Jeff Bezos mischt sich bei der «Washington Post» in redaktionelle Belange ein. Die Folgen sind bis anhin positiv.
Warnungen und viel Empörung – das war Ende Februar die Antwort vieler Medien auf ein internes E-Mail des Amazon-Gründers und Multimilliardärs Jeff Bezos. Als Eigentümer der «Washington Post» hatte Bezos seiner Belegschaft eine Neuausrichtung der Meinungsseiten angekündigt.
Der Unternehmer schrieb seinen Redaktoren vor, man möge doch nicht mehr bloss von linksprogressiver Warte gegen «persönliche Freiheiten» und «freie Märkte» anschreiben. Vielmehr solle man diese Grundpfeiler einer freien Gesellschaft verteidigen. Meinungen, die dem widersprächen, müssten künftig woanders erscheinen – also nicht in Bezos’ Zeitung.
Journalisten zetern über «Unterwerfung»
Für die linke deutsche «Tageszeitung» war das eine «politische Unterwerfung» von Bezos, «vor dem Zeitgeist, vor Donald Trump, vor Elon Musk». Mit der «Washington Post» falle «eine der stärksten Kräfte der sogenannten vierten Gewalt».
Andere Medien fragten, ob Bezos nun «vor Trump kuscht» («Aargauer Zeitung»); der «Spiegel» witterte einen «fortschreitenden Richtungswechsel des Blattes», und das Online-Portal Nau.ch sah gar die Zukunft der Pressefreiheit in Gefahr.
Man hätte schon damals einwenden können, dass eine vom Eigentümer Bezos angeordnete politische Kursänderung kein Skandal sei, sondern sein gutes Recht, von dem Eigentümer in den USA schon immer Gebrauch gemacht hätten. Zudem gibt es in Redaktionen amerikanischer Medien eine interne Brandmauer zwischen normaler Berichterstattung und Meinung.
Ebenso hätte man einwenden können, dass Bezos’ Intervention mit Pressefreiheit nichts zu tun habe, weil diese gemäss dem Ersten Verfassungszusatz als Schutz vor dem Gesetzgeber zu verstehen ist. Allenfalls hätte man fragen können, ob Bezos’ Wunsch nach mehr freiheitlichen Kommentaren eine gute Geschäftsidee sei. Schliesslich wird diese Haltung publizistisch unter anderem vom «Wall Street Journal» oder vom «Reason»-Magazin bereits zur Genüge beackert.
Zehn Meinungen, alle gegen Trump
Stattdessen äusserten zahlreiche andere Medien die Befürchtung, die für die Aufdeckung der «Watergate»- und «Pentagon Papers»-Skandale berühmte «Washington Post» werde ein neues Trump-Organ. Weshalb ihr das Schicksal ihres eigenen Mottos «Democracy dies in darkness» blühen könnte.
Wie verfehlt das Urteil war, zeigte letzte Woche ein Blick in die Meinungsseiten der «Post». Am Tag nachdem Donald Trump überraschend seinen Zollkrieg für 90 Tage ausgesetzt hatte, kritisierten sechs Kolumnisten, drei Meinungsbeiträge und ein Podcast die Tarifpolitik des US-Präsidenten. Dies zum Teil in harschen Tönen.
Zwar folgten sie damit brav der Vorgabe von Jeff Bezos, für freie Märkte einzutreten, da Handelszölle à la Trump der Idee des Freihandels widersprechen. Gleichzeitig kann aber keine Rede davon sein, dass die «Washington Post» vor Trump kusche oder sich vom Geist einer freien Presse entfernt habe.
Linksideologischer Journalismus ist out
Die Medienkritiker im Fall Bezos lagen kreuzfalsch. Sehen konnte man das kurz nach der Ankündigung des Amazon-Gründers zur politischen Neuausrichtung der Meinungsseiten. Auf X hielt Bezos schon am 2. März fest, Zölle seien ein «sehr vernünftiges Thema für die neuen Meinungsseiten», unter anderem wegen ihrer «schädlichen und verzerrenden Wirkung».
Bezos’ Bekenntnis zu freien Märkten mag klassisch liberal sein und damit vom bisher linken, den Demokraten wohlgesinnten Kurs der «Washington Post» abweichen. Vom Protektionismus und Merkantilismus der Trumpschen Zollpolitik ist er indes weit entfernt.
Bezos’ Wunsch nach einer liberaleren Haltung auf den Meinungsseiten der «Washington Post» lässt sich auch wirtschaftlich begründen. Linksideologischer Journalismus mit seiner Fürsprache in Bezug auf Diversität, Inklusion und «soziale Gerechtigkeit» sowie prodemokratische Parteipropaganda verkaufen sich nicht mehr.
Die monatlichen Besuche auf der Website der Zeitung sind seit November 2020 von 114 auf 54 Millionen gesunken. 2024 verzeichnete man 250 Entlassungen, einen Verlust von 100 Millionen Dollar und 500 000 Abo-Kündigungen. Die Hälfte der Kündigungen ging wohl darauf zurück, dass viele Leser empört darüber waren, dass die «Post» auf Bezos’ Anweisung auf eine Wahlempfehlung für Kamala Harris verzichtet hatte.
Aber der langfristige Trend scheint den Spruch «Go woke, go broke» zu bestätigen. Dass die «Post» von links wieder in die Mitte gerückt ist, macht sie bis anhin jedenfalls nicht zum Lakaien Donald Trumps. Sondern lesbarer und besser.