Gibt es einen erfolgreicheren Comedian? Seine Sitcom «Seinfeld» ist amerikanisches Kulturgut. Am Montag wird der New Yorker siebzig Jahre alt.
Es ist faszinierend. Jerry Seinfeld ist einer der erfolgreichsten Komiker der letzten Jahrzehnte, vielleicht der erfolgreichste überhaupt. Aber er ist gar nicht besonders lustig. Nehmen wir diese Nummer über das Schweizer Sackmesser, sie geht so: «Ich war einmal in der Schweiz. Die Schweizer Armee war 200 Jahre lang nicht im Krieg, sie kann von Glück reden! Haben Sie dieses Schweizer Armeemesser gesehen?», fragt er ins Publikum. «Korkenzieher! Flaschenöffner! Nagelfeile!»
Nein, mit dem Ding wolle man doch in keine Schlacht ziehen, meint der junge Jerry Seinfeld, als er Anfang der 1980er Jahre in der «Tonight Show» auf sich aufmerksam macht. Das Swiss Army Knife tauge zu nichts. Es sei denn, man befände sich in einem «Abendessen-Krieg»: «Der Typ hat einen Löffel! Ich habe den Zehennagelknipser, zurück mit dir! Ich schneide dir den kleinen Zeh ab! Es dauert drei Wochen, bis er nachwächst.»
Es ist eine frühe Comedy-Nummer, die aber schon charakteristisch ist für den Mann, der am Montag siebzig Jahre alt wird. Nach allen Massstäben der Kunst ist die Witzelei nicht weiter ausgetüftelt oder etwa krass. Konstruiert ist sie ohne weltbewegende Ambition. Der Gag geht von etwas x-Beliebigem aus.
Ein Alltagsgegenstand wird seziert. In einem skurrilen Setting («Abendessen-Krieg») bringt Seinfeld das Ding dann amüsiert zur Anwendung. Und am Ende rundet er in einem Nachsatz, der nicht viel zur Sache beiträgt («. . . bis der Zeh nachwächst»), die Pointe mit einer Prise Nonsens ab.
Der Auftritt macht’s
Es ist nichts falsch daran. Aber auch nichts zwingend. Zumindest auf Papier macht der Witz wenig her. Kein Leser wird vor Lachen den Morgenkaffee über der Zeitung ausgeprustet haben. Wer jedoch Jerry Seinfeld kennt und sich vorstellt, wie er die Nummer vorträgt, mit seiner spitzbübischen Freude über eine völlig unerhebliche Erkenntnis, mit seiner etwas quäkigen aufgeregten Stimme auch – der versteht.
Der Auftritt macht’s. In der «New York Times» wurde er einmal gefragt, wieso er keine Witze in den sozialen Netzwerken poste. «I don’t hear the laugh», antwortete er. Damit meinte er nicht (oder nicht nur), dass er den Applaus brauche. Er braucht eine Reaktion. Er muss wissen, woran er ist.
In einem andern Interview erklärte er, dass es Nummern in seinem Repertoire gebe, auf die zwar Verlass sei: «Es ist ein guter Witz, die Leute mögen ihn, jedes Mal, wenn ich ihn bringe, funktioniert er.» Aber am Ende sei die Ausführung entscheidend: «Wenn ich nur einen winzigen Hänger habe, nur eine Kleinigkeit in der ersten Silbe stocke, dann ist der Witz hinüber.»
Um die Lockerheit geht es. Lockerer als Jerry Seinfeld steht keiner da. Seine Auftritte wirken wie aus dem Ärmel geschüttelt. Doch sind sie in Wahrheit minuziös einstudiert. Komik kommt von Kontrolle, weiss der Workaholic. «Witze sind enorm brüchig», sagt Seinfeld.
Fortsetzung der Stand-up-Comedy
Der Gig ist der halbe Gag. Und trotzdem verdanke Seinfeld seinen durchschlagenden Erfolg nicht der Bühnenshow, möchte man einwenden. Aber das stimmt höchstens halb. Denn «Seinfeld», die Sitcom, die ihn superreich und berühmt gemacht hat, war nie etwas anderes als die Fortsetzung seiner Stand-up-Comedy mit anderen Mitteln.
«Seinfeld» ist Seinfeld. Die Fernsehsendung verfolgt über 180 Folgen und neun Jahre (1989 bis 1998) den Alltag eines Komikers. Nichts anderes war die Idee von Larry David («Curb Your Enthusiasm») und ihm: Was macht ein Komiker den lieben langen Tag?
Jerry Seinfeld spielt sich selbst. Er lebt in New York neben einem Slapstick-Nachbarn namens Cosmo Kramer, er trifft sich wahlweise zu Hause oder im Deli mit der Ex-Freundin Elaine und hat sinnbefreite Unterhaltungen mit seinem besten Freund George, der an schütterem Haar leidet. Luftikusse in ihren Dreissigern, die nicht im Leben ankommen. Das aber auch nicht wollen.
Sex ist oft ein Thema. Die Gespräche können ordentlich anstössig sein, doch lässt sich die Serie sozusagen nichts anmerken. Alles wirkt bemerkenswert unschuldig. Nicht zuletzt Jerry Seinfeld. Aber das freundliche Antlitz des Humors trügt. Tabus kennt der verschmitzte Komiker nicht. Sich für eine Frotzelei zu entschuldigen, käme ihm nie in den Sinn. «Jokes are not real», sagt Seinfeld in der «New York Times». Witze seien Erfindungen. Seine einzige unfehlbare Richtschnur: «Wenn etwas beleidigend ist und nicht lustig, dann ist es kein Witz.»
Die Serie über nichts
In «Seinfeld» hangeln sich die vier Grossstadtneurotiker von Job zu Job, von Partner zu Partner. Delis, Freundinnen, Wohnungsnöte: Wesentlich mehr ist da nicht. Alles «yada, yada, yada», um es mit einem berühmt gewordenen Ausspruch aus der Serie zu sagen. Dass es eine «Show about nothing» sei, wie ihr Erfolgsgeheimnis gerne gerühmt wird, diese Einsicht kommt erst mit der Zeit.
Konkret in der 43. Episode, Staffel vier: In einer selbstreferenziellen Wendung wird Jerry von NBC angefragt, eine TV-Show zu entwickeln. «Die wollen, dass ich ihnen eine Idee präsentiere», sagt er zu George: «Ich habe keine Ideen.» George macht ihm Mut: «Wie schwer kann es sein? Schau dir den Müll an, der im Fernsehen läuft.»
Wenig später steigern sich die Freunde mal wieder in irgendein hanebüchenes Gespräch (es geht um die Verwechslungsgefahr von «Salsa» und «Seltzer»). Plötzlich ruft George: «This is the show!» – «What?» – «This! Just talking.» Einfach nur ihr Gebrabbel gäbe eine Sendung her. Jerry ist nicht überzeugt: «What’s the story about?» George: «It’s about nothing.»
Sie pitchen ihre Idee den Verantwortlichen bei NBC. Eine Serie, die von nichts handelt? Warum sollte das jemand schauen, fragt verdattert der Senderchef. «Weil es im Fernsehen läuft», lautet die schlagende Antwort von George. Darauf der andere: «Noch nicht.»
Nach einigen unvorhergesehenen Entwicklungen bekommen George und Jerry dann die verblüffende Zusage. Sie sollen versuchsweise eine erste Episode realisieren. Was man dafür wohl verdiene, frohlockt George: «40 000 Dollar? 50? 60? Also 50 000 sollten es schon sein!»
In Wirklichkeit verdiente Jerry Seinfeld anfangs 40 000 Dollar pro Folge. Die Verantwortlichen bei NBC waren skeptisch und sagten nur für vier Episoden zu. Später machte die Serie zu Beginn der zweiten Staffel einen Quotentaucher und wurde sogar kurzzeitig ausgesetzt. Doch wuchs nach der Wiederaufnahme die Popularität plötzlich immer weiter an.
Das irre Angebot
«Seinfeld» zog schliesslich neun Jahre lang die halbe Nation vor den Fernseher. Sie ist amerikanisches Kulturgut. Auch die Nebendarsteller wie Jason Alexander (George) verdienten 600 000 Dollar pro Episode. Jerry Seinfeld bekam eine Million Dollar für die jeweils knapp 30-minütigen Folgen.
Er hätte sogar noch viel mehr haben können. Als er keine Musse mehr hatte, versuchte ihn die NBC zum Weitermachen zu überreden. Das Angebot lag auf dem Tisch: fünf Millionen Dollar, pro Episode. Kein Mensch in der Geschichte des Fernsehens hat so viel verdient. Doch Seinfeld lehnte ab. Neun Staffeln seien genug.
Denn sobald eine zweistellige Zahl erreicht sei, frage sich der Zuschauer: «Hört das nie auf?» Ausserdem hätten die Beatles auch nach neun Jahren aufgehört.
Seinfeld war ausgelaugt. Die «Harvard Business Review» fragte ihn, ob er vielleicht «McKinsey oder so jemanden» gebraucht hätte, um ein effizienteres Modell zu erarbeiten. «Wer ist McKinsey?» – «Eine Beratungsfirma.» – «Sind die lustig?» – «Nein.» – «Dann brauche ich sie nicht.» Wenn man als Komiker effizient arbeite, mache man etwas falsch, fügte er hinzu. «The right way is the hard way.»
Nach dem 7. Oktober flog er nach Israel
Humor ist harte Arbeit. Darin liegt auch die Dialektik der Komik: kein Witz ohne Ernst. Jerry Seinfeld wirkt wie einer, den alles nichts angeht. Aber das ist noch so ein Trugschluss. Hinter der unbekümmerten Fassade verbirgt sich ein engagierter Citoyen. Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober flog er etwa schnell nach Israel und traf sich mit Angehörigen der Geiseln, mit Kriegsreportern auch. Öffentlich wolle er seine Gefühle nicht herauskehren, sagte er. «Aber ich habe sehr starke Emotionen.»
Jerome Allen Seinfeld wurde 1954 in eine jüdische Familie in Massapequa auf Long Island geboren. Mutter Betty war eine misrachische Jüdin aus Syrien, Vater Kálmán Seinfeld Jude ungarischer Abstammung. Für die amerikanische Armee diente der Vater im Zweiten Weltkrieg im Pazifik. Um dabei nicht den Verstand zu verlieren, schrieb er Witze auf, die sich die Soldaten untereinander erzählten. Als der Krieg vorbei war, kam er mit einer Schatulle voll davon nach Hause.
Das muss seinem Sohn imponiert haben. Erst ging Jerry mit 16 Jahren nach Israel in einen Kibbuz, aber zurück in Amerika, begann er gleich nach dem College-Abschluss mit ersten Auftritten an Open-Mic-Veranstaltungen.
Einmal stand er in einem New Yorker Comedy Club auf der Bühne und hatte komplett seinen Text vergessen. «Ich stand nur da, für etwa dreissig Sekunden, sagte nichts», so erinnert sich Seinfeld viele Jahre später an den Vorfall. Er lief aber nicht weg. Vielmehr versuchte er dann wenigstens einfach irgendetwas zu sagen. Also sagte er die paar Worte, die er sich von seinem Material noch hatte merken können.
Der Legende nach sagte er: «Deli. Cousins. Mitbewohner. Freundinnen.» Vielleicht war das der Anfang von «Seinfeld». Oder vielleicht hat er damals auch erkannt, dass es gar nicht so sehr darum geht, was man sagt. Sondern wie man es sagt.
Am 3. Mai erscheint Jerry Seinfelds neuer Spielfilm «Unfrosted» (auf Netflix): Es geht in der Komödie um einen Produktewettstreit zwischen Kellogg’s und einer anderen Cereal-Marke in den 1960er Jahren, der das Frühstück für immer verändern sollte.