Der Spieler aus Côte d’Ivoire schreibt ein Fussballmärchen. Doch jährlich werden Tausende mit solchen Versprechungen nach Europa gelotst und landen in Kriminalität, Prostitution oder Sklavenarbeit.
Ein Traum sei für ihn wahr geworden, sagte Amad Diallo pathetisch nach seinem Wechsel zu Manchester United im Januar 2021. Im Fall des damals 18-Jährigen liess sich das wirklich so sagen, weil er es entgegen fast aller Wahrscheinlichkeit aus den Slums seiner afrikanischen Heimat Côte d’Ivoire zu einem der grössten Fussballklubs der Welt geschafft hatte. Er war mutmasslich einer der prominentesten Fälle des illegalen Handels mit jungen Fussballern.
Laut der Wohltätigkeitsorganisation Foot Solidaire aus dem Jahr 2013 werden jährlich um die 15 000 Burschen aus Westafrika nach Europa geschmuggelt. Dabei werden häufig Familien von zwielichtigen Mittelsleuten überzeugt, ihre Ersparnisse auszugeben, um ihren Kindern eine Fussballkarriere bei einem europäischen Profiklub zu ermöglichen.
Weit weg von der Familie, ohne Sicherheitsnetz
Doch am Ende, schreibt die NGO Play The Game, seien die Kinder oft «auf sich allein gestellt in einer unbekannten Welt, weit weg von der Familie und ohne Sicherheitsnetz». Der Gründer von Foot Solidaire, Jean Claude Mbvoumin, betonte einst, viele hätten die Hoffnung, der neue Samuel Eto’o zu werden, und merkten zu spät, dass sie betrogen worden seien.
Der Autor Ed Hawkins zeichnet in seinem Buch «Die verlorenen Jungs. Einblicke in den Sklavenhandel des Fussballs» die schmutzige Maschinerie nach. Für viele talentierte junge Fussballer kann sie in die Kriminalität, die Prostitution und die Sklavenarbeit führen. Diallo blieb das alles erspart, weil er im Vergleich zu anderen Burschen trotz widrigen Umständen enormes Glück hatte.
Aufgewachsen in Abidjan, dem grössten Ballungsraum von Côte d’Ivoire, schloss sich der heute 22-jährige Diallo dem lokalen Fussballprojekt Leader Foot an. Dieses hatte einst der Strippenzieher Hamed Mamadou Traore gegründet. Als Kind ging es für Diallo auf einmal aus der Heimat in die Nähe von Parma – mit mutmasslich gefälschten Einreisedokumenten.
Diesen Schritt hatte der mit dem italienischen Pass ausgestattete Traore eingefädelt, der dort ein Anwesen besass. Traore und seine Frau gaben sich damals offenbar als Diallos Eltern aus. Auf diese Weise kam mit Diallo zusammen auch dessen angeblicher Bruder ins Land, der inzwischen ebenfalls Fussballprofi ist. Beide kickten für den Lokalverein Boca Barco. Später wurde der Jugendspieler Diallo vom Serie-A-Klub Atalanta Bergamo verpflichtet. Nach seinem Profidebüt kaufte ihn Manchester United für 22 Millionen Franken.
Parallel fing allerdings der italienische Fussballverband im Sommer 2020 an, Ermittlungen gegen Traore aufzunehmen. Ihm wurde vorgeworfen, ebenjene zwei Fussballer mit falschen Papieren nach Italien geschmuggelt zu haben. Auf Traores Namen stiessen die Fahnder durch eine vorausgegangene Untersuchung zu einem anderen kolportierten Fussball-Menschenhändlerring, bei dem es zu Festnahmen gekommen war.
DNA-Tests wiesen letztlich nach, dass Traore und seine Frau nicht die leiblichen Eltern der beiden Fussballer waren. Traore rechtfertigte sich in einem Gespräch mit dem Sportmagazin «The Athletic», er habe die Jungs «adoptiert» und sie wie «eigene Kinder» behandelt. Er sei kein Menschenhändler, betonte er: «Wir haben versucht, einem Kind zu helfen, das davon träumte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.» Auch sei es ihm nie ums Geld gegangen, beteuerte er. Dennoch gab er zu, von Diallos Entwicklung finanziell profitiert zu haben.
Zu Diallo und dem anderen Jungen liessen die italienischen Behörden einmal verlautbaren, es sei hierbei nicht exakt um Menschenhandel gegangen, weil sich die beiden Fussballer angeblich der Lage bewusst gewesen seien und ein «vernünftiges Leben mit ihren falschen Eltern geführt» hätten.
«Nennt mich nie mehr Traore»
2021 entschied der italienische Fussballverband nach einem Geständnis von Diallo, dieser habe eine Geldstrafe in Höhe von 45 000 Franken zu bezahlen. Ihm wurde vorgehalten, indirekt dabei mitgeholfen zu haben, die Vorschriften zur rechtmässigen Einreise nach Italien zu umgehen – obwohl er damals noch ein Kind war. Zuvor hatte Diallo den italienischen Pass erhalten und seinen Namen mit dem 18. Geburtstag von Amad Traore zu Amad Diallo geändert. Auf Instagram schrieb er dazu: «Nennt mich nie mehr Traore.»
Zu seiner Kindheit und seinem Leben in Italien hat sich Diallo selbst bisher nie geäussert. Den Klubmedien von Manchester United teilte er einmal mit, dass seine biologische Mutter nach seinem ersten Pflichtspiel für United in Tränen ausgebrochen sei. Sie sei stets überzeugt gewesen, dass er es bis nach oben schaffen würde, erzählte er.
Aufgrund seiner dynamischen Ballführung hat sich Diallo, der als afrikanischer Lionel Messi verehrt wird, zum Hoffnungsträger des dauerkriselnden englischen Rekordmeisters entwickelt. In dieser Saison ist er der torgefährlichste Spieler des Teams, ihm gelangen bisher 12 Torbeteiligungen in 19 Premier-League-Partien. Am vergangenen Donnerstag schoss er United mit 3 Toren innert zwölf Minuten zum Sieg gegen Southampton (3:1). Nach Wayne Rooney ist Diallo nun Uniteds jüngster Dreifachschütze in der Liga.
Damit komplettierte der Ivoirer eine der besten Wochen seines Lebens, wie er hinterher betonte – weil er ein paar Tage zuvor einen neuen Millionenvertrag in Manchester bis 2030 unterzeichnet hatte. Damit dürfte er finanziell für den Rest des Lebens ausgesorgt haben. Obwohl sich mehrere Spitzenklubs für ihn interessierten, signalisierte Diallo früh seinen Verbleib. Die Entscheidung wirkte nachvollziehbar: Amad Diallo möchte sich wohl nicht schon wieder in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen.
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