Die Redefreiheit ist den Republikanern besonders heilig. Doch vor dem Hintergrund der propalästinensischen Studentenproteste wollen sie nun antisemitische Äusserungen per Gesetz mit Sanktionen belegen. Nicht nur linke Demokraten, auch rechte Politiker sind empört.
Jüdische Organisationen drängen den amerikanischen Kongress bereits seit Jahren dazu, den Antisemitismus an den Universitäten verstärkt zu bekämpfen. Eine Gesetzesvorlage dazu scheiterte 2016 im republikanisch kontrollierten Repräsentantenhaus. Angesichts der Welle propalästinensischer Studentenproteste verabschiedete die grosse Parlamentskammer am Mittwoch nun jedoch die Antisemitism Awareness Act mit 320 zu 91 Stimmen. Dagegen votierten 70 Demokraten und 21 Republikaner.
Stimmt der demokratisch kontrollierte Senat der Vorlage ebenfalls zu, würde erstmals in einem amerikanischen Bundesgesetz festgelegt, wo die Grenzen des Antisemitismus verlaufen. Konkret schreibt die Awareness Act dem Bildungsministerium vor, sich bei Untersuchungen antisemitischer Vorfälle und Diskriminierungen an die «Arbeitsdefinition» der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) zu halten. Diese wird auch in Europa von vielen Staaten angewandt und akzeptiert, auch von der Schweiz. Geht eine Universität nicht resolut genug gegen Antisemitismus vor, könnte das Bildungsministerium etwa Fördergelder des Bundes zurückhalten.
«Das Gesetz geht zu weit»
Wie das Abstimmungsresultat jedoch zeigt, spaltet die Vorlage vor allem die Demokraten. Rund jeder Dritte ihrer Abgeordneten stimmte gegen das Gesetz. Diese Spaltung dürfte mit ein Grund sein, warum der republikanische Speaker Mike Johnson das Projekt gerade jetzt zur Abstimmung brachte. Er und andere konservative Fraktionsführer sehen in den propalästinensischen Studentenprotesten eine zutiefst antisemitische Bewegung. Vergangene Woche besuchte Johnson die Columbia University in New York, um sich mit jüdischen Studenten zu treffen und sich ein Bild der Proteste zu verschaffen. Danach meinte er an einer Pressekonferenz: «Der antijüdische Hass war entsetzlich.» Unterstützer der islamistischen Hamas hätten die Kontrolle über den Campus übernommen.
Aus diesem Verständnis heraus ist jeder Demokrat, der mit der Protestbewegung sympathisiert, ein Antisemit. Linke Demokraten weisen diesen Vorwurf jedoch zurück. In ihren Augen ist nicht der Antisemitismus, sondern der Antizionismus die treibende Kraft hinter den propalästinensischen Demonstrationen. Sie verweisen dabei darauf, dass sich auch viele Juden an den Protesten beteiligen. Vor vier Jahren führte das Pew Research Center eine Umfrage unter amerikanischen Juden durch. Laut dieser hat eine klare Mehrheit einen emotionalen Bezug zu Israel und sorgt sich um das Land. Aber eine Minderheit von 41 Prozent gab an, keinen emotionalen Bezug zu Israel zu haben, 16 Prozent kümmern sich gar nicht darum. Wobei diese Anteile bei jüngeren Generationen noch höher sind.
Demokratische Politiker und Bürgerrechtler fürchten, dass die Awareness Act berechtigte Kritik an Israel unter dem Vorwand des Antisemitismus unterdrücken könnte. Sie verweisen zudem darauf, dass bestehende Vorschriften bereits genügenden Schutz vor antisemitischen Diskriminierungen böten. «Das Gesetz geht zu weit», sagte etwa der demokratische Abgeordnete Jerry Nadler. In der Definition der IHRA heisst es zwar, dass «ähnliche Kritik gegen Israel wie gegen jedes andere Land» nicht antisemitisch sei. In der Auflistung antisemitischer Beispiele steht jedoch auch, dass dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung nicht abgesprochen werden darf, indem der Staat Israel etwa als «rassistisches Unterfangen» bezeichnet wird.
Für die Anhänger der propalästinensischen Studentenbewegung ist Israel indes kein Staat wie jeder andere. Sie sehen darin ein kolonialistisches Projekt mit dem Ziel, die ursprüngliche palästinensische Bevölkerung zu vertreiben oder zu unterdrücken. Sie werfen Israel eine rassistische Ideologie vor, welche die Palästinenser als minderwertig betrachtet. Sie bestehen auf dem im Völkerrecht verankerten Recht auf Rückkehr der Palästinenser und wollen lieber eine Einstaatlösung als eine Zweistaatenlösung. Wobei sie sich eine friedliche und gleichberechtigte Koexistenz der beiden Völker wünschen.
Je nach Ermessen könnte man die Studentenproteste aufgrund der IHRA-Definition durchaus als antisemitisch qualifizieren. Auch wenn sich die Bewegung selbst als antizionistisch versteht und sich als Kämpferin für das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung sieht.
Rechte Republikaner fürchten um die Bibel
Während der linke Widerstand gegen das Gesetz beträchtlich ist, stösst es auch beim rechten Parteiflügel der Republikaner auf Kritik. Antisemitismus sei schlecht, aber sie werde nicht für die Vorlage stimmen, schrieb die christliche Nationalistin Marjorie Taylor Greene am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst X: «Sie könnte zur Verurteilung von Christen führen, die daran glauben, dass Jesus von den Juden an Herodes zur Kreuzigung ausgeliefert wurde.» Der rechtskonservative Influencer Charlie Kirk schrieb seinerseits: «Hat das Repräsentantenhaus gerade einen Teil der Bibel für illegal erklärt?»
Am Donnerstag legte Greene noch ein weiteres Argument nach: Der milliardenschwere Investor George Soros sei ein Jude und finanziere die radikale Linke inklusive der «Pro-Hamas-Proteste» an den Universitäten. Aufgrund des neuen Gesetzes könnten Studenten, die Soros kritisierten, künftig wegen Antisemitismus verurteilt werden.
Demokratische Abgeordnete warfen den Republikanern deshalb vor, selbst ein Antisemitismusproblem in ihren Reihen zu haben. «Wie kann es die Partei von Donald Trump und Marjorie Taylor Greene wagen, uns über Antisemitismus zu belehren», erklärte etwa die Abgeordnete Teresa Leger Fernandez, die gegen das Gesetz stimmte. Sie erinnerte an eine rechtsradikale Kundgebung in Charlottesville 2017, bei der die Teilnehmer «Die Juden werden uns nicht ersetzen» skandierten. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstössen mit Gegendemonstranten. Ohne die Rechtsextremisten klar zu verurteilen, kommentierte Trump damals, es habe sehr anständige Leute auf beiden Seiten gegeben.
Eigentlich wollte der Senat das Antisemitismusgesetz noch diese Woche verabschieden. Aber es gebe Widerstand in beiden Fraktionen, sagte der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer am Donnerstag. «Wir suchen nach dem besten Weg vorwärts.»