Aus Sorge über die angekündigten Zölle von bis zu 60 Prozent auf chinesische Waren haben Firmen in den USA ihre Lager aufgefüllt. Das stabilisiert Chinas schwach wachsende Wirtschaft zumindest vorläufig.
Trotz zunehmenden Handelsbarrieren sind Chinas Exporte im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen. 2024 habe die Volksrepublik Waren im Wert von umgerechnet fast 3,6 Billionen US-Dollar exportiert, teilte das chinesische Zollamt zu Beginn der Woche mit. Das sind 5,9 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Importe legten hingegen lediglich um 1,1 Prozent zu. Dadurch steigt der Handelsbilanzüberschuss 2024 auf fast eine Billion Dollar. Die Rekordausfuhren dürften die Diskussion über Chinas Überkapazitäten und die befürchtete Welle von Billigexporten erneut verschärfen.
Weltweit nehmen die Beschränkungen für Importe aus China zu. Der künftige US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf damit gedroht, Zölle von mindestens 60 Prozent auf Importe aus China zu erheben. Viele Firmen in den USA haben daher ihre Lager mit Waren aus China aufgefüllt. Das starke Exportwachstum gehe zu einem gewissen Grad auf diese Vorratskäufe im Vorfeld der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump zurück, erklärt Lynn Song, China-Chefvolkswirt der niederländischen Bank ING. Allein im Dezember stieg der Export um fast 11 Prozent.
Der China-Experte Lu Ting von der japanischen Investmentbank Nomura rechnet damit, dass die Ausfuhren vorerst weiterhin «robust» wachsen. Der Trend, Vorräte aufgrund der drohenden Zölle anzulegen, halte an. Zudem stiegen die Exporte in südasiatische Länder, etwa nach Vietnam und Malaysia, stark. Viele chinesische Unternehmen und ihre Kunden im Westen nutzen diesen Umweg, um Zölle zu umgehen.
Fast jede dritte weltweit produzierte Ware stamme aus China, schätzen die Vereinten Nationen. Gleichzeitig entfallen lediglich 13 Prozent der globalen Nachfrage auf das Land mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern.
Tatsächlich dürften die Exporte sogar noch stärker gewachsen sein, wie ein genauerer Blick auf das Ausfuhrvolumen bestimmter Waren verrät:
- China exportierte fast 16 Prozent mehr Autos und Autoteile als im Vorjahr.
- Die Ausfuhren von Halbleitern stiegen um mehr als 17 Prozent.
- Die Exporte von Haushaltsgeräten erhöhten sich um mehr als 14 Prozent.
Der Unterschied zu den gemeinhin verwendeten Exportzahlen, die den Warenwert messen, kommt auch zustande, weil die Produzentenpreise in China seit Oktober 2022 fallen. Das heisst: China exportiert mehr billigere Waren.
Das liegt einerseits daran, dass die chinesische Währung Yuan gegenüber dem Dollar in letzter Zeit deutlich abgewertet hat. Andererseits herrscht in der Volksrepublik ein ruinöser Preiswettbewerb. Er ist auch eine Folge der chinesischen Wirtschaftspolitik. Die Staatsführung fördert die Industrie, etwa durch günstige Kredite oder andere Subventionen. Das steigert die Produktion. Doch das Angebot übersteigt die inländische Nachfrage bei weitem.
Wegen der anhaltenden Immobilienkrise und der grossen Unsicherheit bei vielen Unternehmen über die künftige Entwicklung der chinesischen Wirtschaft hat sich die Binnennachfrage in letzter Zeit schwach entwickelt.
Verluste auf dem Heimatmarkt
Die Unternehmen versuchen daher, mit deutlichen Preissenkungen ihre Marktanteile auf dem Heimatmarkt zu sichern. Zwischen Januar und November vergangenen Jahres sind die Industriegewinne in China um 4,7 Prozent gesunken. In besonders hart umkämpften Bereichen wie bei Elektroautos oder Solaranlagen schreiben die meisten Hersteller Verluste.
Auch deshalb setzen viele chinesische Unternehmen verstärkt auf den Export: Sie hoffen, immerhin im Ausland Geld zu verdienen und so ihr betriebliches Überleben zu sichern. Dies werde zweifellos diejenigen bestätigen, die China vorwürfen, die eigene «Deflation zu exportieren», betonte der ING-Experte Song.
Das Ungleichgewicht zwischen Exporten und Importen stösst bei den Handelspartnern zunehmend auf Kritik. Es wächst die Sorge, dass chinesische Unternehmen mit billigen Waren die Märkte überfluten und dadurch lokale Unternehmen aus dem Markt drängen.
Viele Staaten, darunter die EU-Länder, die USA, Brasilien, Indien und die Türkei, haben bestimmte Einfuhren aus China bereits mit Sonderzöllen belegt. Die von Trump angedrohten Strafzölle könnten Chinas ohnehin schwaches Wirtschaftswachstum noch einmal um 1 bis 2 Prozentpunkte verringern, schätzen Experten.
Die offiziellen Daten für das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr werden am Mittwoch veröffentlicht. Der Staatschef Xi Jinping hat in seiner Neujahrsansprache signalisiert, dass das selbst gesetzte Wachstumsziel von rund 5 Prozent erreicht wird. Doch angesichts der schlechten Stimmung bei Unternehmen wie Verbrauchern gibt es Zweifel.
Nach Schätzungen der Weltbank dürfte Chinas Wirtschaft 2024 um 4,9 Prozent gewachsen sein. Der US-Think-Tank Rhodium geht sogar von nur 2,4 bis 2,8 Prozent aus. Rhodium wird von verschiedenen liberalen Geldgebern finanziert, darunter der Hewlett-Stiftung.
Kritiker werden mundtot gemacht
Chinas Wirtschaftswachstum könnte in den vergangenen drei Jahren um «3 Prozentpunkte pro Jahr überschätzt worden sein», hatte Gao Shanwen, Chefökonom der chinesischen Investmentgesellschaft SDIC, im Dezember erklärt. Gao ist für seine kritischen Analysen bekannt.
Doch in der derzeit angespannten wirtschaftlichen Lage duldet die Staatsführung keine Zweifel am offiziellen Narrativ. Dieses lautet: Trotz Risiken habe Chinas Wirtschaft ein «stabiles Fundament, zahlreiche Vorteile, eine grosse Widerstandskraft und enormes Potenzial». So hiess es im Anschluss an die Zentrale Wirtschaftskonferenz der Staats- und Parteiführung im Dezember unisono in den Staatsmedien.
Inzwischen wurde Gao mundtot gemacht: Sein öffentlicher Account auf der Kurznachrichtenplattform WeChat ist gesperrt. Xi Jinping selbst habe interveniert, berichtet die Wirtschaftszeitung «Wall Street Journal».
Auch gegen andere Kritiker geht China vor. Die staatliche Zeitung «China Securities Journal» hatte im Dezember über eine Direktive der Wertpapieraufsicht SAC an chinesische Broker berichtet, wonach Chefvolkswirte entlassen werden sollen, wenn sie wiederholt durch «unangemessene Kommentare oder Verhaltensweisen ein Reputationsrisiko darstellen». Stattdessen müssten sie «eine positive Rolle bei der Deutung der Regierungspolitik spielen und das Vertrauen der Investoren stärken».
Dies dürfte allerdings kaum dazu beitragen, das Vertrauen von Investoren und Unternehmen zurückzugewinnen. Die Exporte bleiben eine der letzten Stützen der chinesischen Wirtschaft.