Die Zahl der Zuzüge in den Wirtschaftsraum Zürich war im letzten Jahr so tief wie seit der Pandemie nicht mehr.
Die Grossregion Zürich hat im letzten Jahr deutlich weniger internationale Unternehmen angezogen als in früheren Jahren. Dies geht aus den jüngsten Zahlen der Standortmarketing-Organisation Greater Zurich Area (GZA) hervor.
89 ausländische Unternehmen sind 2023 mithilfe der GZA und der kantonalen Standortförderungen in den Zürcher Wirtschaftsraum gekommen. Das sind 20 weniger als im Jahr davor und sogar 40 weniger als 2021. Nur gerade 89 Zuzüge, das gab es zuletzt im Corona-Jahr 2020.
Zurückgegangen ist auch die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze, von 518 im Jahr 2022 auf 357 ein Jahr später.
Genau wie während der Pandemie waren aus Sicht der GZA auch jetzt globale Entwicklungen verantwortlich für den Rückgang. Negativ ausgewirkt hätten sich der Einmarsch Russlands in die Ukraine, die starke Inflation und steigende Zinsen, aber auch der Konflikt zwischen Israel und der Hamas – nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober hätten viele israelische Unternehmen ihre Pläne für Europa abrupt eingestellt.
Besonders stark spürbar waren die Entwicklungen im wichtigen amerikanischen Geschäft: Die Zahl der Zuzüge aus Amerika hat sich halbiert. 2022 waren 33 amerikanische Unternehmen in den Grossraum Zürich gekommen, 2023 waren es bloss noch 17.
«Die amerikanischen Unternehmen sind unsicher, wie sich der Krieg in Europa entwickelt», sagt Sonja Wollkopf, die Geschäftsführerin der GZA. «Gleichzeitig drückt die Inflation auf das Portemonnaie. Einigen Unternehmen fehlt das Geld für eine Expansion.» Im für die GZA besonders wichtigen Life-Sciences-Bereich sei die Zahl der Börsengänge stark zurückgegangen.
Jede Unsicherheit sei Gift für das Ansiedlungsgeschäft, sagt Wollkopf. «An den äusseren Umständen können wir nichts ändern, wir können aber dafür sorgen, dass unsere Pipeline weiter gefüllt wird.»
China überholt Deutschland
Gefüllt worden ist diese Ansiedlungs-Pipeline letztes Jahr mit Unternehmen aus China. Die Zahl der Zuzüge aus der Volksrepublik hat sich – allerdings auf vergleichsweise tiefem Niveau – verdoppelt, von 6 auf 12. Damit hat China im letzten Jahr auch Deutschland (11 Ansiedlungen) überholt.
Die GZA macht mehrere Gründe aus, warum chinesische Unternehmen in die Region Zürich kommen. Einerseits suchten sie die Kundennähe, andererseits aber auch den Zugang zu Talenten – und Kontakte zu innovativen Startups.
Letztes Jahr ist aus China unter anderem Ecoceres nach Baar gekommen. Das Hongkonger Unternehmen stellt Biokraftstoffe her. Auch das Verpackungsunternehmen New-JF Technology und die Kosmetikfirma Imeik haben sich in der Region niedergelassen. Sie alle wollen im Grossraum Zürich ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ausbauen.
Die chinesischen Avancen sind so willkommen wie umstritten, gerade auch, wenn die Unternehmen die Nähe von weltweit führenden Forschungseinrichtungen suchen. So warnt die Schweizer Regierung in ihrer China-Strategie davor, dass der hiesige Wirtschafts- und Forschungsstandort «Ziel von Industrie- und Wirtschaftsspionage sein kann».
Schweizer Hochschulen betrachten Kooperationen mit chinesischen Partnern deutlich kritischer als früher und weisen im Zweifel sogar chinesische Forscher ab.
Eine der Schlüsseltechnologien, auf welche die Greater Zurich Area setzt, ist die künstliche Intelligenz. Zürich könne speziell dank der ETH ganz vorne mitmischen, sagt Wollkopf. Von 43 Spin-offs der ETH im letzten Jahr hatten 12 laut der GZA einen Bezug zu künstlicher Intelligenz. Das ist auch für die Chinesen interessant.
«Wenn wir als Grossregion Zürich die Technologiebranche als Kernmarkt für Ansiedlungen betrachten, dann kommen wir um China genauso wenig herum wie um die USA», sagt die GZA-Chefin Wollkopf. Die GZA gehe ausschliesslich auf private chinesische Firmen zu.
Für 2024 erwartet die GZA weitere Ansiedlungen aus China. Die Schweiz bleibe attraktiv als «erstklassiger Innovations- und Technologiestandort», schreibt die Organisation in ihrem Jahresbericht.
Stadt Zürich diskutiert über Streichung der Beiträge
Die Ansiedlungen im Wirtschaftsraum Zürich sind auch politisch umstritten. Dabei geht es allerdings weniger um mögliche unerwünschte ausländische Einflüsse und mehr um die vermuteten negativen Folgen etwa für den Wohnungsmarkt.
Als das Zürcher Kantonsparlament im letzten Herbst über die Unterstützung der GZA für die nächsten vier Jahre diskutierte, wollten Linke den Betrag ganz streichen oder zumindest reduzieren. Man könne die Schattenseiten des Wachstums nicht länger ignorieren, sagte damals eine Politikerin der Grünen. Die Mehrheit des Rats konnte diese Kritik aber nicht nachvollziehen und genehmigte den Kantonsbeitrag von 2,1 Millionen Franken pro Jahr.
Enger werden könnte es nun aber bei einer anderen Beitragszahlerin: Die Stadt Zürich hat noch nicht entschieden, ob auch sie in den kommenden Jahren ihren Beitrag leistet. Es geht um 250 000 Franken pro Jahr – und im Gegensatz zum Kantonsparlament ist Rot-Grün im Gemeinderat der Stadt Zürich in der klaren Mehrheit.
Ein Ausstieg der Stadt Zürich aus der GZA wäre gleich von doppelter Bedeutung. Erstens ist sie die drittgrösste Beitragszahlerin, und zweitens ist sie eine sehr grosse Nutzniesserin des Standortmarketings: Von den nicht ganz 9500 Arbeitsplätzen, die von 2009 bis 2021 über GZA- Ansiedlungen geschaffen wurden, landeten rund 40 Prozent im Kanton Zürich und dort wiederum ein Grossteil in der Stadt.