Trump kann noch so wüten: Der Antiamerikanismus bleibt bisher erstaunlich zahm. Das hat auch mit Europas Formschwäche zu tun.
Als Amerikaner hat man es auch nicht leicht. In weiten Teilen der Welt wird es ungemütlich. Sippenhaft droht. Amerikanische Bürger sollten sich darauf einstellen, bei Aufenthalten im Ausland schlecht behandelt zu werden, mahnt die «Washington Post». Denn die Wut auf Trump könne jeden treffen. Wie damit umgehen? «How to handle anti-Americanism abroad»: Die Zeitung hilft mit einem Serviceartikel.
Der Beitrag, der von einer Reisejournalistin stammt, stützt sich auf «Experten der internationalen Beziehungen», die befürchten, dass antiamerikanische Gefühle «hochsprudeln» könnten, wenn amerikanische Touristen auf Einheimische treffen. «You may see some pushback in the streets», sagt eine frühere hochrangige Mitarbeiterin des amerikanischen Aussenministeriums unter Barack Obama.
Zitiert wird auch die Präsidentin einer «Protocol School of Washington», wo man auf Fragen der Etikette spezialisiert ist: Sie erklärt, dass Locals ihren Unmut durch abweisende Körpersprache ausdrücken könnten, «darunter das Ausweichen des Blickkontakts, Stirnrunzeln oder Weglaufen». In extremen Fällen müsse mit Beschimpfungen gerechnet werden, oder es würden «leere Flaschen, Müll oder Essen» in Richtung des ungebetenen Gasts geworfen.
Die Reisewarnung bezieht sich nicht spezifisch auf einzelne Länder, aber es geht kaum um Abenteuerreisen in Schurkenstaaten. Glaubt man der «Washington Post», müssen amerikanische Touristen auch in Europa auf der Hut sein.
Allein die Frage «Where are you from?» könne sich statt als Eisbrecher als ein Minenfeld erweisen, mahnt die Autorin, die sich nach eigener Angabe schon in Myanmar, Namibia und Russland durchgeschlagen hat. Eine frühere amerikanische Botschafterin in Jemen rät, sich an ein einstudiertes Skript zu halten. «Ich bin ein Tourist», soll man sagen: «Ich bin nicht als Vertreter meiner Regierung hier. Ich spreche nicht für meine Regierung. Darf ich bitte meinen Hamburger geniessen.»
Warnung vor Lappalien
Im Ernst? Während Amerikareisende befürchten müssen, von Grenzbeamten schikaniert, abgewiesen oder gar in Auffanglager gesteckt zu werden, ängstigen sich die Amerikaner vor bösen Blicken der Europäer? Nun mag es sein, dass den amerikanischen Touristen momentan nicht die Herzen zufliegen, aber man kann über die Amerikaner sagen, was man will: So mimosenhaft sind sie nicht.
Der Alarmismus nimmt sich skurril aus. Dennoch ist der sonderbare Artikel der «Washington Post» aufschlussreich. Denn indem er vor Lappalien warnt, vergegenwärtigt er, dass in Europa gar keine allzu virulente antiamerikanische Stimmung herrscht. In Anbetracht der Aufregung um Trumps irrlichternde Zollpolitik oder seiner Putin-Hörigkeit mag es überraschen, aber: Der Antiamerikanismus bleibt unter den Erwartungen.
Nennenswerte Proteste gegen die USA sind in diesen Breitengraden bisher ausgeblieben. Aufrufe zum Boykott amerikanischer Waren nehmen sich eher possierlich aus. Bei der Leserschaft der Tamedia-Zeitungen ist die Frage nach dem Verzicht auf amerikanische Produkte zwar «bloss noch eine rhetorische», wie die Redaktion festhält. Doch allzu leidenschaftlich wirken die Leser nicht, die erklären, fortan möglichst europäisch einzukaufen, «selbst wenn es mühsamer ist». Oder treuherzig der Tesla-Fahrer, der nach der Zeitungslektüre «spontan beschlossen» hat, dass er «definitiv kein Model Y bestellen» werde.
Bei Bush war’s ganz anders
Einzig Reisen in die USA sind stark zurückgegangen. Doch von einem antiamerikanischen Sturm, wie er sich während der Präsidentschaft von George W. Bush vor gut zwanzig Jahren zusammengebraut hat, ist wenig zu spüren. Damals wurde bis aufs Ketchup gegen Amerika gekämpft. Die Verachtung zeigte sich in beissendem Spott.
In Frankreich erklärte Jacques Chirac, dass er in der Aussenpolitik eine einfache Strategie verfolge: «Ich schaue, was die Amerikaner machen, und dann mache ich das Gegenteil.» So liege er immer richtig. Oder man ergötzte sich an George W. Bushs notorischen Versprechern («Bushisms»).
Und zudem – das ist der wesentliche Unterschied – wirkte der Groll gegen die «Yankees» damals geradezu konstitutiv für die europäische Mehrheitsgesellschaft. Bush war in den Augen vieler Leute der Prototyp des plumpen, unartikulierten Amerikaners, er stand stellvertretend für eine angeblich ungehobelte Nation. In der Abgrenzung zum «Ami» fühlte sich der Europäer weltmännisch, chic und belesen. Beliebter Witz damals: Was ist der Unterschied zwischen einem Joghurt und einem Amerikaner? Das Joghurt entwickelt nach einiger Zeit eine Kultur.
Der Spruch ist schlecht gealtert. Amerikaner-Bashing wirkt unzeitgemäss. So fortschrittlich sich das ausnimmt, ist es doch auch erstaunlich. Denn immerhin ist Trump, verglichen mit Bush, noch einmal ein anderes Kaliber: Wenn der 43. Präsident der Vereinigen Staaten in der Staatskunst ein Banause war, was ist dann der 47.? Wieso wird nicht von ihm auf das Volk geschlossen, wie damals bei Bush? Und wo bleiben die Aufstände?
Trump ist kein Pistolero
Amerika führt keinen Krieg. Das ist sicher ein Hauptgrund für das Ausbleiben von grossflächigen Demos diesseits des Atlantiks. «Shock and awe» im Irak fördert andere Bilder der Zerstörung zutage als ein Zollhammer. Bei allem, was man über Trump sagen mag: Er hat sich, bis jetzt, nicht als Bellizist erwiesen. Ja, noch nicht einmal als ein Waffennarr. Zum Thema Schusswaffen äussert er sich mal so, mal so. Als verurteilter Straftäter darf er selbst gar keine besitzen. Aber es fällt auch gar nicht so leicht, ihn sich als Pistolero vorzustellen. Geschweige denn oberkörperfrei wie Putin.
Der Boots-Träger Bush war die Personifikation des schiesswütigen Amerikaners. Trump ist mehr Tycoon als Cowboy. Kein Falke, der das aussenpolitische Abenteuer sucht. Weniger Warenimport, nicht Demokratieexport: Das ist seine Agenda. Mit den Neocons vom Schlage Rumsfelds oder Wolfowitz’ haben die Natcons, die Nationalkonservativen um J. D. Vance, wenig gemein. Expansionsgelüste gegenüber Grönland oder Kanada hin oder her. «America first» ist Trumps Devise. Darin liegt auch eine Erklärung für den ausbleibenden Antiamerikanismus: Gegen amerikanischen Protektionismus protestiert es sich weniger gut als gegen eine raumgreifende Weltpolizei USA.
Hinzu kommt: Der Antiamerikanismus hat sein Zuhause verloren. Die längste Zeit gehörte er primär unter das Dach der Linken. Klassische Globalisierungskritiker wie Jean Ziegler und Naomi Klein müssten sich Maga-Hüte aufsetzen. Trump hat mehr für sie getan als jeder andere Politiker dieser Welt. Auf der anderen Seite peppten früher auch Rechtsextreme ihren Antisemitismus mit Antiamerikanismus auf.
Mittlerweile dreht man an den rechten Rändern Pirouetten. Von Weidel bis Köppel erwacht die USA-Begeisterung, seit Trump Selenski die Tür gezeigt hat. In der traditionell transatlantischen CDU poltert hingegen Merz gegen Trump. Konservative kündigen Amerika die Freundschaft auf. Es ist kompliziert.
Netflix ist zu präsent
Der Antiamerikanismus wechselt zu schnell das Lager. Wer aus Protest sein iPhone verkauft, weiss kaum noch, was für ein Signal er damit gerade aussendet: Ist es ein Akt gegen Populismus? Oder beweist man sich damit als Kapitalismuskritiker? Und womit soll man telefonieren, mit einem chinesischen Gerät?
Gerade das ist auch ein springender Punkt: Der Alltag hat sich weiter amerikanisiert in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Amerika das Abo zu kündigen, wird immer umständlicher. Auf Netflix nach dem deutschen Content zu filtern, bringt nichts. Los Gatos kassiert trotzdem. Jeden Abend Play Suisse zu schauen, ist niemandem zu empfehlen.
Es ist wie in einer Beziehung: Oft erkennt man erst in der Krise, was man an seinem Partner hat. Und wie sehr man auf ihn angewiesen ist. Ohne Amerika ist der Feierabend ruiniert. Von der Nato nicht zu reden.
Wurde «Uncle Sam» früher verwünscht, muss man ihn sich heute herbeiwünschen. Trotz Trump, das ist das Paradox. Statt «Ami, go home!» zu rufen, wie es einst bei den Linken en vogue war wegen der amerikanischen Militärpräsenz in Europa, müsste heute jeder vernünftige Mensch auf die Strasse gehen und skandieren: «Hiergeblieben, Ami, don’t go home!»