Trumps Zölle dämpfen den Zinsanstieg in Europa und den Aufwärtstrend des Euro, sorgen aber nicht für deren Umkehr. Anleger sollten ein allfälliges Untergewicht in Euroanlagen schliessen.
Finanzanalysen und -prognosen altern schlecht in diesem Jahr. 2025 startete mit der Erwartung schleppenden Wirtschaftswachstums und hartnäckiger Teuerung im Euroraum. Bereits vor der tektonischen Verschiebung in Deutschland und Europa war absehbar, dass sich die Zeiten fallender Teuerungsraten dem Ende näherten. Alle Indikatoren in unseren Modellen waren am Drehen, und zwar nach oben. Noch nicht stark, aber sichtbar.
Das gilt auch für die Vorläufer zum Lohnkostenwachstum. Die Inflations-Breakevens, auch als Inflationserwartungen interpretiert, haben auf einem interessanten Niveau Boden gefunden: in der Nähe des Notenbankziels von 2%. Aggregierte man alle relevanten Wirtschaftsindikatoren, resultierte das Szenario weiterer Leitzinssenkungen und tieferen Anleihenzinsen. Noch im Januar herrschte Angst um den Euro, die Parität zum Dollar war in Sichtweite.
Und dann kam der Mega-Schock I: die Wahl in Deutschland
Dort gewinnt Rot/Grün (faktisch) die Wahl. Die Beerdigung der deutschen Schuldenbremse und die Aussicht auf einen mehrjährigen Fiskalexzess in Europa änderten alles:
Schulden rauf = Zinsen rauf
Die deutsche Verschuldung dürfte gemessen am Bruttoinlandprodukt von 60 auf 90% steigen. Die Anleger werden eine Bonitätsprämie verlangen, auch für Deutschland.
Inflation rauf = Zinsen rauf
Ein Impuls von Hunderten von Milliarden Euro für eine Wirtschaft mit tiefen Arbeitslosenraten wird die Inflation anfachen.
Wachstum rauf = Zinsen rauf
Die Fiskalpakete haben einen kräftigen, andauernden und sich verstärkenden Wachstumsimpuls zur Folge. Das bedeutet eine höhere Zeitprämie – gemeint ist die Differenz zwischen kurzen und langen Zinsen – in den Euroanleihen. Das bedeutet strukturell höhere Zinsen.
Anleihenemissionen rauf = Zinsen rauf
Die Regierungen in der Eurozone haben schon letztes Jahr so viel Schulden emittiert wie seit acht Jahren nicht mehr. Fachleute rechnen mit einem zusätzlichen Betrag von 500 Mio. € allein im laufenden Jahr – Summen, für die erst Investoren gefunden werden müssen.
Zinsspielraum der EZB runter = Leitzinsen schon bald rauf
Perspektivisch verengt sich der Spielraum für Zinsreduktionen beträchtlich.
Steilere, höhere Zinskurve
Eine höhere Differenz zwischen langen und kurzen Zinsen wird als Bear Steepener bezeichnet. Die Zinskurve wird also steiler.
Zinsen rauf = Euro rauf
Der Kurs des Euro zum Dollar korreliert mit den Zinsdifferenzen im Zweijahresbereich. Diese Differenz, aktuell immer noch deutlich zugunsten des Dollars, könnte sich markant verengen.
Peripherie-Spreads runter
Wetten, dass die Wiederaufrüstung der verschuldeten Eurostaaten vor allem über Gemeinschaftsvehikel finanziert wird? Überhaupt muss davon ausgegangen werden, dass die Tendenz zur Vergemeinschaftung der Euro-Staatsschulden weiter zunehmen wird. Das bedeutet unweigerlich eine Verengung der Spreads. Und zwar von beiden Seiten: höhere deutsche Zinsen, im Vergleich dazu weniger stark steigende Peripheriezinsen.
Swap-Spreads weiter runter
Ein komplexes Thema! Wenn Anleger angesichts all der geschilderten Trends kalte Füsse bekommen, dürften die Finanzierungskosten von Deutschland im Vergleich zu anderen Benchmarks steigen, der Swap-Spread sinkt. Er ist bereits so tief wie nie zuvor.
Quantitative Easing
Wer soll all die neuen Bonds kaufen? Perspektivisch wohl die Notenbank. Typisch, werden Sie sagen, und Sie haben recht.
Umleitung der Kapitalströme von den USA nach Europa
Der Ausblick auf eine Erholung in Europa und einen stärkeren Euro bei gleichzeitig aufkommenden Stagflationsängsten in den USA entzieht dem Dollarraum Kapital und lenkt es nach Europa.
Und dann folgte der Mega-Schock II: Trumps Zollhammer
Mit der Ankündigung der «reziproken» Zölle am 2. April kamen schlagartig massive Rezessionssorgen auf Europa zu. Nichts da mit höheren Zinsen, aus der Sicht des in Franken denkenden Investors änderte sich wiederum (fast) alles:
Der Euro sinkt zum Franken deutlich, und das zusammen mit den Leitzinserwartungen und den Zinsdifferenzen am Kapitalmarkt. Der Bear Steepener (steilere, höhere Zinskurve) verwandelte sich umgehend in einen Bull Steepener (steilere, tiefere Zinskurve), was so viel bedeutet wie: Adieu Boom, guten Tag Baisse. Was vom Szenario I bleibt, sind die höheren Schulden.
Wie weiter: Strohfeuer oder Schwelbrand?
Die Unsicherheit ist mit Händen zu greifen. Sind die Zölle nur Verhandlungsmasse? Wenn ja: wofür? Wie schnell und in welchem Ausmass können sie wegverhandelt werden? Das weiss aktuell niemand. Die Beantwortung dieser Frage ist aber wichtig für die Abklärung des Schadens für die Eurozone, insbesondere für den Investment Case pro Europa, der unmittelbar nach Aufgabe der Schuldenbremse entstanden war. Sie ist aber auch wichtig zur Abschätzung des Schadens, der für den amerikanischen Konsumenten angerichtet wird, denn er ist zweifellos eines der Hauptopfer der Verwerfungen. Viele der tarifierten Güter können aus vielerlei Gründen nicht in den USA produziert werden.
Kommt es trotz Zollgewitter zu einem J-Curve-Effekt in der europäischen Konjunktur und am Zinsmarkt?
Was dafür spricht:
Deutschland hat mit den Flüssiggasterminals bewiesen, dass es schnell und unbürokratisch handeln kann. Und wir sprechen von viel, sehr viel Geld, das mobil ist. Seit der Pandemie sind 9 Bio. $ allein in den US-Aktienmarkt geflossen. Europa steht für 49% der Auslandinvestitionen in den USA. Eine bescheidene Umlenkung dieser Finanzströme würde bereits einiges bewirken.
Die USA stehen für 4% der Weltbevölkerung, aber für 65% der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung. Eine geringfügige Reallokation der internationalen Gelder aus dem hoch bewerteten US-Finanzmarkt mit einer teuren Währung in den niedriger bewerteten europäischen Aktienmarkt würde sich an den Zins- und Devisenmärkten deutlich bemerkbar machen.
Ist dem Dollar noch zu trauen? Man hat der Regierung Trump im Falle der Zölle nicht geglaubt, bis es zu spät war. Warum glaubt man ihm nicht im Falle des Willens zu einem schwächeren Dollar? Wird das Tail-Risk eines ungeordneten Dollarzerfalls («Mar a Lago-Accord») eingepreist?
Der Kursverlauf des Euro zum Dollar gleicht verdächtig jenem von 2017. Damals stieg der Euro von 1.05 auf 1.25 $.
Die Bemühungen für eine Kapitalmarktunion in Europa könnten sich akzentuieren. Aus Sicht des Finanzmarkts ist dies das grösste Manko Europas gegenüber den USA.
Und schliesslich könnte ein Frieden in der Ukraine die dritte seismische Verschiebung in diesem Jahr bedeuten. Sie wäre eminent bullish für Europa.
Was dagegen spricht:
Wird sich die berüchtigte deutsche Bürokratie über die Infrastrukturpläne beugen? Kommt das Fiskalprogramm überhaupt in die Gänge? Grosse Zweifel verbleiben, man erinnere sich an den Bau des Berliner Flughafens und des Stuttgarter Bahnhofs (immer noch nicht fertiggestellt).
Die Gesetzgebung für die Investitionsprojekte, die noch nicht einmal angedacht sind, dürfte viel Zeit verschlingen. Dazu kommt die Beschaffung, Planung, Bewilligung und Ausführung. Im deutschen Tempo dürfte die Hälfte der Legislaturperiode bereits vorbei sein, bevor der Stimulus überhaupt spürbar wird.
Apropos: Wofür steht die neue Koalition? Die Meinungen zum Koalitionsvertrag sind mehrheitlich negativ. Ein Programm, das die Probleme anpackt statt verwaltet und nur mit neuen Schulden übertüncht, ist nicht in Sicht. Kommt es bald zu Neuwahlen in Deutschland?
Woher sollen die Soldaten, Ingenieure und Facharbeiter genommen werden? Kann das Heer von Soziologen, Kunstsachverständigen, Beamten etc. umgeschult werden? Was ist mit der Viertagewoche? Die Kapazitäten sind beschränkt, das Spiel von Angebot und Nachfrage wird teuerungswirksam.
Wird das Geld verschwendet («Klimaschutz»)? Wohl eine rhetorische Frage, die den Finanzmarkt kurz- bis mittelfristig jedoch nicht interessiert. Wichtig ist der Stimulus an sich, das wusste schon Keynes.
Europa, insbesondere Deutschland, ist reformunfähig. Reformen wären aber die Voraussetzung, dass sich langfristig etwas ändert.
Ich wage eine Prognose:
Die Zölle werden teilweise wegmoderiert.
Der Dollarabschwung wirkt disinflationär für Europa.
Der Fiskalstimulus in Europa kommt. Aber später, ineffizienter und verschwenderischer als erhofft, weg von Infrastruktur, hin zu Konsum und Klientelbewirtschaftung. Der Koalitionsvertrag spricht Bände.
Es wird dank der Aussicht auf besseres Wachstum eine gewisse Umkehr der Investitionsströme stattfinden.
Es bleibt genügend Zeit für die Europäische Zentralbank, die Zinsen zu senken, bevor der J-Curve-Effekt eintritt.
Die USA bleiben die dynamischere, bessere, marktwirtschaftlichere Wirtschaft. Ohne europäische Kapitalmarktunion bleibt der Fiskalstimulus auf dem Alten Kontinent ein heftiges, aber vergängliches Strohfeuer.
Die Tail-Risiken sprechen gegen den Dollar und für den Euro. Das ist auch wichtig für den Investor, der in Franken denkt.
Man sollte ein allfälliges Untergewicht in Euroanlagen mit zugehaltener Nase reduzieren.
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.