Rio Tinto, einer der weltgrössten Bergbaukonzerne, setzt überraschend viel Geld auf den Batterie-Rohstoff Lithium. Das ist strategisch, antizyklisch – und gut überlegt.
Mancher Käufer eines Elektroautos steht vielleicht in der Garage, kratzt sich am Kopf und überlegt, ob das eine gute Idee war. Was Trost spenden mag: Einer der grössten und ältesten Konzerne der Welt ist überzeugt, dass es richtig war – und wettet knapp 7 Milliarden Dollar darauf. So viel Geld will Rio Tinto, der global zweitgrösste Bergbau-Riese, jetzt für den Kauf von Arcadium Lithium ausgeben.
Wie der Name nahelegt, fördert Arcadium Lithium ebenjenes Leichtmetall, das als Rohstoff für Lithiumionenbatterien und damit für Elektrofahrzeuge unerlässlich ist. Zu Arcadiums Kunden zählen Tesla, BMW und General Motors. Rio Tintos Übernahmeplan hat viele Beobachter überrascht, denn der Zeitpunkt erscheint merkwürdig. So wie beim Kauf eines Elektroautos, während alle Welt über die anhaltende Zukunft des Verbrennungsmotors redet.
Der Lithiumpreis ist kollabiert – kein Hindernis für Rio Tinto
Elektroautos verkaufen sich derzeit in vielen Märkten schlechter als auch schon, und beim Lithium drängt ein Überangebot aus chinesischer Produktion auf den Markt. Der Preis für Lithiumkarbonat ist seit einem Hoch zu Jahresbeginn 2023 um rund 80 Prozent gefallen. Doch statt abzuwarten, wie sich der Markt entwickeln wird, will Rio Tinto mit der bisher grössten Übernahme im Lithium-Sektor zum weltweit drittgrössten Produzenten des Metalls aufsteigen.
Nicht nur das Timing der Akquisition fällt auf. Sie passt auch nicht zum Branchentrend. Oft kaufen Bergbaufirmen zu, wenn ein Rohstoff im Aufwind ist – und das war in jüngster Zeit Kupfer. Das Basismetall ist heute rund 30 Prozent teurer als vor zwei Jahren. Konkurrent BHP kaufte 2023 den Kupferproduzenten Oz Minerals, und auch BHPs in diesem Jahr gescheiterte Übernahme des Branchenriesen Anglo American drehte sich um Kupfer.
Doch während Kupfer für viele Zwecke gebraucht wird, sei es für Elektronik, Beschichtungen, Rohre, Kabel, Maschinen und auf dem Bau, ist Lithium eng verknüpft mit der Elektrifizierung und der Energiewende. Unabhängig vom Auf und Ab beim Verkauf privater Elektroautos ist der Wechsel von fossilen Brennstoffen zu Elektrizität ein langfristiger Trend im Transportwesen, in der Industrie und der Produktion.
Für einmal spielt Geld fast keine Rolle
Wo es um Strom geht, geht es auch um Speicherung. Und damit um Batterien, die auf absehbare Zeit Lithium benötigen. Deshalb erscheint Rio Tintos Strategie gerechtfertigt – und in jedem Fall langfristiger angelegt als jedes kurzfristige politische Gezerre um Subventionen, das den privaten Elektroauto-Käufer verunsichert. Denn während der Verbrennungsmotor bei gewissen Anwendungen seine Berechtigung behalten wird, auch in der Industrie, wird vielerorts die Energieeffizienz immer wichtiger. Sie spricht eindeutig für Strom.
Rio Tinto erwartet für Lithium ein jährliches Nachfragewachstum von 10 Prozent bis 2040 und ab 2030 Engpässe bei der Versorgung. Anders als viele Wettbewerber ist der Konzern schon lange an dem Metall interessiert. Vor Jahren wollte das angelsächsisch-australische Unternehmen die Minderheit an einem anderen grossen Produzenten erwerben. Um Europas Bedarf zu decken, baut Rio Tinto eine grosse Förderung in Serbien auf, ringt dort aber um Lizenzen und mit grossem lokalem Widerstand.
Arcadium hingegen hat garantierte Vorkommen, etablierte Verarbeitungskapazitäten und produziert zu relativ niedrigen Kosten. Um die Aktionäre zu überzeugen, will Rio Tinto keine Risiken eingehen und nimmt viel Geld in die Hand: Geboten wird ein heftiger Aufschlag von 90 Prozent auf den Kurs der Arcadium-Aktien. Das kann sich der Konzern ohne Probleme leisten. Rio Tinto ist riesig und besitzt grosse, hauptsächlich durch die Förderung von sehr profitablem Eisenerz gefüllte Taschen.
Solche Einigkeit ist selten
Doch Arcadiums Management befürwortet die Offerte nicht aufgrund des Preises, sondern aus strategischen Gründen – eben weil Rio Tinto genug Kapital besitzt, um das Wachstum der Firma dauerhaft zu finanzieren. Solche Einigkeit ist bei Übernahmen in der Welt des Bergbaus nicht selbstverständlich. Das zeigt: Hier geht es um einen langfristigen Trend, an dem kaum jemand zweifelt.