Eine neue Wunderwaffe soll in der Zürcher Hohlstrasse für Ruhe sorgen. Wird das funktionieren?
BMW reiht sich an BMW, polierter Lack strahlt im Neonlicht. Die Luft vor dem Coop Pronto bei der Tankstelle Letzipark in Altstetten ist geschwängert von Zigarettenrauch, Abgasen und dem Geruch nach Benzin. Gelegentlich heult beim Anfahren ein Motor auf – dann erzittern die Betonwände der Tankstelle.
Es ist nach Mitternacht an einem Samstag. Alle Parkplätze sind belegt, in dem kleinen Laden herrscht viel Betrieb. Hier, in der Tiefgarage des Einkaufszentrums Letzipark und bei der nahe gelegenen Socar-Tankstelle, treffen sich die Autoposer von Zürich-West.
Im Mittelpunkt des Geschehens beim Letzipark stehen ein karmesinroter M2 Competition – 410 PS, Sportfelgen, italienische Trikolore über der Windschutzscheibe – und sein Besitzer. Fabio Ricciardi ist Haustechniker, wohnt im Limmattal und lebt für sein Auto. Für den M2 gibt er sein Geld aus, mit dem M2 verbringt er seine Freizeit.
Für ihn ist Autofahren ein Lebensgefühl. Er beteuert, dass er nichts Verbotenes tue, alles an seinem Wagen sei völlig legal. Und der Motor? «Der tönt halt, wie er tönt», sagt Ricciardi.
Die Anwohner sehen das anders. Für sie sind Männer wie Ricciardi Störenfriede, die sie um den Schlaf bringen. Hier an der Hohlstrasse prallen urbane Gegensätze aufeinander. Auf der einen Seite Hunderte von jungen Männern mit ihren Karossen – auf der anderen die Anwohner, die sich über Lärm, schlechte Luft und Stau beklagen.
Früher frisierte er sein Töffli, heute will er seine Ruhe
Von seiner Küche aus hat Antonio Beroggi einen guten Blick auf die Socar-Tankstelle an der Hohlstrasse. An den Wochenenden sei der Motorenlärm manchmal so laut, dass seine Frau und er nicht schlafen könnten, erzählt der Rentner.
Beroggi hat zwei seiner Nachbarn zum Gespräch eingeladen. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass er nicht der Einzige aus dem Quartier ist, der ein Problem mit dem Lärm hat. Beroggi heisst eigentlich anders. Aus Angst, dass er die Autoposer mit seinen Aussagen provozieren könnte, will er seinen richtigen Namen aber nicht in der Zeitung lesen.
Wenn er nicht schlafen kann, schaut Beroggi Filme im Fernsehen oder zählt die Autos vor dem Fenster: 39 Wagen waren es neulich, mit Nummernschildern aus den Kantonen Luzern, Thurgau, Zürich und Aargau.
Im Sommer das Fenster offen zu lassen, sei unmöglich. Manchmal halte der Lärm die ganze Nacht an. Beroggi sagt: «Du denkst, jetzt ist es vorbei. Aber genau dann rast einer mit einem Lamborghini die Hohlstrasse hoch, und es knallt und dröhnt.»
Beroggi und seine Frau leben seit 1972 in Altstetten. Die beiden haben nichts gegen Motoren. Im Gegenteil: Als junger Mann hat er sein Töffli frisiert, um schneller zur Arbeit und noch schneller in den Ausgang zu kommen. «Mit meinem Puch Maxi habe ich 70 Kilometer pro Stunde geschafft!» Wenn er von früher erzählt, vom Töffli und von den grossen Motorrädern, die er später gefahren ist, gerät Beroggi ins Schwelgen.
Aber seit der Tankstellenshop vor seinem Haus vor einigen Jahren den 24-Stunden-Betrieb eingeführt hat, ist es aus mit Beroggis Liebe zu Motoren. Die Autoposer gehen einfach nicht mehr nach Hause. Und was die Sache noch schlimmer macht: Vor ein paar Monaten räumte die Aargauer Polizei den Poser-Treffpunkt bei der Autobahnraststätte Würenlos. Nun fahren auch sie vor Beroggis Wohnung durch.
Der Rentner hat viele Geschichten über die Autoposer auf Lager. Einmal drückte einer derart aufs Gas, dass er in Beroggis Briefkasten krachte. Ein andermal raste ein Ferrari-Fahrer in Endlosschleife die Hohlstrasse rauf und runter. Nur damit alle seine Kumpels einmal auf dem Beifahrersitz Platz nehmen konnten.
«Können die nicht normal fahren? So wie alle anderen auch?», fragt sich Beroggi.
Beroggi wurde auch schon selbst aktiv. Als ein Töfffahrer während fünfzehn Minuten seine Harley laufen liess, warf Beroggi ein rohes Ei aus dem vierten Stock. Es landete vor den Füssen des Töfffahrers. Auch das habe natürlich nichts gebracht. Gelegentlich gehe er heute noch selbst auf die jungen Männer zu, um mit ihnen zu reden. Dann sagt er: «Hallo, wir sind hier nicht in Monza! Wir wohnen hier und wollen schlafen.» Doch die jungen Männer zuckten nur mit den Schultern und warteten, bis er wieder weg sei.
Und die Polizei? «Ach die!», ruft Beroggi aus. Weil er nicht am Zürichberg wohne, kümmere es keinen, ob er schlafen könne oder nicht. Manche Polizisten kennten ihn unterdessen. Wenn er anrufe, reagierten sie schon gar nicht mehr.
Sensibilisierung und Bestrafung
Die Stadt ihrerseits betont, dass man seit Jahren an dem Thema dran sei. «Zürich hat schon lange ein Problem mit Autoposerinnen und Autoposern, und die Belastung der Bevölkerung nimmt weiter zu.» So formulierte es die Stadtzürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne). Deshalb stellte sie am Mittwochnachmittag ein besonderes Pilotprojekt vor: den Lärmblitzer.
Er funktioniert ähnlich wie ein gewöhnlicher Blitzer. Doch statt mit einem Radar ist er mit 42 Mikrofonen ausgestattet. Und statt auf Geschwindigkeit reagiert der Kasten auf Lautstärke. Ist ein vorbeifahrendes Auto lauter als der zugelassene Schwellenwert, zeichnet das Gerät ein Video davon auf. Und dann gibt es eine Busse.
So lautet der Plan von Karin Rykart. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Für einen ordentlichen Einsatz des Lärmblitzers fehlt auf nationaler Ebene die gesetzliche Grundlage. Unter anderem muss geregelt werden, welche Lautstärken-Grenzwerte auf welchen Strassen gelten – und mit welchem Betrag Lärmsünder gebüsst werden sollen.
Statt auf den Bund zu warten, will Zürich vorangehen: «Wir wollen bereit sein, wenn die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden», sagte Karin Rykart.
Das Pilotprojekt besteht aus zwei Teilen. Erstens aus Displays, die Autolenkern vom Strassenrand aus in Echtzeit angeben, ob ihr Fahrzeug zu laut ist. Bei Lautstärken zwischen 75 und 82 Dezibel belohnt das Display die Lenker mit einem lachenden Gesicht. Bei höheren Werten zeigt es ein trauriges Gesicht und die Warnung «zu laut». Damit will man alle Verkehrsteilnehmer für den Lärmschutz sensibilisieren.
Das Display wird bis Ende Juni an zahlreichen Stellen in der Stadt aufgestellt. Wo genau, das behalten die Behörden für sich.
Auch die Einsatzorte des Lärmblitzers sind geheim. Weil es sich um einen Pilotversuch handelt, wird der Kasten zwar Aufzeichnungen machen, diese werden danach jedoch anonym ausgewertet. Die Aufnahmen sollen den Fachleuten ein Bild davon vermitteln, welche Fahrzeuge die Grenzwerte überschreiten – und um wie viel.
Bussen werde es während der Testphase keine geben, betont man bei der Stadtpolizei. Die Tests werden vom städtischen Umwelt- und Gesundheitsschutz wissenschaftlich begleitet und kosten rund 50 000 Franken.
«Wieso muss ich mir so etwas gefallen lassen?»
Lärmblitzer? Kampf gegen Autoposer? Ricciardi winkt ab. Er sieht sich gar nicht als Autoposer – keiner der Männer vor dem Coop Pronto beim Letzipark sieht sich so. Doch Anwohner wie Beroggi und die Polizei halten sie für genau das: junge Männer, die mit leistungsstarken Autos in der Gegend herumfahren und dabei unnötigen Lärm verursachen. Sie sehen in Ricciardi und seinen Gleichgesinnten ein Problem.
Eine Verkehrskontrolle in Wollishofen wird ihm an einem Frühlingsabend 2021 zum Verhängnis. Den Polizisten erscheint Ricciardis BMW viel zu laut. Obwohl dieser beteuert, dass sein Fahrzeug weder getunt sei noch mit illegalen Teilen bestückt, wird es beschlagnahmt. So erzählt Ricciardi jedenfalls die Geschichte.
Es folgen Monate voller Ärger mit den Behörden. Fünf Mal muss Ricciardi beim Strassenverkehrsamt antraben – aber am Ende kann man ihm nichts Verbotenes nachweisen. Sein BMW läuft im legalen Bereich.
Ricciardi fragt: «Wieso muss ich mir so etwas gefallen lassen?» Er findet, dass der Staat bei den Importeuren ansetzen solle, wenn der Lärm so ein grosses Problem sei. Aber die Autofahrer solle man in Ruhe lassen.
Der Streit mit den Behörden hat Ricciardi verändert. Früher war er Autofahrer, heute sieht er sich als Aktivist für die Sache der Autofahrer. Er sieht sich von der Obrigkeit schikaniert. Also erzählt er seine Geschichte der Boulevardpresse.
Und er gründet auf Instagram eine Art Selbsthilfegruppe für Autoliebhaber, denen es geht wie ihm. Gemeinsam wettert man dort über die angeblich willkürliche Justiz.
Ein Apparat soll alle Probleme lösen
Ricciardis Motor war nicht der einzige, den die Behörden in den letzten fünf Jahren kontrolliert haben: Seit 2019 hat die Stadtpolizei Zürich insgesamt 336 Kontrollen in der Autoposer-Szene durchgeführt. Diese Zahl gab der Stadtrat Ende 2024 auf eine parlamentarische Anfrage hin bekannt.
Das Resultat dieser Kontrollen waren über 2000 Verzeigungen, weil die überprüften Fahrzeuge entweder zu laut waren oder technische Mängel aufwiesen. Insgesamt wurden mehr als 300 Autos sichergestellt.
Doch das Problem mit den Autoposern ist damit noch längst nicht gelöst. Die Stadt Zürich habe neben den Polizeikontrollen zwar «diverse Massnahmen» getestet. Aber Gegenden wie die Hohlstrasse, die Quaibrücke und die Stadthausanlage verwandeln sich an schönen Wochenenden trotzdem in Freiluft-Autosalons.
Mit den Lärmdisplays und dem Lärmblitzer will sich die Stadt Zürich nun zwei weitere Mittel in die Hand geben, um gegen Autoposer vorzugehen. Und sie wolle «ein Zeichen setzen», sagte Karin Rykart. Ein Zeichen dafür, dass die Stadt den Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Umweltbelastungen ernst nehme.
Nach 115 000 Franken ist Schluss
Fabio Ricciardi stellt sich aufrecht hin, streckt sein Kreuz durch und sagt: «Es gibt Polizisten, die einfach keine Ahnung haben.» Umso besser ist er heute deshalb auf Kontrollen vorbereitet.
In seinem Handschuhfach hat er eine Mappe, in der alle Umbauten verzeichnet sind, die er an seinem Wagen vorgenommen hat. Die Mappe habe ihm in den letzten Jahren viele Probleme erspart. «Wer illegal unterwegs ist, ist selber schuld.»
Dazu, dass die Polizei bald Lärmblitzer einsetzen will, sagt Ricciardi bloss: «Sie übertreiben es mit den immer strengeren Regeln.» Er sieht sie als eine weitere Massnahme, mit der der Staat die Autofahrer zu schikanieren versucht. Am Nutzen des Blitzers hat Ricciardi seine Zweifel.
Trotzdem scheint sich in der Szene so etwas wie Ernüchterung breitzumachen. Egal, wie gut man sich vorbereite, egal, wie sehr man sich zur Wehr setze: Der Staat sitze einfach am längeren Hebel, sagt Ricciardi. Vielen seiner Bekannten habe diese Erkenntnis die Freude am Auto genommen.
Auch er selbst hat langsam genug. 115 000 Franken hat er in seinen BMW M2 Competition investiert. Doch wenn das Auto dereinst ausgedient hat, will er Schluss machen – das Hobby habe ihn «genug Geld gekostet», er habe «keine Nerven mehr» dafür.
Im Notfall bleibt ihm immer noch die Flucht
Antonio Beroggi ist gespannt, was die Tests der Stadt ergeben werden. Ob die Lärmblitzer das Problem mit den Autoposern lösen können, bezweifelt er aber: Sobald die Poser wüssten, wo die Blitzer stünden, wüssten sie sie auch zu umgehen.
Statt sich den ganzen Sommer über die lauten Fahrzeuge und die untätige Polizei zu ärgern, hat Beroggi einen anderen Plan gefasst: Wenn der Lärm vor seiner Wohnung besonders schlimm wird, dann fährt er ins Tessin. Dort hat er seine Ruhe.