Der Schokoladenhersteller und der Uhrenkonzern haben bei den Analysten an Gunst verloren. Ihre Aktien werden aussergewöhnlich oft zum Verkauf empfohlen. Könnte es sich für Anleger lohnen, sich nun als Contrarian zu positionieren?
Anfang Monat ist die Angst in die Börsenwelt zurückgekehrt. US-Präsident Donald Trump hat mit seinen Zollankündigungen die Märkte durchgeschüttelt. Die Anleger sollten eine Auslegeordnung machen: Was halten, was verkaufen, und wo winken möglicherweise schon günstige Einstiegsgelegenheiten?
Ein erster Leitfaden für diese Fragen sind die Einschätzungen der Analysten. The Market legt im Folgenden anhand von Bloomberg-Daten eine Auswertung ihrer aktuellen Empfehlungen für die Titel aus dem Schweizer Standardwertebarometer SMI und dem Mid-Cap-Index SMIM vor.
Trumps Zollmassnahmen zwingen die Analysten, ihre Einschätzungen anzupassen – weil dadurch die Ertragslage vieler Unternehmen beeinträchtigt werden kann, aber auch, weil die Aktienkurse stark darauf reagiert haben. Die folgende Tabelle zeigt, welche Titel aus dem SMI und dem SMIM allein in den fünf Handelstagen nach dem denkwürdigen 2. April, von Trump als «Liberation Day» bezeichnet, bis zum 9. April, noch bevor der US-Präsident eine neunzigtägige Zollpause angekündigt hat, am meisten verloren haben. Das zeigt, welche Unternehmen am verletzlichsten sind und welche Valoren besonders unter den Auswirkungen hoher Zölle leiden würden.
Mit dem Kurseinbruch hat sich eine breite Kluft aufgetan zu den von den Analysten gesetzten Kurszielen, die auf Sicht von zwölf Monaten gelten (siehe untenstehende Tabellen zu den Aktien im SMI und im SMIM).
Kurseinbruch als Chance?
Seit Anfang Monat haben Analysten da und dort aber schon Anpassungen vorgenommen – manche von ihnen sehen im Kurseinbruch offenbar auch neue Chancen. So ist bei mehr als der Hälfte der zwanzig SMI-Unternehmen die Kauftendenz, die den Schnitt der Empfehlungen der Analysten wiedergibt, gestiegen. Nur bei Nestlé und Richemont ist sie etwas gesunken.
Hervorzuheben ist der Hersteller von Computerzubehör Logitech: Vor dem 2. April rieten noch drei Analysten zum Verkaufen der Aktien. Nach dem darauffolgenden Kurseinbruch um bis zu 28% gibt es jetzt keine Verkaufsempfehlung für Logitech mehr, dafür eine Kauf- und zwei Halten-Empfehlungen mehr.
Die Analysten werden weitere Anpassungen vornehmen, Gewinnschätzungen und Kursziele werden sukzessive überprüft werden müssen. Klar ist, dass die Möglichkeit einer Rezession, gerade in den USA, nicht von der Hand zu weisen ist: Je mehr sich die Anzeichen dafür verdichten, umso mehr werden sich die Erwartungen im Markt reduzieren.
Wen es am härtesten trifft
In solch einem von Unsicherheit geprägten, risikoaversen Umfeld trifft es die Schwächsten am stärksten. Dazu gehören allen voran Unternehmen mit einer schwachen Bilanz. Ein Paradebeispiel ist AMS Osram. Der Sensor- und Lichtspezialist leidet unter hohen Nettoschulden von zuletzt 1,9 Mrd. € oder dem 3,2-Fachen des bereinigten Betriebsergebnisses Ebitda; das Kreditrating liegt mit B klar auf Ramschniveau.
Das ist gerade für eine zyklische und stark vom Automarkt abhängige Gesellschaft wie AMS Osram eine heikle Ausgangslage. Die Aktien haben in den ersten fünf Handelstagen nach dem «Liberation Day» mit mehr als 29% auf 5.18 Fr. auch weit überdurchschnittlich verloren. Gemäss Bloomberg liegt das durchschnittliche Kursziel der Analysten zwar bei 9.85 Fr. Doch die Sorgen um die Finanzlage, die sich auch in Fragen nach einer neuen Kapitalerhöhung manifestieren, überwiegen ein allfälliges Erholungspotenzial des Unternehmens.
Die Achillesferse von Georg Fischer
Überdurchschnittlich gelitten haben auch Georg Fischer, obwohl sie unter den Titeln des SMIM mit 4,5 die höchste Kauftendenz aufweisen. Dabei bedeutet ein Wert von 5, dass eine Aktie von allen Analysten zum Kauf empfohlen wird, ein Wert von 3 entspricht einer neutralen Haltung und einer von 1 einer einhelligen Verkaufsempfehlung.
Mit der Ankündigung im vergangenen Oktober, sich auf das margenstarke Rohrleitungsgeschäft zu fokussieren, hat sich Georg Fischer viel Wohlwollen im Finanzmarkt gesichert. Das Problem betrifft die zum Verkauf stehende Division Casting Solutions, die als Zulieferer stark auf die von US-Zöllen bedrohte deutsche Autoindustrie ausgerichtet ist: Im angespannten Marktumfeld wird es zurzeit schwierig sein, dafür zu vernünftigen Konditionen einen Abnehmer zu finden.
Mitschuldig
Georg Fischer benötigt aber einen Deal, zum einen, um Freiraum für die weitere Expansion im Rohrleitungsgeschäft zu erhalten, zum anderen zur Reduktion der hohen Nettoverschuldung, die zuletzt mehr als das 3-Fache des Ebitda betrug. Die Konzernführung trägt selbst Schuld, dass sie in der Zwickmühle steckt: Sie verzichtete vor über einem Jahr darauf, ihre Grossübernahme Uponor wie anfänglich geplant mit einer Kapitalerhöhung zu refinanzieren.
Nun droht die Gefahr, dass die Anerkennung der Finanzmarktteilnehmer für die Fokussierungsstrategie von GF bald überlagert wird von der Frage, wann eine Lösung für Casting Solutions präsentiert wird und wie rasch die Verschuldung auf ein gesundes Mass zurückgeführt werden kann.
Einige grössere Veränderungen
Normalerweise unterliegen die durchschnittlichen Empfehlungen der Analysten nicht allzu grossen Schwankungen. Seit der letzten Auswertung der Bloomberg-Daten durch The Market im vergangenen Juli gibt es aber doch merkliche Umstufungen.
Innerhalb des SMI sticht neben Logitech etwa Novartis hervor. Die Kauftendenz für die Aktien des Pharmakonzerns hat sich in besagtem Zeitraum von 3,8 auf 3,3 abgeschwächt. Es droht weitere Unbill: Nachdem Trump pharmazeutische Erzeugnisse von Tarifmassnahmen zuerst ausgeschlossen hatte, sagte er kurz darauf plötzlich, gegen ausländische Pharmaunternehmen bald Zölle in einem Ausmass einzuführen, «wie man es noch nie zuvor gesehen hat».
Danach brachen die Titel von Novartis in lediglich vier Handelstagen um fast 15% ein. Ob oder inwieweit die Trumpʼschen Drohungen wahr werden und sich letztlich auf die Empfehlungen der Analysten für die Pharmaunternehmen auswirken, lässt sich zurzeit nicht absehen.
Ungewöhnlich deutliche Herunterstufungen gab es innerhalb des Mid-Cap-Index SMIM. Voran betroffen waren Lindt & Sprüngli sowie Swatch Group. In ersterem Fall sank die Kauftendenz von 3,4 auf noch 2,3: Lediglich ein Analyst empfiehlt Lindt & Sprüngli zurzeit zum Kauf, dem stehen fünf Verkaufs- und vier Halten-Empfehlungen gegenüber.
Beim Schokoladenhersteller liegen die Gründe für die Herabstufungen nicht in der Leistung: Er übertraf mit seinen Zahlen für 2024 die Konsensschätzungen der Analysten, vom Umsatz über den Gewinn bis zur Cashflow-Entwicklung. Die Analysten lobten insbesondere auch die hohe Preissetzungsmacht.
Die Risiken bei Lindt & Sprüngli
Ihre Zurückhaltung gegenüber den Titeln von Lindt & Sprüngli ist auf die überaus hohe Bewertung zurückzuführen: Gemessen an der durchschnittlichen Gewinnschätzung der Analysten für 2025 werden die Partizipationsscheine mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 39 gehandelt.
Die Zürcher Kantonalbank hat dazu bemerkt, dass das Schätzrisiko für 2025 und 2026 grösser als üblich sei, «da nicht klar ist, wie der Konsument auf die nochmals klar höheren Preise der Schokoladenindustrie reagieren wird». Zuvor schon schrieb sie, für das Unternehmen werde die Volumen- und Margenentwicklung anspruchsvoller, falls der Kakaopreis nicht korrigiere. Er hat seit seinem Höchst von Mitte Dezember inzwischen um rund ein Drittel korrigiert.
Festzuhalten bleibt, dass die Partizipationsscheine von Lindt & Sprüngli sich im Trumpʼschen Wirbel standfest gezeigt haben: In den ersten fünf Handelstagen nach dem 2. April haben sie lediglich 2,7% verloren. Das spricht für sie. Doch die hohe Bewertung bleibt ein Risiko.
Swatch Group und eine Frage
Anders gelagert ist der Fall Swatch Group (Kauftendenz: 2,3). Der Uhrenhersteller hat mit seinen Zahlen für 2024 die Markterwartungen auf allen Ebenen weit verfehlt – was in deutlichem Kontrast zum Abschneiden des Luxusgüterkonzerns Richemont steht. Mit hohen US-Zöllen würden sich die Perspektiven weiter eintrüben.
Die Abneigung der Analysten gegen Swatch Group erklärt sich aber auch mit der Abneigung von Nick Hayek ihnen gegenüber: Der Chef des Uhrenkonzerns will sich weder mit ihnen noch mit den Investoren austauschen und zeigt offen seine Verachtung. So hält er Analysten vor, dass ihre Arbeit «keinen Wert» schaffe.
Hayeks unkonstruktives Verhalten schadet der Börsenbewertung. Tiefere Kurse kommen ihm selbst aber durchaus zupass, um weitere Anteile am Unternehmen zu erwerben. Ende Dezember kontrollierten der Hayek-Pool und ihm Nahestehende mit einem Anteil von 25,9% am Aktienkapital 44,1% der Stimmrechte.
Denken wie die Kreditanalysten
Diese Datenauswertung fusst auf Einschätzungen von Aktienanalysten. Sie gehören zur Sell Side, zu Institutionen, die am Finanzmarkt als Vermittler zwischen Verkäufer und Käufer agieren. Aktienanalysten neigen dazu, eher die Chancen als die Risiken einer Anlage zu sehen und wagemutigere Unternehmensstrategien zu goutieren.
Die Kreditanalysten pflegen einen risikobewussteren Ansatz: Sie messen der Bilanzsituation ein höheres Gewicht bei und legen etwa Wert auf Liquiditätsreserven, eine gute Diversifizierung oder eine vorsichtige Akquisitionsstrategie.
In diesen turbulenten Zeiten, in denen es noch manche Klippen zu umschiffen geben wird, sollte es sich lohnen, vermehrt auch auf die Kreditanalysten zu achten und als Anleger wie sie zu denken: Es gilt, Wert zu legen auf eine gesunde Bilanz ohne hohe Nettoschulden, auf ein Geschäftsmodell, das sich in schwierigen Situationen jeweils gut bewährt hat, und auf ein Management, das nicht mit forschen Zielen und Prognosen hervorsticht, sondern mit einer umsichtigen Strategie.
Lindt & Sprüngli erfüllt zweifelsfrei alle drei Kriterien. Ein Risiko bleibt die hohe Bewertung. Swatch Group erfüllt die ersten beiden Anforderungen, doch einer Kaufempfehlung im Weg steht das Kriterium Management. Bei Georg Fischer, deren Mid-Cap-Titel von den Analysten am häufigsten zum Kauf empfohlen werden, lohnt es sich, wie die Kreditanalysten den Blick auf die Bilanz zu richten: In unsicheren Zeiten machen hohe Schulden verletzlich.