Der chilenische Regisseur schickte Jolie für mehrere Monate in den Gesangsunterricht. Im Interview zum Film «Maria» erklärt er auch, weshalb die Operndiva eine tragische Figur war, die den Tod fast herbeigesehnt hat.
Maria Callas will geliebt werden. Ihre Stimme ist wie ausgetrocknet, aber die Diva dürstet nach Anerkennung. Sie steht in der Küche und singt ihrer Haushälterin Bruna, die gerade ein Omelett wendet, Verdis «Ave Maria» vor. «Herrlich!», lügt Bruna. «It was magnificent!» Pablo Larraín lässt seine Callas, gespielt von Angelina Jolie, nach Komplimenten fischen. Falsches Lob – das braucht es für den Regisseur nicht, der Film ist ausgezeichnet. Aber nach der ausgiebigen Premierentour, die ihn zum Abschluss nach Zürich geführt hat, sackt bei dem Mann das Energielevel ab. Im Büro des Filmverleihs greift der Chilene müde zu den Luxemburgerli auf dem Tisch. Da helfen nur anerkennende Worte: «Mr. Larraín, it was magnificent!» Larraín lacht. Jetzt ist er aufnahmefähig.
Der Film fängt mit Maria Callas’ Tod an. Weshalb?
Das Publikum soll wissen, was es erwartet. Wie in einer Oper: Man wird eingestimmt auf die Tragödie. Hier präsentiere ich euch den leblosen Körper von Maria Callas, und nun werde ich erzählen, was passiert ist.
Was ist passiert? Woran ist Maria Callas gestorben, damals, 1977?
Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen. Aber es gibt keine Autopsie, wir kennen die Todesursache nicht mit Sicherheit. Klar ist, dass sie eine Menge Medikamente genommen hat, darunter solche, die höchstens drei Wochen lang verschrieben werden. Sie nahm sie zwei Jahre.
«Herzversagen», heisst es im Film. Das hat eine schöne Doppeldeutigkeit.
Das Wort war nicht im Drehbuch, ich habe den Schauspieler spontan gebeten, sich so auszudrücken. Ja, man könnte sagen, dass ihr Herz nicht nur mechanisch ausgesetzt hat, sondern auch emotional.
Woran hing ihr Herz?
Im Grunde sieht dieser Film eine einfache Operation vor: Er will das Schicksal von Maria Callas mit dem Schicksal ihrer Figuren verschränken, die sie so viele Jahre lang auf der Bühne gespielt hat. Es ist fast so, als hätte sie das Vermächtnis all dieser Figuren in sich aufgenommen.
Sie meinen, die Tragik der Figuren hat sie nicht losgelassen?
Wenn man darüber nachdenkt, fällt einem auf, dass nicht zuletzt die Belcanto-Komponisten allesamt Männer sind. Sie haben diese weiblichen Rollen geschrieben, in denen die Frau verbrannt oder erstochen wird, Selbstmord begeht, enthauptet wird, vergiftet, was auch immer. Die Frau wiederum wird als sentimental dargestellt, leidenschaftlich. Ihre emotionale Suche nach einem unerreichbaren Glück treibt sie in den Tod. In meiner vielleicht etwas übersteigerten Phantasie hat Maria Callas die Möglichkeit zu sterben akzeptiert, weil sie so oft und mit solcher Leidenschaft diese Figuren verkörpert hat. Wissen Sie, was sie so richtig gehasst hat?
Was?
Applaus während der Aufführung. In einer Reihe von Fällen hat sie das Klatschen vergeblich zu unterbinden versucht. Sie hielt es für ablenkend, unelegant, unnötig. Für sie war der einzige richtige Applaus derjenige am Ende. In meinem Kopf ist sie jemand, der es gewohnt ist, auf der Bühne zu sterben – und der dann den Applaus dafür entgegennimmt. Ihre Freude über die Begegnung mit dem Publikum ist in diesen Momenten unübersehbar. Man fragte sich bei ihr ja immer: Wie oft wird sie rauskommen? Sie mochte das Fallen des Vorhangs enorm.
Sie wollen sagen, dass sich Maria Callas fast gesehnt hat nach dem finalen Vorhang?
Ja.
Dass sie sterben wollte?
Sie hat sich der Möglichkeit, dass sie sterben könnte, ausgesetzt. So würde ich es formulieren. Kein Selbstmord, sondern sie hat den Tod in Betracht gezogen und die Bedingungen dafür geschaffen, dass er eintreten konnte. Ohne Angst. Ich finde das sehr schön.
Was finden Sie daran schön?
Ich erinnere mich an einen interessanten Zufall. Als ich auf dem Weg zu einem Optiker in Santiago war, weil ich eine Brille brauchte, habe ich davon erfahren, dass Jean-Luc Godard gerade gestorben war. Dass er sich für Sterbehilfe entschieden hat, beschäftigte mich sehr. Jedenfalls traf ich bei dem Augenarzt ein, der ein grosser Opernfan ist, ein Maria-Callas-Fan. Er besass sogar ein Foto von dem Rezept ihres Optikers und fragte mich, ob ich wissen wolle, wie schlecht ihre Augen waren. Der Optiker stellte das Gerät dann so ein, dass ich nur so viel sehen konnte, wie sie gesehen hat.
Und das war nicht viel?
Was fünf Zentimeter vor mir war, konnte ich noch erkennen, den Rest schon nicht mehr. Alles verschwommen. Stellen Sie sich vor, sie hat nie einen Dirigenten gesehen! Nicht einmal die Umrisse. Nichts. Sie sah nur Schatten, und sie trug auch sehr ungern eine Brille in der Öffentlichkeit. Also muss sie in einer ausgeprägten inneren Welt gelebt haben. Und sie hörte sicher auch anders. Der Film versucht, die Wahrnehmung ihrer Welt wiederzugeben. Ich wollte nicht filmen, was um sie herum geschieht, sondern die Welt mit ihren Augen sehen. Deshalb gibt es Elemente im Film, die real sein könnten oder auch nicht.
Wie die Rückblenden in die Zeit des Zweiten Weltkriegs? Was denken Sie, hat sie damals in Griechenland erlebt?
Es gibt ungefähr ein Dutzend grosser Maria-Callas-Biografien, aber zu manchen Sachen schreiben alle etwas anderes. Ich habe sehr spät in der Recherche davon erfahren, was damals passiert sein könnte. Aber es ergab für mich Sinn, weil ich nie eine Erklärung dafür gefunden habe, warum sie nie wieder mit ihrer Mutter sprechen wollte. Sie haben sich kaum mehr gesehen, nachdem Maria mit Anfang zwanzig Griechenland verlassen hatte und nach New York gegangen war.
Im Film legen Sie nahe, dass sie sich für die deutschen Soldaten prostituieren musste.
Dass sie von ihrer Mutter zur Prostitution gezwungen wurde, ja. Aber ich wollte das nicht filmisch darstellen. Ich wollte es offener halten. Später war sie mit Meneghini verheiratet, einem Geschäftsmann, der nicht besonders attraktiv war und ihr Manager wurde. Eine verwirrende Beziehung. Und dann lernte sie Aristoteles Onassis kennen und fand wieder Lust. Nicht nur sexuell, sondern auch einfach Lust am Leben. Sie könne wieder ein Mädchen sein, sagt sie im Film. Aber mir ist wichtig zu betonen, dass all dies nur Teilaspekte des Films sind. Das ist nicht das Wichtigste.
Was ist das Wichtigste?
Die Stimme. Die Stimme ist das Wichtigste.
Stimmt es, dass Angelina Jolie sieben Monate lang Gesangsunterricht hatte?
Ja, wobei es zwei Monate lang allein um die Körperhaltung, die Atmung und das Italienisch ging. Sie singt im Film ja ausschliesslich Arien auf Italienisch. In den darauffolgenden Monaten trainierte sie dann wie besessen mit einem Team von drei Personen die Arien. Sie verstand dadurch, wie viel man geben muss, um richtig zu singen. Sie lernte so aber nicht nur Marias Singstimme, sondern auch die Sprechstimme. Und die Art, wie sie sich bewegte.
Hören wir im Film wirklich Angelina Jolie singen?
Beim Dreh gingen wir so vor: Angelina bekam einen Ohrstöpsel und hörte die Stimme von Callas und das Orchester. Um sie herum standen zahlreiche Mikrofone. Sie sang also laut. Und nur sie hörte die Musik. Man kann sich vorstellen, wie viel Überwindung das kostet. Am Anfang hatte sie Panik. Manchmal waren unzählige Statisten dabei, sie sang vor Hunderten von Leuten. Den Gesang nahmen wir auf und mischten ihn dann mit dem Original. Das meiste, was man im Film hört, ist natürlich Maria Callas. Manchmal hört man 1 Prozent Angelina, manchmal 5 Prozent, manchmal aber auch 50 Prozent. Je nach Szene.
Ist es so wichtig, dass Angelina Jolie singt?
Das ist das Wichtigste überhaupt.
Warum?
Weil ich ihr die Darstellung sonst niemals abkaufen würde. Es wäre fürchterlich ablenkend. Operngesang kann man nicht vortäuschen. Er lässt sich nicht einfach Playback singen. Man sieht doch, wie die Stimme im Körper arbeitet.
Brauchte es eine Diva, um eine Diva zu spielen?
Lassen Sie mich das so beantworten: Obwohl ich alle Biografien über Maria Callas gelesen habe, sämtliche Dokumentationen geschaut, eine aufwendige Recherche angestellt habe und seit vierzig Jahren ihre Musik höre . . . Trotz alldem weiss ich noch immer nicht, wer Maria Callas war.
Sie bleibt ein Mysterium?
Ja, und ein Grund dafür ist, dass sie von der Presse drangsaliert wurde. Also sprach sie nie über private Dinge. Nicht einmal in ihren Briefen. Die Briefe, die man von ihr hat, sind immer in einer sehr neutralen Sprache gehalten. Sie hat bewusst darauf geachtet, keine persönlichen Gedanken oder Erfahrungen zu vermitteln. Sondern diese mit sich ins Grab zu nehmen. Sie war eine mysteriöse Frau mit einer ungeheuren Anziehungskraft.
Und es brauchte Angelina Jolie, weil sie auch so ist?
Nein, weil sie spielen kann, so zu sein.
Aber ist sie nicht ähnlich mysteriös und divenhaft?
Als Journalist können Sie das gerne so sehen. Ich will nicht, dass man denkt, dass ich Angelina deshalb gebeten hätte, die Rolle zu spielen. Das wäre auch nicht wahr. Ich habe sie gebeten, die Rolle zu spielen, weil sie diese Anziehungskraft erzeugen kann. Diese Energie. Es ist kompliziert, wenn Schauspieler Rollen spielen sollen, die eine unglaubliche Ausstrahlung erfordern. Ich habe gehört, dass Martin Scorsese einen Film über Frank Sinatra drehen will. Er will das mit Leonardo DiCaprio machen. Gute Idee. Wer sonst könnte einen Sinatra spielen?
Und wer ausser Angelina Jolie eine Maria Callas!
Manchmal mache ich eine Übung: Ich setze die Schauspielerin oder den Schauspieler auf einen Hocker vor der Kamera, und die Person darf nichts tun. «Bewohne einfach diesen Ort», sage ich. «Sei präsent.» Das ist die Aufgabe. Dann stelle ich mich hinter die Kamera – und es passiert, dass ich meine Augen kaum noch vom Sucher abwenden kann. Ich empfinde etwas sehr Starkes für die Person. Und so kann es einem auch im Kino ergehen. In den interessantesten Fällen weiss man gar nicht so genau, weshalb man etwas empfindet. Man fühlt es einfach.