Der Gliedstaat Colorado hat Donald Trump wegen des Sturms auf das Capitol als unwählbar erklärt. Am Donnerstag hörte sich der Supreme Court den Fall an. Die Fragen der Richter liessen erkennen, dass sie sich gegen ein Wahlverbot entscheiden dürften.
Über zwei Stunden dauerte die Anhörung vor dem Supreme Court in Washington am Donnerstag. Im Zentrum stand dabei eine unscharf formulierte Verfassungsklausel, die kurz nach dem Bürgerkrieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts in das Grundgesetz geschrieben wurde: Abschnitt 3 des 14. Zusatzartikels. Der Paragraf sollte verhindern, dass ehemalige «Aufständische» zurück an die Schalthebel der Macht gelangen können. Nun diente er jedoch im Gliedstaat Colorado als Grundlage, um Donald Trump vom Wahlzettel zu streichen. Das Oberste Gericht in Denver sah es im Dezember als erwiesen an, dass der ehemalige Präsident am 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das Capitol einen Aufstand gegen die Verfassung angezettelt hat.
Wie schwierig der interpretierbare Paragraf jedoch auf die heutige Situation anwendbar ist, verdeutlichte sich am Donnerstag schnell. Trumps Anwalt Jonathan Mitchell argumentierte vor dem Supreme Court, dass die Verfassungsklausel das Amt des Präsidenten nicht explizit erwähnt. Der Text besagt, dass ein ehemaliger «Officer of the United States», der einen Eid auf die Verfassung abgelegt hat und sich an einem Aufstand beteilige, künftig keine offizielle Position mehr ausüben darf. Bei einem «officer» handle es sich jedoch nur um ernannte Funktionäre und nicht um gewählte Personen, erklärte Mitchell.
Keine Sache der Gliedstaaten
Die Verfassungsklausel verbiete es Aufständischen zudem nicht, für ein Amt zu kandidieren, meinte Trumps Anwalt. Denn der Text verbiete lediglich die «Ausübung» einer offiziellen Position. Nicht die einzelnen Gliedstaaten, sondern der Kongress sei deshalb nach der Wahl dafür zuständig, den Paragrafen anzuwenden. Dies gehe aus dem Verfassungstext selbst hervor. Tatsächlich ermächtigt die Klausel den Kongress dazu, einen «Aufständischen» mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen in beiden Kammern quasi zu begnadigen.
Der Anwalt Jason Murray, der vor dem Supreme Court die Gruppe von unabhängigen und republikanischen Wählern aus Colorado vertrat, die Trump vom Wahlzettel streichen will, legt die Verfassung jedoch ganz anders aus. Mit einem «officer» sei jeder gemeint, der ein Amt – ein «office» – ausübe, erklärte Murray. Darunter falle auch der Präsident der USA. Weil die Gliedstaaten für die Durchführung der Wahl zuständig sind, obliege es zudem ihnen, über die Wählbarkeit der Kandidaten zu entscheiden.
Mit jeder kritischen Frage der Obersten Richter wurde jedoch deutlich, dass ihr Urteil vermutlich zu Trumps Gunsten ausfallen wird. Für die von Barack Obama ernannte Richterin Elena Kagan stellte sich vor allem eine praktische Frage: «Warum sollte ein einziger Gliedstaat darüber entscheiden, wer Präsident der Vereinigten Staaten sein sollte?» Sie suggerierte damit, dass dies von einer nationalen Institution entschieden werden müsste. Da unterschiedliche Gliedstaaten zu ganz unterschiedlichen Urteilen kommen können, würde sonst ein Chaos drohen.
Angst vor einer politischen «Kettenreaktion»
Der konservative Richter Samuel Alito sah seinerseits die Gefahr einer gefährlichen «Kettenreaktion». Künftig könnten demnach republikanisch regierte Gliedstaaten als Vergeltung ihrerseits demokratische Präsidentschaftskandidaten mit dem Verweis auf die Verfassung vom Wahlzettel streichen. Das Wort «Aufstand» sei ein sehr breiter Begriff, gab der von Trump nominierte Richter Brett Kavanaugh zu bedenken: «Was bedeutet es, wie wird es definiert und wer entscheidet darüber?»
Der Vorsitzende Richter John Roberts verwies zudem auf die ursprüngliche Absicht des 14. Zusatzartikels. Sein ganzer Zweck sei es gewesen, nach dem Bürgerkrieg die Rechte der Gliedstaaten einzuschränken – vor allem jene der aufständischen Südstaaten. «Das ist der letzte Ort, an dem man nach einer Ermächtigung der Gliedstaaten suchen würde, um über die Präsidentschaftswahlen zu bestimmen.»
Vermutlich konnten sich Abraham Lincolns Republikaner damals nur schwer vorstellen, dass ein Präsident ihrer Partei im 21. Jahrhundert versuchen würde, die demokratische Ordnung in Washington umzustürzen. Sonst hätten sie wohl darauf bestanden, das Amt des Präsidenten explizit im «Aufstands-Paragrafen» des 14. Zusatzartikels zu erwähnen. Nun aber scheint der Interpretationsraum für die Richter des Supreme Courts zu gross zu sein, um ein Wahlverbot unausweichlich zu machen.
Da sich praktisch alle Obersten Richter – konservative und progressive – skeptisch zeigten, könnte ihr Urteil am Ende eindeutig zu Trumps Gunsten ausfallen. Bis dahin dürften aber noch ein paar Wochen oder Monate vergehen.