Wie versandet eine Ehe? Und wie belebt man sie wieder? Das ist das Thema des neuen Films mit Anke Engelke, der am Zurich Film Festival Premiere hat. Hier gibt die grosse deutsche Schauspielerin ein paar Beziehungstipps.
Eine langjährige Ehe ist zum Stillstand gekommen, die Eheleute sprechen nur noch über die alltäglichen Verrichtungen. Über ihre Beziehung schweigen sie. Jetzt wird er als Schuldirektor pensioniert. Die Aussicht, dass er, der sie vor Jahren mit seiner Nachfolgerin betrogen hat, nun immer zu Hause ist, macht ihr Angst. Aber dann passiert etwas Schreckliches, das alles auf den Kopf stellt. Und die Beziehung neu belebt. «Dann passiert das Leben» ist brillantes Kino, weil es sein wichtiges Thema so präzise und doch auch witzig zeichnet. Und weil der Film mit Anke Engelke als Rita und Ulrich Tukur als Hans so hochkarätig wie kongenial besetzt ist. Am Zurich Film Festival, das nächste Woche beginnt, wird er Premiere feiern.
Wie spielt man so etwas, und wie hält man eine Beziehung am Leben, Anke Engelke? Fröhlich winkend erscheint das Gesicht der 59-Jährigen auf dem Bildschirm, hinter ihr eine Tapete mit dunklem Holzmuster. Sie habe es bei sich zu Hause in Köln halt gern gemütlich. Leider sei die Tapete so teuer gewesen, dass sie sich nur ein paar Meter habe leisten können – um zum Beweis die weisse Wand und die Kleiderstange nebenan zu zeigen. Welche Prominente geht so unbekümmert in ein Gespräch mit einem Journalisten?
Frau Engelke, «Dann passiert das Leben» zeigt, wie eine langjährige Ehe ins Schweigen rutscht. Kennen Sie das?
Anke Engelke: Von mir nicht. Aber es gibt zwei Beziehungen in meinem näheren Umfeld, die ich mir in der Vorbereitung auf den Film näher angeschaut habe, denn denen ist das passiert. Für den Beruf ist das natürlich hilfreich, wenn man gern beobachtet, manchmal denke ich, das steckt in meinem Charakter. Ich war immer schon sehr interessiert am Leben anderer, fast schon mehr als an meinem eigenen. Vielleicht, weil ich privat kein extrovertierter Mensch bin. Das wird dann in Zürich auch wieder eine grosse Herausforderung für mich, über den roten Teppich zu laufen.
Der rote Teppich in Zürich ist grün.
Oh wie schön, aber leider wenig hilfreich, wenn man nicht so gern im Vordergrund steht. Ich stehe ja lieber am Rande und guck mir die Leute an. Stille und Schweigen sind schon interessante Phänomene, auch in «Dann passiert das Leben». Wir erleben, wie ein Ehepaar schweigt. In diesem Fall ist es ein frierendes Schweigen.
Sie nehmen die Emotionen für Ihr Spiel also aus eigenen Beobachtungen?
Na klar, Beobachten ist ja wie Sammeln. «Alles ist Material», hat Heiner Müller einmal gesagt. Das geschieht täglich, ich fülle eine Art Gefühlsfundus, und beim Drehen verlasse ich mich dann auf das Drehbuch, die Regie und den Moment.
Bei der Abschiedsfeier für den Mann lässt seine Nachfolgerin, mit der er einmal etwas hatte, den Schülerchor das Lieblingslied des Ehepaars singen. Sie wenden sich leicht ab, ein Zucken im Mundwinkel, ein paar Tränen. Das entwickeln Sie im Moment?
Ja, weil die Regisseurin Nele Leana Vollmar es geschafft hat, dass wir uns trotz diesem ganzen Gewimmel beim Dreh fallenlassen und ganz im Moment sein konnten.
Dann können Sie sogar weinen?
Wenn der Chor singt und die Kollegen im Moment sind, vergisst man die Kamera, dann kann ich auch weinen. Sie hätten da auch weinen können.
Das glaube ich nicht. Sind Sie nah am Wasser gebaut?
Ja. Ich weine viel bei klassischer Musik. Oder natürlich wenn ich traurig bin. Ich weine aber auch vor Glück. Ich habe kürzlich geweint, als ich zum ersten Mal eine Live-Version von Lola Youngs Song «Dealer» gehört habe, ich mag ihre Stimme so so gern. Sie ist auf die Brit School in London gegangen, wie Amy Winehouse oder Adele. Die wissen da wohl ganz gut, wie sie jungen Frauen Mut und den Glauben an die eigene Stimme verleihen. Ich weine auch oft im Kino.
Wann zuletzt?
Neulich bei «Der Junge, dem die Welt gehört», da waren viele Bilder so stimmungsvoll traurig-schön, und die Filmmusik hat alles warm eingepackt.
Aber bei den eigenen Filmen weinen Sie nicht?
Auweia, nein, das wäre ja ziemlich selbstbesoffen. Und das bin ich nicht, ich bin super selbstkritisch.
Anke Engelke
Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» hat die Schauspielerin und Moderatorin vergangenes Jahr zu den fünfzig einflussreichsten Frauen Europas, Afrikas und des Nahen Ostens erkoren. Auf jeden Fall gehört die 59-Jährige zu den Grössten und Besten ihres Faches. Und zu den Vielseitigsten. Engelke, die als Journalistin angefangen hat, beherrscht die Komödie wie das Drama. Engelke hat drei Kinder aus zwei Ehen und wohnt in Köln.
«Kann ich etwas dafür, dass du nicht glücklich bist?», fragt Hans im Film seine Frau Rita, die Sie spielen. Ist man für sein Glück selbst zuständig?
Die Frage stelle ich mir auch oft. Langsam denke ich, das geht so mit dreissig los, dass man sich mit dem eigenen Glück auseinandersetzt. Mit vierzig dann mit dem Glück der anderen und mit fünfzig mit dem Glück einer Gesellschaft.
Und was haben Sie dabei gelernt?
Dass man zum Beispiel bei einem Streit in der Partnerschaft auch einmal auf Pause drücken muss: «Lass uns bitte morgen drüber reden. Lass uns hier und jetzt nichts kaputtmachen.» Vielleicht kann man das eigene Glück mitformen, indem man das Unglück vertagt. Und man muss das eigene Glück zulassen können.
Da haben Sie kein Problem. Sie verlieben sich schnell.
Ja! Ich bin ständig verliebt, in Menschen, in Momente.
Trauen Sie immer Ihrer Verliebtheit?
Ich falle oft auf die Nase. Aber es wird besser. In den vergangenen Jahre habe ich gelernt, dass ich oft zu gutgläubig, zu naiv bin. Aber ich möchte diese Verliebtheit, diese Begeisterungsfähigkeit nicht verlieren. Ich bin leider jemand, den man gut ausnutzen kann. Ich merke zu spät, wenn es jemand nicht gut mit mir meint. Obwohl ich mich als Menschenkennerin bezeichnen würde, aber eventuell eher, wenn es ums Berufliche geht, bei Figuren, die ich spiele.
Ihre Figur Rita sagt im Film zu ihrem Mann: «Ich bin ein Nichts für dich. Du siehst mich ja gar nicht mehr.» Fühlen Sie sich gesehen, wenn nicht zu sehr gesehen?
In meiner kleinen Anke-Welt, meinem Privatleben, fühle ich mich sehr gesehen. Ich habe eine Familie, die mich trägt, herausfordert und mir vertraut. Und ich habe einen Freundinnenkreis, in dem ich einfach ich sein kann. Aber im Alltag erlebe ich auch den Fluch der Prominenz. Ich komme bis heute nicht damit klar, wenn die Menschen ein Selfie mit mir machen wollen, dann fühle ich mich einfach reduziert auf die Prominenz. Ich biete dann ein Gespräch statt eines Fotos an – was in der Regel abgelehnt wird. Bei ganz Hartnäckigen sage ich: «Also, wir machen jetzt das Foto. Auch wenn ich mich dabei unwohl fühle. Aber Ihnen geht es danach besser, das ist doch schon mal was.» Dann sind die Menschen verwirrt. Aber ich bin ja privat keine Schauspielerin, warum soll ich den Menschen etwas vormachen?
Verlangen Sie von sich absolute Ehrlichkeit?
Ja.
In so einer scheinheiligen Welt wie der Unterhaltungswelt?
Im Zweifelsfall enttäusche ich die Menschen lieber, als dass ich unehrlich bin. Da muss ich durch.
Wie schafft man es eigentlich, eine Beziehung über die Jahre lebendig zu halten?
Mein Geheimrezept ist nicht geheim: Kommunikation. Man sollte in einer Partnerschaft ständig im Austausch bleiben. Am Anfang ruhig mal ein paar knallharte Fragen stellen: Sind wir monogam? Sind wir eifersüchtig? Brauchen wir Freiheiten? Definiere deine Freiheiten!
Solche Gespräche führen Sie?
Ehrlichkeit gehört dazu. Ob ich das jetzt immer so mache, sei dahingestellt. Aber Rita und Hans hätten klären müssen, was passiert, wenn einer fremdgeht. Nein, sie hätten noch früher einhaken sollen: Was passiert, wenn wir merken, dass wir uns für andere interessieren? Das haben die beiden offenbar nicht besprochen.
Liegt es bei Hans an seiner Eitelkeit?
Nele Leana Vollmar, Ulrich Tukur und ich haben darüber viel gesprochen. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Hans wohl gedacht hat, das mit seiner Kollegin sei etwas rein Körperliches. Er aber liebe nur Rita. Und deswegen sei es nicht so schlimm.
Rita wiederum hat sich im Schweigen und in ihrer Trauer eingerichtet.
Ich möchte Rita nicht in Schutz nehmen, ich habe bei der Vorbereitung und beim Lernen des Textes oft den Kopf geschüttelt: «Warum bist du denn so, Mädchen?» Sie haben schon recht: Sie hat sich eingerichtet in ihrer Trauer und ihrer Unzufriedenheit. Dabei gibt es doch immer Alternativen zum Stillstand.
Und es gibt einen Impuls von aussen. Rita fährt unabsichtlich einen Menschen tot.
So ein Ereignis ist furchtbar und tragisch. Oft sind es Impulse von aussen, die dabei helfen, aus der eigenen Erstarrung herauszufinden. Bei einem der beiden Paare, die ich in der Vorbereitung mit Blick auf das Film-Ehepaar intensiver angeschaut habe, war der Impuls der Tod eines geliebten Familienmitglieds. Die Trauer hat sie dazu gebracht, sich selbst neu anzuschauen und aufzustellen. Aber auf so einen Impuls sollte man sich nicht verlassen. Beziehungen sind immer Arbeit. Beziehungen, die einfach so fluppen, sind selten.
Die gibt es gar nicht. Das sieht nur von aussen so aus.
Sie haben wohl recht.
Warum wird im Film das Altern fast immer als ein Verlustgeschäft dargestellt?
Die Anke, die bald sechzig wird, kann das nicht bestätigen. Ich habe immer so tolle Chancen bekommen. Aber warum das Alter gesellschaftlich immer als Abstieg dargestellt wird, ist mir auch ein Rätsel. Es wäre doch richtig, auf die zu hören, die am längsten dabei sind – sofern sie noch bei Sinnen sind und mitmachen wollen. Aber das ist wohl ein Problem des Kapitalismus. Die Alten gelten nicht als nachhaltige Käuferschicht, beinahe so, als seien sie uninteressant. Neulich hörte ich in einem Radio-Essay, dass der Mensch lieber einen frischen als einen welken Apfel anschaue, tja.
Aber Sie bekommen die besten Rollen Ihres Lebens.
Vielleicht, weil ich nicht mehr aufs Lustigsein reduziert werde. Ich habe mir das Recht auf Vielseitigkeit erkämpft.
Sie selbst sind ja gar nicht lustig. Das Lustige wird für Sie geschrieben. Ihre Stärke ist die Angstfreiheit, das Lustige auszuleben.
Das glaube ich auch. Darüber habe ich kürzlich wieder einmal mit meinem Freund und Kollegen Bastian Pastewka gesprochen. Wir scheinen keine Angst davor zu haben, dass etwas als dümmlich missverstanden werden könnte, dass wir scheitern oder nicht gut aussehen könnten.
Sie haben selbst erwähnt, dass Sie Ende Jahr sechzig werden. Auch eine Anke Engelke kann sich pensionieren lassen. Schon einmal darüber nachgedacht?
Nö. Ich habe mit elf Jahren angefangen in der Unterhaltungsbranche. Da hätte ich rein rechnerisch schon vor zwanzig Jahren in Pension gehen können. Aufhören ist gerade keine Option.
Warum ist das so klar?
Weil ich so viel Leidenschaft für den Beruf habe. Und es gibt Projekte, die werden mir angeboten mit den Worten: «Wir machen das aber nur, wenn du mitmachst.» Das ist doch irre schön! Das macht mich froh.
Sie haben mir einmal gesagt: «In mir gibt es den grossen Wunsch, auf einem Niveau abzuliefern, das auch mir gefällt und das den Vertrauensvorschuss des Publikums nicht ignoriert.»
Hm, klingt ganz gut. Aber etwas fehlt: Ich bin nahezu frei von Ehrgeiz. Wenn ich eine Rolle, einen Preis nicht bekomme: nicht tragisch. Wenn ich mir das zu Herzen nehmen würde, würde ich vielleicht nur noch auf Wirkung achten beim Spielen und nicht auf Qualität.
Woran messen Sie Qualität?
An der Resonanz von Menschen, die kritisch und ehrlich sind und kein Interesse dran haben, zu verletzen. Wenn Sie mir sagen, Sie seien berührt gewesen vom Film, macht mich das glücklich. Und wenn die Menschen am Set sogar noch in der Mittagspause über den Film und unser Thema sprechen, dann ahne ich, dass wir etwas richtig machen.
Sie sind ja eine Optimistin, eine Lebenshaltung, die Sie sich nicht nehmen lassen wollen. Wie macht man das, gerade in diesen Zeiten?
Grund zum Jammern gab es immer. Manchmal denke ich, viele Menschen möchten unzufrieden sein. Ich mache da nicht mit. Was nützt es meinen Mitmenschen, wenn ich unzufrieden bin? Ich glaube, wir brauchen mehr Menschen, die durch ihren Optimismus andere Menschen tragen, Glückskinder, wie ich eins bin.
Wahrscheinlich haben Sie gerade Ihr Erfolgsgeheimnis formuliert.
Ich möchte einfach alles geben, weil ich so viel bekommen habe.
«Dann passiert das Leben» läuft am Zurich Film Festival am 29. 9., am 1. und 2. 10. Es gibt nur noch wenige Tickets. Der Film kommt am 6. November ins Kino.
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