Zwischen den Aktienindizes in Europa und in den USA öffnet sich eine Schere. Der Risikoappetit der Marktteilnehmer hat deutlich abgenommen.
In der vergangenen Woche stand die US-Notenbank Fed im Fokus. Erwartungsgemäss liess sie die Leitzinsen unverändert im Zielband von 5,25 bis 5,5%. Allerdings signalisierten die Währungshüter für das laufende Jahr nur noch eine statt drei Zinssenkungen. Noch ist das Vertrauen der Notenbanker in einen nachhaltigen Rückgang der Teuerung zu wenig gefestigt.
Die jüngsten US-Inflationsdaten fielen jedoch erfreulich aus: Der Index der Konsumentenpreise für den Mai erreichte im Jahresvergleich 3,3%, nach 3,4% im April. Die Kernrate, die die oft stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, ermässigte sich von 3,6% auf 3,4%. Beide Werte fielen besser aus als von den Marktakteuren erwartet. Bestätigt wurde das erfreuliche Signal durch den Index der Produzentenpreise, der mit einer Jahresveränderung von 2,2% ebenfalls unter den Erwartungen lag.
Neue Rekordhochs in den USA…
Die Finanzmärkte reagierten erfreut: Die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen sank im Wochenverlauf um mehr als 20 Basispunkte auf 4,21%, während die US-Börsen ihre Rekordjagd fortsetzten: Der Leitindex S&P 500 erreichte am Donnerstag sein 29. Höchst in diesem Jahr.
Nach einem marginalen Rücksetzer am Freitag beendete das US-Barometer die Woche mit einem Plus von 1,6% und notiert nur noch knapp unter der Marke von 5500 Punkten. Noch besser schnitt allerdings der technologielastige Nasdaq 100 ab, der um deutliche 3,5% avancierte, nachdem er bereits in der Vorwoche um über 4,3% gestiegen war. Für Schwung sorgte das Indexschwergewicht Apple, dessen Aktien nach der Ankündigung neuer Angebote im Bereich künstlicher Intelligenz ein Allzeithoch erklommen.
… Dämpfer für Europa
Der Weltaktienindex von MSCI rückte um 0,4% vor und markierte in der vergangenen Woche ebenfalls ein neues Rekordhoch. Weniger erfreulich war die Entwicklung auf dem Alten Kontinent. Insbesondere der Euro Stoxx 50 kam mit einem Wochenverlust von 4,2% unter die Räder.
Nachdem die rechtsnationale französische Partei Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen in den Europawahlen ein Glanzergebnis hingelegt und Emmanuel Macrons Partei enttäuscht hatte, verkündete Präsident Macron die Auflösung der Nationalversammlung und die Anberaumung neuer Parlamentswahlen per 30. Juni.
Die Aussichten, die RN könnte schon bald zur stärksten Partei im Parlament avancieren und mit Jordan Bardella den Premierminister stellen, sorgte für Nervosität. Angesichts der fiskalpolitisch aggressiven Forderungen der RN, die sich der stark verschuldete Staat nicht leisten kann – vor rund zwei Wochen hat die Ratingagentur Standard & Poor’s Frankreichs Bonität auf «AA-» herabgestuft –, reagierten die Anleger verschreckt. Der französische Leitindex sackte 6,2% ab, die Zinsen auf französischen Anleihen schossen in die Höhe.
Der deutsche Dax (–3%) und der Swiss Market Index (–1,7%) bereiteten ebenfalls wenig Freude.
Finanz, Energie und Grundstoffe im Rückwärtsgang
Bei den Sektoren überstrahlte Technologie den Rest: Die neue KI-Strategie von Apple wurde von den Anlegern euphorisch aufgenommen, die Aktien schossen in die Höhe und zogen den gesamten Sektor mit nach oben. Allein am Dienstag legten sie um mehr als 7% zu. Abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei folgen Immobilien (0,8%) und Kommunikation (+0,5%).
Die übrigen Branchen mussten im Wochenverlauf Verluste hinnehmen, wobei Finanzaktien (–2,6%) das Schlusslicht bildeten. Nur wenig besser schnitten Energie- (–2,3%) und Grundstoffvaloren (–2,1%) ab.
Risk Barometer kühlt sich ab
Das Risk Barometer von The Market ist im Wochenverlauf spürbar gesunken und zwar von 57 auf bloss noch 43 Zähler. Damit ist es erst zum zweiten Mal in diesem Jahr unter den langfristigen Mittelwert von 50 gerutscht.
Nachdem die Inflation ihren Schrecken etwas verloren hat, rücken nun Bedenken über die Wachstumsperspektiven und nach den Wahlen in Europa, in Mexiko und in Indien die politischen Risiken in den Fokus. Trotz Stimmungsabkühlung sendet das Risk Barometer jedoch aus Contrarian-Sicht noch kein Kaufsignal, derzeit notiert es am unteren Ende des neutralen Korridors.
Von den neun Komponenten, die ins Barometer einfliessen, vermochte im Wochenverlauf bloss eine zuzulegen:Die Umfrage der American Association of Individual Investors unter ihren Mitgliedern zeigte zuletzt eine Stimmungsaufhellung. Knapp 45% der Befragten erwarten, dass der S&P 500 in sechs Monaten höher notieren wird, während der Anteil derjenigen, die einen Rückgang des Indexes erwarten, mit nicht ganz 26% deutlich geringer ist.
Von den acht Faktoren, die sich abschwächten, fielen insbesondere der Volatilitätsindex Vstoxx auf den Euro Stoxx 50, das Verhältnis von Put- zu Call-Optionen sowie der beobachtete Risikoabbau bei amerikanischen Hedge Funds ins Gewicht. Die anhaltende Schwäche der Small Caps machte sich ebenfalls bemerkbar.
Weitere Zinsentscheide
In dieser Woche stehen weitere Zinsentscheidungen an. So tagt die Reserve Bank of Australia am Dienstag, gefolgt von der Bank of England am Donnerstag. Beide Institutionen dürften mit einer geldpolitischen Lockerung noch etwas zuwarten. Aus Schweizer Sicht spannender ist die geldpolitische Lagebeurteilung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) am Donnerstag.
Nachdem sich der Euro gegenüber dem Franken in kurzer Zeit von 0.99 auf knapp über 0.95 Fr. abgeschwächt hat, könnte die SNB versucht sein, mit einer weiteren Lockerung nachzulegen. «Angesichts der insgesamt niedrigen Inflation (ohne Mieten), des Währungsdrucks, der schwachen Konjunktur und der restriktiven Geldpolitik wird die SNB die Zinsen am 20. Juni wahrscheinlich um 25 Basispunkte senken», meinen die Ökonomen von Allianz Global Investors.