Erstmals seit neun Jahren ist ein indischer Aussenminister nach Islamabad gereist. Die Bedingungen erscheinen günstig für einen Neustart, doch das Misstrauen und die Vorbehalte der verfeindeten Bruderstaaten bleiben gross.
Von Tauwetter zu sprechen, wäre wohl verfrüht. Doch dass am Dienstag erstmals seit neun Jahren ein indischer Aussenminister nach Pakistan gereist ist, ist ein erster Schritt, die jahrelange Eiszeit zu überwinden. Subrahmanyam Jaishankar legte zwar Wert darauf zu betonen, dass er für den Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) nach Islamabad gereist sei und keinen bilateralen Besuch abstatte. Trotzdem wird die Visite als Zeichen einer neuen Offenheit Indiens gewertet, das angespannte Verhältnis zum Nachbarn zu verbessern.
«Beide Länder haben ihre Wahlen hinter sich, es gab schon länger keine grossen Angriffe in Kaschmir mehr, daher ist es ein guter Moment, die Beziehungen zu verbessern», sagt Ajay Bisaria, der von 2017 bis 2020 Botschafter Indiens in Pakistan war. Jaishankars Besuch sei ein Signal, dass Delhi bereit sei, eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu prüfen. Wenn Pakistan sich bewege, sei auch Indien bereit, dies zu tun, sagte Bisaria, der heute in Delhi zur Aussenpolitik forscht.
Für Indien hat der Streit um Kaschmir nicht mehr die gleiche Relevanz, seit China als Hauptrivale wahrgenommen wird. Die Obsession mit Pakistan habe nachgelassen, sagt Bisaria. Zwar habe es jüngst mehrere Attacken an der Grenze zu Jammu gegeben, doch sei die Zahl der Terrorangriffe in Kaschmir signifikant zurückgegangen. Bevor es sich auf Gespräche einlasse, wolle Indien aber von Pakistan eine Zusage, dass es den Terrorismus nicht erneut ausweite, sagt Bisaria.
Nawaz Sharif spricht sich für weitere Gespräche aus
In Indien wurde aufmerksam registriert, dass sich Pakistans früherer Premierminister Nawaz Sharif am Montag für eine Wiederbelebung der Beziehungen aussprach. In seiner Amtszeit hatte es eine Phase der Annäherung an Indien gegeben. Sharif äusserte sein Bedauern, dass Indiens Premierminister Narendra Modi nicht selbst zum SCO-Gipfel gekommen sei. Er hoffe aber, dass es bald ein Gespräch mit Modi geben werde, sagte Sharif, der als starker Mann hinter der derzeitigen Koalitionsregierung seines Bruders Shehbaz Sharif gilt.
Nawaz Sharif war 2014 zur Amtseinführung von Modi gereist. Im Dezember 2015 nahm die indische Aussenministerin Sushma Swaraj an einem Afghanistan-Gipfel in Islamabad teil. Kurz darauf reiste Modi überraschend nach Lahore, um Sharif zum Geburtstag zu gratulieren. Diese Phase endete jedoch abrupt, als Anfang 2016 islamistische Terroristen aus Pakistan einen Angriff auf den grenznahen indischen Luftwaffenstützpunkt von Pathankot verübten.
Vollends in die Krise gerieten die Beziehungen, als im Februar 2019 ein Selbstmordattentäter in Kaschmir vierzig indische Polizisten in den Tod riss. Zu dem Anschlag auf den Konvoi bekannte sich die Terrorgruppe Jaish-e Mohammed, die ihre Basis im pakistanischen Teil Kaschmirs hat. Modi ordnete daraufhin einen Luftangriff auf ein Lager der Gruppe jenseits der Grenze an. Im August 2019 entzog Delhi zudem dem indischen Teil von Kaschmir seinen bisherigen Autonomiestatus.
Um Kaschmir ist es ruhiger geworden
Der Schritt führte in Kaschmir zu heftigen Protesten und in Pakistan zu scharfer Kritik. Der damalige Premierminister Imran Khan forderte Indien auf, Kaschmir seine Autonomie zurückzugeben. Seither ist es aber ruhiger geworden um die Himalaja-Region. Die Regierung von Shehbaz Sharif hat die Forderung nach Wiederherstellung der Autonomie nicht erneuert, und die Zahl der Anschläge in dem Tal sind stark gesunken. Anfang Oktober fanden im indischen Teil der Region erstmals seit 2014 wieder Regionalwahlen statt.
Trotz dieser positiven Ausgangslage ist es aber ungewiss, ob Jaishankars Besuch den Weg für weitere Gespräche bereitet. Die Voraussetzung dafür sei für Indien weiterhin, dass Pakistan seine Unterstützung für die Terrorgruppen in Kaschmir einstelle, sagt Shivam Shekhawat, die an der Observer Research Foundation in Delhi zu Pakistan forscht. Dafür brauche es eine Änderung der Haltung des mächtigen Militärs. Ohne dessen Einbindung seien Gespräche zum Scheitern verurteilt.
Angesichts der Wirtschaftskrise in Pakistan wäre eine Stärkung der Handelsbeziehungen mit Indien im Interesse der Regierung, sagt Shekhawat. Das militärische Establishment habe aber eigene Prioritäten. Hinzu komme, dass die Regierung von Shehbaz Sharif schwach sei und ihre Kräfte durch den Machtkampf mit der Partei des 2022 abgesetzten Premierministers Imran Khan gebunden seien. Solange die politische Instabilität im Land andauere, so Shekhawat, werde es in Pakistan wenig Raum für eine Annäherung an Indien geben.