Die grüne Aussenministerin sagt, dass sie wegen der vielen Krisen in der Welt nicht noch einmal als Kandidatin für die Bundestagswahl antreten werde. Doch der freiwillige Verzicht hat auch mit mangelndem Rückhalt in der Partei zu tun.
Aussenministerin Annalena Baerbock strebt nicht mehr danach, noch einmal Kanzlerkandidatin der Grünen zu werden. Die Welt sei eine «total andere» als bei den letzten Bundestagswahlen, sagte Baerbock im Interview mit der CNN-Journalistin Christiane Amanpour am Rande des Nato-Gipfels in Washington.
Im amerikanischen Fernsehen erklärte Baerbock, dass politische Verantwortung in der gegenwärtigen Krisenzeit bedeute, sich als Aussenministerin nicht in eine Kanzlerkandidatur zu verstricken. Stattdessen setze sie ihre gesamte Energie darauf, Vertrauen und Kooperationen sowie verlässliche Strukturen aufzubauen, da viele Partner in der Welt und in Europa darauf zählten. «Im Lichte des russischen Angriffskriegs und nun auch der dramatischen Lage im Nahen Osten braucht es nicht weniger, sondern mehr Diplomatie», sagte die grüne Aussenministerin.
Nach dem Interview versprach sie, eng mit Habeck zusammenzuarbeiten. «Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten», schrieb Baerbock nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in einer Nachricht an die Fraktion.
Im CNN Interview spricht sich @Baerbock gegen eine Kanzlerschaft aus und stärkt somit den Rücken ihres Weggefährten Robert #Habeck. pic.twitter.com/IMd65grrM5
— Peter Colymore 🇺🇦 (@IsarJesus) July 10, 2024
Vizekanzler Habeck schliesst Kandidatur nicht aus
Damit dürfte der Weg für den amtierenden Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck frei sein. Der befindet sich momentan auf Sommerreise durch Deutschland.
Nach einem Bericht des Medienportals «Politico» soll Habeck bei einer Station in Essen bezüglich der Kanzlerkandidatur gesagt haben, dass zunächst geklärt werden müsse, welche Rolle die Partei in Zukunft spielen werde. «Wenn das beantwortet ist, ergibt sich der Rest daraus.» Auch wenn Habeck sich öffentlich zurückhält und auf Parteigremien verweist, ist das keine Absage.
Der grüne Wirtschaftsminister hatte bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 widerwillig auf die Kandidatur verzichtet. Er machte später in verschiedenen Gesprächen deutlich, dass Baerbock die «Frauenkarte» gespielt habe, also aus emanzipatorischen Gründen auf die Kandidatur bestand. Damals waren beide Co-Chefs der Partei.
Grüne loben Baerbocks Entscheidung
Die Grünen reagieren mit offenbar abgestimmten Stellungnahmen auf den Baerbockschen Verzicht. Die Bundes-Co-Vorsitzende Ricarda Lang schrieb auf X (ehemals Twitter): «Eine Aussenministerin wie sie wird im Moment so sehr gebraucht wie vielleicht noch nie. Respekt, dass sie gerade in diesen stürmischen Zeiten all ihre Energie darauf konzentrieren will!»
Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour schrieb ebenfalls auf X: «Kaum jemand verkörpert aktive europäische Aussenpolitik so wie Baerbock. Dank ihr ist Deutschland ein verlässlicher Partner in der Welt. Sie hat heute wieder einmal gezeigt, dass sie genau dafür steht.»
Baerbocks Leistung als Aussenministerin dürfte nicht der einzige Grund für die Entscheidung sein. Ihr Rivale Habeck geniesst nach mehreren innerparteilichen Krisen das Vertrauen vieler Parteifunktionäre, die sich teilweise offen, teilweise in Hintergrundgesprächen für ihn als zukünftigen Kanzlerkandidaten starkmachen. Bei einem Referendum der Grünen wäre Baerbock wahrscheinlich unterlegen.
Auch die Bundestagswahl 2021 dürfte ausschlaggebend sein – damals bekamen die Grünen weniger Stimmen als zunächst erhofft. Das bekräftigte kürzlich der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann. «Die Frage ist: Wird jetzt auch mal selbstkritisch und ohne Rücksicht auf Verluste analysiert, oder wird es wieder nicht gemacht, wie bei der letzten Bundestagswahl?», sagte Kretschmann im Juni im Podcast des Nachrichtenportals «Table Media».








