Die linkspopulistische Workers Party umgarnt muslimische Wähler und triumphiert gegen die gespaltene Labour-Partei.
Eigentlich ist der nordenglische Wahlkreis Rochdale fest im Griff der Labour-Partei. Die ehemalige Textilstadt nördlich von Manchester zählt viele Wähler aus der postindustriellen Arbeiterschicht sowie Sozialhilfeempfänger, die Labour zuneigen. Mit rund einem Drittel ist auch der Anteil der muslimischen Wähler hoch, die traditionell dem Labour-Lager zugerechnet werden.
Und doch erlebte die Partei bei der Ersatzwahl für den Unterhaussitz von Rochdale vom Donnerstag ein Fiasko. Die identitätspolitischen Spannungen rund um den Gaza-Krieg hatten das Klima derart vergiftet, dass der Wahlkampf in der ehemaligen Industriestadt zur Farce verkam. Labour musste seinen Kandidaten wegen Antisemitismus-Vorwürfen wenige Wochen vor der Wahl zurückziehen. Und da auch die Konservativen und die Liberaldemokraten nicht ernsthaft um den Sitz kämpften, war das Spielfeld offen für politische Randfiguren.
Linkspopulisten umgarnen Muslime
Gewonnen hat die Ausmarchung am Ende mit fast 40 Prozent der Stimmen der Linkspopulist George Galloway von der Workers Party. Damit kehrt einer der umstrittensten Charaktere der britischen Politik nach Westminster zurück. Die Gruppierung Campaign Against Antisemitism beklagte einen «hässlichen Leistungsausweis der Hetze gegen die jüdische Gemeinschaft» von Galloway.
Der 69-Jährige sass ursprünglich für Labour im Unterhaus, überwarf sich aber wegen des Irak-Kriegs mit Tony Blair und wurde aus der Partei ausgeschlossen. 2012 gewann er bei einer Nachwahl einen Unterhaussitz im nordenglischen Bradford als Vertreter der Gruppierung Respect, die muslimische Identitätspolitik mit Linkspopulismus verknüpfte. Drei Jahre später verlor er den Sitz wieder an eine Labour-Politikerin.
Nun ist es Galloway in Rochdale erneut gelungen, einen Keil zwischen Labour und die muslimische Wählerschaft zu treiben. In einer aggressiven Kampagne warf der wortgewaltige Volkstribun dem Labour-Chef Keir Starmer und Premierminister Rishi Sunak vor, dass sie sich zu Komplizen eines Völkermords in Gaza machen. Sein Wahlkampf fokussierte einzig auf den Gaza-Krieg, Galloways Wahlplakate waren gar mit der palästinensischen Flagge versehen.
Nach seiner Wahl sprach Galloway von einer tektonischen Verschiebung und sagte Starmer mit Blick auf die wohl im Herbst anstehende Gesamterneuerungswahl des Unterhauses den Kampf an. Rund 80 Prozent der britischen Musliminnen und Muslime wählen Labour; nur die Lehrer sind eine noch loyalere Wählergruppe der Sozialdemokraten. Nun wollen Galloway und seine Partei gezielt in jenen Wahlkreisen antreten, in denen die muslimische Bevölkerung eine starke Minderheit oder gar eine relative Mehrheit der Wählerschaft ausmacht.
Verschwörungstheorien zu Israel
Für Labour ist es denkbar unangenehm, dass Galloway nun eine nationale Plattform erhält und die Frustration vieler Muslime über die Nahostpolitik Starmers weiter befeuern will. Allerdings haben die Linkspopulisten nur bescheidene finanzielle und personelle Ressourcen, selbst der rhetorisch versierte Galloway könnte seinen Sitz bald wieder verlieren. Labour wird derweil bei den Gesamterneuerungswahlen seine geölte Kampagnenmaschine anwerfen, die bei der Nachwahl in Rochdale abrupt zum Stillstand gekommen war.
Nach dem Tod des bisherigen Abgeordneten Mitte Januar hatte die nationale Labour-Führung überhastet den gemässigten Kandidaten Azhar Ali aufgestellt. Kurz nachdem die Wahlunterlagen verschickt und die Frist für den Ersatz von Kandidaten abgelaufen war, tauchten Tonaufnahmen eines privaten Gesprächs auf, in dem Ali Verschwörungstheorien zum 7. Oktober verbreitete.
So behauptete der Labour-Politiker, Israel habe von den Anschlagsplänen gewusst, seine Sicherheitsvorkehrungen gelockert und damit die Terrorattacke der Hamas bewusst zugelassen. Damit habe sich die israelische Regierung einen Freipass holen wollen, um mit harter Hand gegen die Palästinenser im Gazastreifen vorzugehen.
Nach einer Entschuldigung Alis hielt die Labour-Führung zunächst an ihm fest, bis Starmer doch die Notbremse zog. Zwar war es zu spät, um Ali von der Wahlliste entfernen zu lassen und einen Ersatz zu nominieren. Doch stellte Starmer den Wahlkampf ein und liess verlauten, Ali wäre im Fall einer Wahl nicht Teil der Labour-Fraktion im Unterhaus.
Starmer unter Druck
Der mit einer Jüdin verheiratete Starmer betont, dass er den Antisemitismus ausgemerzt habe, der unter seinem altlinken Vorgänger Jeremy Corbyn in der Labour-Partei Blüten getrieben habe. Unter dem Applaus der jüdischen Mitglieder leitete Starmer eine Politik der Nulltoleranz ein. Um ein Exempel zu statuieren, schloss er selbst Corbyn aus der Fraktion aus, nachdem dieser einen Untersuchungsbericht über antisemitische Tendenzen in der Partei relativiert hatte.
Der Eklat um den Kandidaten von Rochdale zeigt nun aber, dass Antisemitismus und Verschwörungstheorien weiter gären – und im Zuge des Gaza-Kriegs wieder verstärkt an die Oberfläche finden. Mitte Februar musste Labour einen weiteren Kandidaten für eine im Mai geplante Nachwahl auswechseln, der in einer internen Sitzung von «Scheiss-Israel» gesprochen hatte.
Starmer argumentiert, die harten Massnahmen zeugten von Prinzipienfestigkeit. Doch je länger der Gaza-Krieg dauert, desto grösser wird die Zerreissprobe für die Partei. Propalästinensische Aktivisten üben in den Lokalsektionen Druck auf die Abgeordneten aus. Eine Abstimmung über die Forderung eines Waffenstillstands in Gaza führte unlängst zu tumultartigen Szenen im Unterhaus. Und George Galloway wird in den Monaten bis zur Unterhauswahl alles daransetzen, um die Spannungen schonungslos anzuheizen.