Der Geist ist aus der Flasche: Der Apple-Konzern wartet nicht auf die Verhandlungen zwischen den USA und China, sondern verlagert einen grossen Teil der Produktion schon jetzt nach Indien.
Die wirtschaftliche Entflechtung zwischen den USA und China hat begonnen – unabhängig davon, ob die beiden Länder am Verhandlungstisch zu einer Lösung finden. Laut der «Financial Times» plant der Technologiekonzern Apple, bereits im nächsten Jahr sämtliche in den USA verkauften iPhones in Indien zu produzieren. Der Exodus aus China erfolge damit schneller und gehe weiter als erwartet, schreibt die Zeitung.
Die Symbiose zwischen Apple und China war ein zentraler Treiber für den Aufstieg des Smartphone-Herstellers zum wertvollsten Konzern der Welt mit einer Börsenkapitalisierung von 3000 Milliarden Dollar. Umso härter hat der von US-Präsident Donald Trump losgetretene Handelskonflikt Apple jedoch getroffen. Durch die angekündigten Zölle verlor das Unternehmen 700 Milliarden Dollar an Wert.
Apple komme der Umzug nach Indien keineswegs gelegen – er sei nur die zweitbeste Lösung, sagt Mathias Hoffmann, Professor für internationalen Handel an der Universität Zürich. «Der Fall zeigt jedoch: Der Geist ist aus der Flasche. Wir werden jetzt auch von weiteren Konzernen Produktionsverlagerungen sehen.» Der Zweck bestehe darin, in einer in Blöcke zerfallenden Weltwirtschaft weiterhin auf allen grossen Märkten präsent sein zu können.
Die Konzernlenker handeln also und warten gar nicht erst ab, was bei den Verhandlungen zwischen den USA und China herauskommt. Die derzeitigen Signale sind ohnehin äusserst widersprüchlich: Der US-Finanzminister Scott Bessent behauptete diese Woche, es finde eine Deeskalation auf beiden Seiten statt. Dagegen sprach die chinesische Regierung postwendend von «Fake News» und dementierte, dass derzeit überhaupt Gespräche laufen.
China betont, dass die USA zuerst sämtliche Zölle rückgängig machen müssten, damit ein Dialog starten könne. Man werde vor den wirtschaftlichen Schikanen nicht kapitulieren. Zurzeit gilt für chinesische Importe in die USA weiterhin ein Zolltarif von 145 Prozent, obgleich Trump für gewisse elektronische Güter wie Smartphones oder Halbleiter Ausnahmen verfügt hat.
Wendepunkt für den Apple-Konzern
Der Apple-Konzern, welcher derzeit 80 Prozent seiner Produkte in China fertigt, geht angesichts der lähmenden Unsicherheit nun selbst in die Offensive. Zwar existiert bereits eine erste iPhone-Fabrik in Indien. Trotzdem sehen Experten in dem jetzt beschlossenen Schritt einen eigentlichen Wendepunkt in der Produktionsstrategie. Zunächst ist geplant, die Stückzahlen aus Indien auf 60 Millionen zu verdoppeln. Zum Vergleich: Noch vor kurzem schätzte Bloomberg Intelligence, es werde acht Jahre dauern, um lediglich 10 Prozent von Apples Produktionskapazitäten aus China auszulagern.
Wie die Zeitung «Times of India» berichtet, soll die indische Regierung den Zuzug von Apple mit Subventionen in der Höhe von bis zu 3 Milliarden Dollar versüssen. Trotzdem bleibt ein erhebliches Risiko, dass der Handelskonflikt ebenso am neuen Standort zu Problemen führt. Denn die US-Regierung hat auch für Indien «reziproke» Zölle von 26 Prozent beschlossen, welche zwar vorerst ausgesetzt sind. Doch der Basiszoll von 10 Prozent gilt weiterhin.
Zudem begibt sich Indien auf eine heikle Gratwanderung, wenn es zu viele Umgehungsgeschäfte aus China anlockt. Das gilt ebenso für die Pharmaindustrie, eine der wichtigsten Branchen, was den Export in die USA betrifft. Laut Schätzungen stammen nicht weniger als 70 Prozent der chemischen Vorprodukte aus China. Dies ist nicht nur den Amerikanern ein Dorn im Auge. Auch die Chinesen prüfen gemäss dem «Economist» Vergeltungsmassnahmen gegen Indien.
Löhne in den USA sind zu teuer
Das deklarierte Ziel von Donald Trump ist es, die Industriejobs wieder in die USA zurückzuholen, was er mit dem Umzug von Apple nach Indien nicht erreicht hat. Dass dies im Falle des iPhones überhaupt Sinn ergäbe, wird von vielen Ökonomen allerdings bezweifelt. Gemäss Berechnungen der Bank of America verteuerte sich ein Smartphone nur schon dadurch um 25 Prozent, dass die amerikanischen Lohnansätze in die Herstellungskosten einflössen. So begnügen sich chinesische Arbeiter mit einem Stundenlohn von unter 4 Dollar, während der Mindestlohn in Kalifornien bei über 16 Dollar pro Stunde liegt.
Trotzdem könne man den Schritt von Apple nicht als Niederlage für Trump werten, meint der Handelsexperte Hoffmann. Dieser werde einen Punktgewinn für sich reklamieren: «Denn erstens will Trump an China ein Exempel statuieren. Und zweitens zeigt sich trotz aller Unsicherheit schon jetzt, dass etliche internationale Konzerne aufgrund des attraktiven Binnenmarkts in den USA ihre Investitionen dort ausbauen.» Ob sich dies unter dem Strich für die amerikanische Wirtschaft auszahle, bleibe dennoch offen.
Fest steht: China wird den symbolträchtigen Auszug von Apple nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Gemäss dem Prinzip «Auge um Auge» schlägt das Land vehement zurück. Beispielsweise hat China zwei bereits gekaufte Flugzeuge des Herstellers Boeing abgewiesen – diese mussten wieder zurück in die USA fliegen.
Der Spielraum für eine weitere Eskalation ist noch längst nicht ausgeschöpft. So könnte China beginnen, US-Staatsanleihen auf den Markt zu werfen, was die Zinsen nach oben triebe und die Schulden verteuerte. Die Gefahr besteht, dass in einem solchen Kräftemessen beide Länder zu den Verlierern gehören.