Apple versprach der Welt einen neuen, revolutionären KI-Assistenten. Nun stellt sich heraus, dass es den gar nicht bauen kann. Auch die anderen KI-Funktionen des Konzerns sind enttäuschend. Im KI-Wettrennen fällt Apple immer weiter zurück.
Apple ist für seine Untertreibungen legendär. «One more thing» versprach Steve Jobs einst, bevor er das iPhone aus der Hosentasche zog und eine Technologierevolution lostrat. In Marketingbüchern heisst diese Strategie «Underpromise, overdeliver»: Halte die Erwartungen niedrig, und überrasche die Kunden dann mit besonders guten Produkten.
Entsprechend hellhörig wurden die Zuschauer, als Apples CEO Tim Cook im vergangenen Juni, bei Sonnenschein und blauem Himmel über dem Apple Park, die lange erwarteten KI-Produkte des Konzerns vorstellte – allen voran einen künstlich intelligenten, sprachgesteuerten Assistenten, der tatsächlich einen Mehrwert für Nutzer schaffen sollte.
Cook gab ein Beispiel: Künftig werde man den Sprachassistenten Siri fragen können: «Wann landet heute meine Mutter?» Die KI würde sich die notwendigen Puzzleteile aus den Tiefen des Smartphones heraussuchen und innert Sekunden antworten. Die Ankündigungen verblüfften – etwas Vergleichbares gab es nicht auf dem Markt.
Apple war so stolz auf die neue KI, dass man sie «Apple Intelligence» taufte. Wenige Monate später legte der Konzern noch einmal nach: In einem Werbefilm fragte eine Schauspielerin, bekannt aus der Serie «Game of Thrones», ihr iPhone auf einer Party: «Wie hiess noch dieser Typ, den ich vor ein paar Wochen im Café getroffen habe?» Siri wusste sofort, von wem die Frau sprach, und rettete sie vor einer peinlichen Situation.
Apple ran this iPhone 16 ad in September 2024 showing off the new AI Siri that understands personal context.
It’s now March 2025 and they just delayed the feature until sometime within the next year.
AI Siri is now an iPhone 17 feature that Apple promised for iPhone 16. pic.twitter.com/DnPnQonDgZ
— Sam Kohl (@iupdate) March 7, 2025
Eine nützliche Funktion, die wohl den ein oder anderen Konsumenten zum Kauf eines iPhone 16 animiert haben dürfte; denn um die KI nutzen zu können, braucht man ein neues iPhone-Modell. Nur im Kleingedruckten am Ende des Werbeclips hiess es, die Funktionen kämen «im Laufe des Jahres» auf den Markt.
Doch nun muss Apple zurückrudern, und zwar gewaltig. Nach monatelangen Verzögerungen teilte die Firma jüngst in einer Stellungnahme mit: «Wir werden länger brauchen als gedacht, um diese Funktionen liefern zu können, und wir gehen davon aus, dass wir dies im Laufe des nächsten Jahres tun werden.»
Das heisst: Es gibt noch gar keinen künstlich intelligenten Assistenten und wird ihn in absehbarer Zeit auch nicht geben. Apple hat den Werbespot nun offline genommen. Postwendend landete vergangene Woche eine Klage auf dem Tisch: Apple soll Konsumenten getäuscht und den Wettbewerb verzerrt haben. Es drohen heftige Geldbussen.
KI-Assistenten sind technisch enorm anspruchsvoll
Der CEO Cook stand vergangenes Frühjahr enorm unter Zugzwang: Anders als die Konkurrenz hatte Apple eineinhalb Jahre nach dem Start von Chat-GPT immer noch keine eigene KI-Strategie präsentiert. Investoren, Journalisten und vor allem Kunden fragten immer lauter, wo Apple im KI-Wettrennen geblieben war.
Intern, so glauben Beobachter, hatte die Firma tatsächlich grosse Fortschritte bei ihren KI-Funktionen gemacht. Diese waren so weit fortgeschritten, dass Apple im Frühjahr zuversichtlich war, diese innerhalb weniger Monate marktreif zu haben – also präsentierte man sie an der Entwicklerkonferenz WWDC im Juni der Welt.
Technologisch waren die angekündigten neuen Funktionen jedoch sehr anspruchsvoll: Eine KI muss in den genannten Beispielen auf das Adressbuch, den Kalender und E-Mails eines Nutzers zugreifen können, verstehen, wer «meine Mutter» ist und um welchen Flug es derzeit geht, und dessen prognostizierte Ankunftszeit mit den Echtzeitdaten im Internet abgleichen.
Gleichzeitig ist das Problem bei generativer KI, dass diese auf grossen Sprachmodellen basiert. Die Antworten sind also nicht deterministisch wie ein Taschenrechner – wenn x, dann immer y –, sondern beruhen auf Wahrscheinlichkeiten. Dementsprechend können die präsentierten Antworten auch falsch sein.
Gemäss Bloomberg konnte Apple seine KI-Funktionen zwar so weit verbessern, dass sie in zwei Dritteln bis 80 Prozent der Fälle funktionierten – aber im Rest eben nicht. Sprich: Die KI hätte womöglich die falsche Ankunftszeit der Mutter geliefert. Für einen Konzern wie Apple ist das eine inakzeptabel hohe Fehlerquote, das Reputationsrisiko ist damit zu hoch für eine Veröffentlichung des Features.
Apples Software-Chef Craig Federighi reagierte: Er pfiff den KI-Assistenten zurück, nachdem er ihn selbst getestet hatte. Letztlich dürfte Federighi wohl falsch eingeschätzt haben, wie schnell sein Team ein zuverlässiges KI-Produkt parat haben würde. Doch auch Cook als CEO liess sich hinreissen, der Welt vollmundig eine KI-Plattform zu präsentieren, die man womöglich gar nicht würde liefern können. Denn auch andere Tech-Firmen beissen sich bis jetzt an KI-Assistenten die Zähne aus.
Die Situation sei «peinlich», «hässlich» und «enttäuschend», habe der für Siri zuständige Manager Robby Walker jüngst in einer Mitarbeiterversammlung gesagt, schreibt das über Apple bestens informierte Unternehmen Bloomberg. Dass man der Welt die Technologie angekündigt habe, bevor sie fertig gewesen sei, mache die Verzögerung noch schlimmer. «Das war nicht eine Situation, in der wir der Welt unseren Plan zeigen konnten, nachdem wir ihn realisiert hatten», sagte er. «Wir zeigten ihn den Leuten davor.»
Andere KI-Funktionen wurden zum Gespött im Netz
Einige wenige KI-Funktionen hat Apple im Zuge seiner jüngsten Software-Updates durchaus auf den Markt gebracht – zumindest in englischsprachigen Ländern. Nutzer mit einem iPhone 15 Pro oder 16 können nun KI-Bilder à la Dall-E kreieren, auch kann man aus Fotos mithilfe von KI unliebsame Objekte «wegradieren». Der Konkurrent Google bietet Letzteres allerdings schon lange an.
Auch fasst die KI für den Nutzer neuerdings SMS und E-Mails in einem Satz zusammen. Das kann bei langen Texten nützlich sein – bisweilen sind die Zusammenfassungen aber lächerlich. In den sozialen Netzwerken kursieren haufenweise Beispiele abstruser Zusammenfassungen.
Mit einer ähnlichen KI-Funktion hatte Apple auch Nachrichtenartikel für die Nutzer zusammenfassen wollen. Doch die KI stellte die Inhalte teilweise falsch dar, etwa bei einem Artikel der BBC über den Mörder des United-Healthcare-CEO: Fälschlicherweise behauptete «Apple Intelligence», laut dem Artikel habe der mutmassliche Täter Selbstmord begangen. Apple musste die Funktion nach wenigen Wochen wieder offline nehmen.
Bei KI fällt Apple immer weiter zurück
Erschwerend kommt hinzu, dass «Apple Intelligence» eigentlich dabei helfen sollte, das Geschäft mit dem iPhone neu zu beleben. Die Aussicht auf tolle KI-Funktionen sollte Millionen von Apple-Kunden davon überzeugen, ihre jahrealten iPhones durch neue auszutauschen – denn die angepriesenen neuen KI-Funktionen benötigen ultraschnelle Chips und somit mindestens ein iPhone 15 Pro.
Das Smartphone ist bekanntlich nach wie vor der Motor des gesamten Konzerns, jeden zweiten Dollar Umsatz macht Apple damit. Doch Apples Anteil am globalen Smartphone-Markt sinkt allmählich: Gemäss der Marktforschungsfirma Counterpoint Research fiel er jüngst von 19 auf 18 Prozent. Auch der Absatz des neuesten 16er-Modells läuft bis jetzt nicht so gut wie erhofft.
Apple kommt bei der Schlüsseltechnologie KI einfach nicht vom Fleck. Im Vergleich zur Konkurrenz fällt der Konzern immer weiter zurück. Das wirkt sich, auf hohem Niveau, auch auf den Aktienpreis aus: Zwar ist Apple mit einer Marktbewertung von 3,3 Milliarden Dollar nach wie vor der wertvollste Konzern der Welt. Doch nachdem Apple zugegeben hatte, dass sein KI-Assistent vorerst nicht auf den Markt kommt, fielen die Papiere jüngst um 11 Prozent – der deutlichste Absturz seit 2022 gemäss Factset.
Inzwischen hat der CEO Cook auch personelle Konsequenzen gezogen: Neuerdings ist Mike Rockwell, der zuletzt Apples Virtual-Reality-Headset verantwortete, für den Sprachassistenten Siri zuständig. Beim jährlichen Treffen von Apples Top-100-Managern vor wenigen Tagen, so berichtete Bloomberg, sei es im Wesentlichen um die KI-Bemühungen gegangen.
Schlimmer noch: In den letzten Jahren konnte man sich darauf verlassen, dass Apple eine angekündigte Funktion auch tatsächlich lancieren würde – vielleicht erst in ein paar Monaten, vielleicht auch erst in einem Jahr, aber sie würde definitiv kommen. Das ist nun nicht mehr gegeben. Zum KI-Problem könnte sich ein Vertrauensproblem gesellen. Damit scheint es fast, als ob das Firmenmotto neuerdings lauten müsste: «Overpromise, underdeliver.»