Die weltweit einzigartige Astra Bridge steht auf der A 1 im Einsatz. Oben donnert die halbe Autoschweiz darüber, unten schuften die Arbeiter. Ein Besuch.
Recherswil, Solothurn. Bis zum Mittag haben die Strassenbauer den Asphalt abgetragen. Jetzt legt die Spritzmaschine los. Sie trägt eine 180 Grad heisse Membranschicht auf die Unterlage. Die Sonne scheint heiss, doch die Arbeiter haben es angenehm kühl. Als Sonnenschutz dient ihnen die 257 Meter lange Astra Bridge, die sich über die Baustelle spannt. Während die Strassenbauer unten schuften, ziehen oben Autos und Lkw vorbei.
Die Idee ist so bestechend wie genial: Die nach dem Bundesamt für Strassen Astra benannte Konstruktion erlaubt es, dass Autobahnabschnitte erneuert werden, ohne eine Spur zu schliessen, und fast ohne Nachtarbeit. In der Nacht fährt ein Maschinist die Brücke, die auf Räder steht, mit 0,5 Kilometer pro Stunde weiter, sodass die Bauarbeiter am nächsten Tag den nächsten Abschnitt angehen können.
100 Meter pro Tag schaffen die neun Arbeiter auf der A 1-Baustelle zwischen Recherswil und Luterbach im Kanton Solothurn. Und damit halb so viel, wie sie erreichen würden, wenn der Abschnitt einfach gesperrt würde. Doch die Vorteile der Astra Bridge überwiegen, sagt Projektleiter Jürg Merian.
Von der Fly-over-Rampe zur Astra Bridge
Für die Ausschreibung der Arbeiten unter der Astra Bridge seien fünf Offerten von Baufirmen reingekommen, sagt Merian. Deutlich mehr als bei einer gewöhnlichen Ausschreibung für eine Autobahn-Baustelle. Für Arbeiten in der Nacht sei es teils schwierig, überhaupt eine Baufirma zu gewinnen.
Merian ist der «Mr. Astra Bridge». Er sah 2010, dass die österreichische Firma Waagner Biro fürs Asfinag, das Astra Österreichs, eine Fly-over-Rampe entwickelt hatte. Diese bestand aus Modulen, die man über eine Strasse legen konnte, um darunter zu arbeiten. Das Astra importierte eine Rampe in die Schweiz.
Die Fly-over-Rampe kam zu mehreren Einsätzen, unter anderem in der Stadt St. Gallen. Doch Merian war nicht ganz zufrieden. Erstens war die Rampe nicht mobil, zweitens waren die Arbeitsbedingungen für die Strassenbauer schlecht.
Nur 1.60 Meter hoch war die Rampe,darunter wurden Lärmbelastungen von bis zu 100 Dezibel gemessen. Das Astra entwickelte die Fly-over-Rampe weiter zur Astra Bridge 1.0. Unter ihr haben die Arbeiter drei Meter Höhe und fünf Meter Breite Platz. Der Lärm von den darüber rollenden Fahrzeuge ist gering.
Trotzdem wurde deren Ersteinsatz 2022 zum Desaster. Gerade erst ein Viertel der geplanten Bauarbeiten waren abgeschlossen, da musste die mobile Brücke auf Druck der Öffentlichkeit wieder abgebaut werden. Der Grund: Es war zu kilometerlangen Rückstaus vor der Astra Bridge auf der A 1 gekommen. Die Rampe war zu steil angesetzt: Lastwagenfahrer und PW-Lenker bremsten manchmal bis zum Stillstand ab, bevor sie sich auf die Rampe wagten.
Heute fährt es sich angenehmer auf die Astra Bridge. Die Anfangssteigung wurde drastisch von 6,1 Prozent auf 1,25 Prozent gesenkt, die Rampe beidseitig um zehn Meter verlängert. So lässt sich gut mit den signalisierten 60 Kilometer pro Stunde die Rampe hochfahren, wie ein Selbsttest zeigt. Es gibt nur ein kleiner Schlag.
Beim seitlichen Beobachten von der Baustelle aus sieht man, dass viele Fahrzeuge auf 30 Kilometer pro Stunde oder weniger abbremsen. Es ist eben doch ungewöhnlich, wenn auf der Autobahn plötzlich eine Brücke steht.
Die Angst vor der Brücke nimmt ab
Zu ungewöhnlich grossen Staus kam es mit der optimierten Version der Astra Bridge in der ersten Woche ihres Einsatz nicht. Einzig am Dienstag stockte der Verkehr. Allerdings auf der Gegenfahrbahn. Es gab dennoch einen Bezug zu der Brücke: Fahrer auf der Gegenfahrbahn blickten neugierig zur Astra Bridge hinüber und bremsten, sagt Merian. Das Bremsen und Beschleunigen führte im Handorgel-Prinzip zu Stau.
Der Einsatz der Astra-Bridge auf der A1 in Fahrtrichtung Zürich soll bis zum 17. August dauern. Die vom Astra berechneten Kosten betragen 10,3 Millionen Franken. Gemäss Berechnung ist das ähnlich teuer, als wenn die Fahrspur gesperrt würde. Die Entwicklung und Optimierung der Astra Bridge kostete 26 Millionen Franken.
Strassenbauer schätzen den Schatten und die Sicherheit
Für Bauführer Leonard Kuqi ist die zusätzliche Sicherheit der wichtigste Pluspunkt der Astra Bridge. «Hier haben wir die ganze Fahrbahn für uns», sagt er. Das sei bei einer einzelnen Spursperrung nicht der Fall. Er merke, dass seine Mitarbeitenden motivierter seien als bei gewöhnlichen Baustellen. Vor allem gegen Sommer hin sei die Astra Bridge ein vielversprechender Arbeitsort. Bei 35 Grad arbeite es sich angenehmer im Schutz der Brücke.
Für Polier Francesco Cantafio, die rechte Hand Kuqis, ist es ungewöhnlich, unter der Astra Bridge zu arbeiten. Normalerweise brenne ihm die Sonne auf die Haut hier steht er den ganzen Tag im Schatten. Zudem schätzt Cantafio, dass er hier zu «Bürozeiten» von 7 bis 17 Uhr arbeiten kann.
Trotzdem ist die Zukunft der innovativen Brücke ungewiss. Bundesrat Albert Rösti soll gemäss «NZZ am Sonntag» zwei kritischen SVP-Politikern zugesichert haben, die Astra Bridge einzustellen, wenn es erneut zu grossen Staus kommen sollte. Projektleiter Merian betont, dass es sich nach wie vor um einen Pilot handle. Allerdings geht er davon aus, dass wenn bis im August alles gut läuft, die Astra Bridge weitere Einsätze erhält. Es werde bereits geprüft, wo sie als nächstes stehen soll.
Das ist der andere kritische Punkt der Brücke: Sie kann nur auf 13 Prozent des nationalen Strassennetzes eingesetzt werden. Und bei Hindernissen wie Überführungen muss der Strassenabschnitt in der Nacht erneuert werden. Gleiches gilt für über die Autobahn führende Beschilderungen des Tempolimits oder Stau-Signalisationen.
Interesse aus Norwegen
Es gebe Interesse aus dem Ausland an der Brücke, sagt Merian. Aus Norwegen hätte das dortige Astra angefragt, ob es die Möglichkeit gäbe, die Brücken-Module bis in den hohen Norden auszuleihen. Das sieht Merian allerdings nicht als realistisch an. Auch Deutschland und Holland seien interessiert an der Schweizer Erfindung. Das Astra wäre grundsätzlich bereit, die Technologie zu teilen.
Ein Patent gibt es für die im Auftrag von Astra von der Berner Baufirma Marti Technik AG und Senn AG gebaute Konstruktion nicht. Merian schaute nach, es gebe weltweit fünf Patente für ähnliche Konstruktionen, doch diese sind abgelaufen. Das Astra habe nicht vor, ein Patent anzumelden. Es sei nicht die Aufgabe eines Bundesbetriebs, gewinnbringende Geschäfte zu betreiben.