Die französischen Landwirte beklagen Existenznöte, den Klimawandel und die Regulierungswut der EU. Die Regierung Attal ist herausgefordert. Sie fürchtet eine neue Gelbwesten-Bewegung – und die extreme Rechte.
Erst zwei Wochen ist Gabriel Attal Premierminister in Frankreich, und schon braut sich die erste handfeste Krise zusammen. Wütende Bauern haben im ganzen Land mehrere Autobahnen und Fernstrassen blockiert. Was Ende vergangener Woche mit Dutzenden von Traktoren auf den Autobahnen A 20, A 62 und A 64 im Grossraum Toulouse begonnen hatte, weitet sich täglich aus.
Inzwischen sollen rund 500 Traktoren aufgefahren sein. Wände aus Strohballen versperren auch im Elsass sowie in den Grossräumen Lyon und Bordeaux die Zufahrten. Bei Perpignan, nahe der Grenze zu Spanien, besetzten Bauern eine Mautstelle auf der Autobahn. Auch der Zugang zu einem Atomkraftwerk in Golfech zwischen Toulouse und Bordeaux wurde blockiert.
In der Stadt Carcassonne verliefen die Aktionen der Bauern am Wochenende weniger friedlich. Auf ein Gebäude der regionalen Umweltverwaltung wurde ein Sprengstoffanschlag verübt. Scheiben gingen zu Bruch, im Parterre wurden Büros verwüstet. Der Anschlag wird einem Weinbauverband zugeschrieben, dessen Schriftzug auf eine angrenzende Mauer gesprüht wurde.
Bisher forderten die Bauernproteste in Frankreich zwei Tote und einen Schwerverletzten. An einem Blockadeposten auf der Nationalstrasse von Toulouse Richtung Spanien sei eine Landwirtin ums Leben gekommen, teilte der Präsident des Bauernverbandes FNSEA, Arnaud Rousseau, am Dienstagmittag mit; ihr Mann und eine Tochter wurden lebensgefährlich verletzt, das 12-jährige Mädchen verstarb am Dienstagabend. Die Familie hatte sich offenbar hinter einer Mauer aus Stroh befunden, als ein Autofahrer beim Versuch, die Strassensperre zu durchbrechen, gegen die Strohballen geprallt war.
Ansteckungsgefahr aus den Nachbarländern
Ursprünglich gingen die Landwirte in Frankreichs Südwesten auf die Barrikaden, weil sich in der Region die aus Spanien eingeschleppte Rinderseuche EHD ausbreitete. Sie forderten staatliche Hilfe bei der Bekämpfung der Krankheit und den Ausgleich von Verlusten. Die Nachrichten und Bilder der Bauernproteste in Deutschland und anderen europäischen Ländern dürften sie zusätzlich mobilisiert haben. Doch die Wut der rund 400 000 Bauern im grössten Agrarland der EU staut sich schon seit Monaten, wenn nicht Jahren auf – und hat vielfältige Ursachen.
Saatgut, Futter, Agrardiesel, Gas: Alles werde teurer, monieren die Bauern, doch nur ein Bruchteil der wahren Produktionskosten werde durch steigende Preise wettgemacht. Sinkende Einkommen, Schulden und Existenznöte seien die Folgen.
Immer mehr Auflagen aus Paris und ganz besonders aus Brüssel machen den Bauern das Leben zusätzlich schwer. Zum Umwelt- und Konsumentenschutz gelte es zig Regularien zu beachten, gleichzeitig schliesse die EU mit Ländern wie Neuseeland, Australien oder bald mit den Mercosur-Staaten ein Freihandelsabkommen nach dem andern, die den Wettbewerb verzerrten. Paris schaue dabei untätig zu, lautet die Klage.
Zum Preis- und Wettbewerbsdruck und zu der überbordenden Bürokratie hinzu kommen die Folgen des Klimawandels. Dürre und Wassermangel stellen insbesondere die Bauern im Süden des Landes vor erhebliche Herausforderungen.
Von Premierminister Attal fordern sie zunächst weniger Steuern auf den Wasserbezug und die Beibehaltung von Zuschüssen für Agrardiesel. Neue Auflagen aus Brüssel sollten ausserdem nicht sofort oder nur abgeschwächt übernommen werden.
Die Protestbewegung soll auf keinen Fall wachsen
Bis die Regierung «konkrete Massnahmen» verkündet, wollen die Landwirte ihre Blockaden aufrechterhalten und ausweiten. Das erklärten Gewerkschaftsvertreter am Montagabend, nach einem Gespräch mit Premierminister Attal. Dieser habe sich ihre Ausführungen aufmerksam angehört «und viele Notizen gemacht», so die Bauernvertreter.
Schon am Wochenende hatte Attal demonstrierenden Bauern in der Nähe von Lyon einen Besuch abgestattet und Verständnis für ihre Not bekundet. Landwirtschaftsminister Marc Fesneau reagierte auf den Druck der Strasse und vertagte kurzerhand die Vorstellung eines neuen Landwirtschaftsgesetzes, die für Mittwoch vorgesehen war. Er begründete dies damit, dass Anpassungen nötig geworden seien.
Die französische Regierung will unbedingt verhindern, dass sich die Demonstrationen weiter ausweiten. Die Erinnerungen an die landesweiten Proteste der Gelbwesten, die vor fünf Jahren ebenfalls im ländlichen Raum begannen, sind noch frisch.
Ausserdem stehen am 9. Juni Europawahlen an. Präsident Macron hat diese zur Stunde der Wahrheit für sich und seine Partei Renaissance erkoren. Gegenwärtige Umfragen sehen aber das rechte Rassemblement national vorne. Dessen Spitzenkandidat Jordan Bardella nutzte den Unmut der Bauern denn auch prompt, um gegen die EU zu schiessen und die Landwirte zur Ausweitung der Proteste aufzurufen.