Amerikanische Aktien haben sich in den vergangenen Jahren phänomenal stark entwickelt. Doch die Dominanz einiger weniger Tech-Konzerne weckt ungute Erinnerungen an frühere Übertreibungen. Handelt es sich um eine Blase?
Heute vor 25 Jahren veröffentlichte ich das erste Memo, das eine Rückmeldung der Leser auslöste (nachdem ich fast zehn Jahre lang Memos geschrieben hatte, ohne darauf eine Reaktion zu erhalten). Das Memo trug den Titel «bubble.com», und das Thema war das irrationale Verhalten, das sich meiner Meinung nach bei Technologie-, Internet- und E-Commerce-Aktien abspielte. Zwei Aspekte gaben dem Memo Gewicht: Es erwies sich als richtig, und es erwies sich schnell als richtig. Eine der ersten grossen Weisheiten beim Investieren, die ich in den frühen Siebzigerjahren lernte, lautet: «Wenn man der Zeit zu weit voraus ist, besteht kein Unterschied dazu, wie wenn man falsch liegt.» In diesem Fall war ich jedoch nicht zu weit voraus.
Das Jubiläum meines damaligen Memos gibt mir die Gelegenheit, erneut über Spekulationsblasen zu schreiben – ein Thema, das heute von grossem Interesse ist. Einiges von dem, was ich hier schreibe, wird allen bekannt vorkommen, die mein Memo vom Dezember über das makroökonomische Gesamtbild gelesen haben. Dieses Memo ging jedoch nur an unsere Klienten von Oaktree, weshalb ich hier einen Auszug daraus wiederverwenden werde, der sich auf das Thema Blasen bezieht.
Als Kreditinvestor habe ich bereits vor annähernd fünf Jahrzehnten aufgehört, Aktien zu analysieren. Auch habe ich mich nie weit in die Welt der Technologie vorgewagt. Entsprechend werde ich hier nicht viel zu den «heissen» Unternehmen von heute und ihren Aktien sagen. Alle meine Beobachtungen werden allgemeiner Natur sein. Aber ich denke, dass sie dennoch relevant sind.
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Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts hatten Anlegerinnen und Anleger die Gelegenheit, an zwei spektakulären Blasen zu partizipieren – und dabei Geld zu verlieren. Die erste war die Blase in den Bereichen Technologie, Medien und Telecom (TMT) der späten Neunzigerjahre, die ab Mitte 2000 zu platzen begann. Die zweite war die Immobilienblase rund ein halbes Jahrzehnt später. Sie führte dazu, dass (a) Hypotheken an Subprime-Kreditnehmer vergeben wurden, die weder Einkommen noch Vermögen nachweisen konnten oder wollten, (b) diese Kredite zu fremdfinanzierten, mit Hypotheken besicherten Wertpapieren strukturiert wurden und folglich (c) massive Verluste für Investoren bei diesen Wertpapieren entstanden; vor allem für die Finanzinstitute, die sie kreiert und einige davon auf ihrer Bilanz behalten hatten. Aufgrund dieser Erfahrungen besteht bei vielen Leuten heute erhöhte Alarmbereitschaft, was Blasen angeht. So werde ich oft gefragt, ob beim US-Leitindex S&P 500 und den wenigen Aktien, die ihn anführen, eine Blase besteht.
Die sieben Top-Aktien im S&P 500 – die sogenannten «Magnificent Seven» – sind Apple, Microsoft, Alphabet (der Mutterkonzern von Google), Amazon, Nvidia, Meta (Eigentümer von Facebook, WhatsApp und Instagram) sowie Tesla. Zur Performance dieser Aktien muss ich an dieser Stelle sicher nicht ins Detail gehen. Sie alle kennen das Phänomen. Es genügt festzuhalten, dass eine kleine Anzahl von Aktien den S&P 500 in den letzten Jahren dominiert hat und für einen unverhältnismässig hohen Anteil seiner Kursgewinne verantwortlich war. Michael Cembalest, Chefstratege bei J.P. Morgan Asset Management, stellt es wie folgt dar:
- der Börsenwert der sieben grössten Mitglieder im S&P 500 machte Ende Oktober 32 bis 33% der Gesamtkapitalisierung des Index aus;
- dieser Prozentsatz ist etwa doppelt so gross wie der Anteil der sieben führenden Unternehmen vor fünf Jahren;
- vor dem Aufstieg der «Magnificent Seven» lag der höchste Anteil der sieben grössten Aktien in den letzten 28 Jahren bei etwa 22% – im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt der TMT-Blase
Wichtig ist ebenso, dass US-Aktien Ende November über 70% des MSCI World Index ausmachten. Das ist der höchste Prozentsatz seit 1970, wie aus einer anderen Darstellung von Cembalest hervorgeht. Es ist also klar, dass (a) US-Unternehmen im Vergleich zu Unternehmen anderer Regionen ausgesprochen viel wert sind und (b) den sieben grössten US-Aktien im Vergleich zum restlichen US-Aktienmarkt ein ausgesprochen hoher Wert attestiert wird. Doch handelt es sich um eine Blase?
Was ist eine Blase?
Der Jargon in der Investmentbranche wechselt ständig. Meine jungen Kollegen bei Oaktree verwenden heute viele Begriffe, für die ich eine Übersetzung benötige. «Blase» und «Crash» stehen aber schon so lange im Finanzlexikon, wie ich in der Investmentbranche tätig bin, und ich vermute, dass sie es auch für die kommenden Generationen bleiben. Heutzutage werden die beiden Begriffe in den Mainstream-Medien weitläufig verwendet. Die Leute glauben offenbar, dass sie einer objektiven Definition unterliegen. Für mich hat eine Blase oder ein Crash aber eher mit einer psychologischen Einstellung zu tun als mit einer quantitativen Berechnung.
Meiner Ansicht nach ist eine Blase nicht nur Ausdruck eines rasanten Anstiegs von Aktienkursen. Sie ist auch eine temporäre Manie, die durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet ist oder – vielleicht besser gesagt – daraus resultiert:
- extremer irrationaler Überschwang (um einen Begriff des ehemaligen Fed-Präsidenten Alan Greenspan zu verwenden),
- eine regelrechte Verehrung der betreffenden Unternehmen oder Vermögenswerte sowie der Glaube, dass damit nichts schief gehen kann,
- enorme Angst, etwas zu verpassen, wenn man nicht mitmacht (Stichwort «FOMO»), und
- die daraus resultierende Überzeugung, dass für diese Aktien «kein Preis zu hoch» ist.
Der Ausdruck «kein Preis zu hoch» sticht für mich besonders hervor. Wenn Sie sich keine Schwachstelle in der Investmentthese vorstellen können und Angst haben, dass Ihr Bürokollege/Golfpartner/Schwager/Konkurrent den betreffenden Vermögenswert besitzen wird und Sie nicht, lässt sich schwer argumentieren, dass es einen Preis gibt, zu dem Sie nicht kaufen sollten. (In der fünften Ausgabe von «Manias, Panics, and Crashes: A History of Financial Crises» bemerken Charles Kindleberger und Robert Aliber dazu: «Es gibt nichts, was das eigene Wohlbefinden und Urteilsvermögen dermassen irritiert, als zu sehen, wie ein Freund reich wird.»)
Also: Um eine Blase zu erkennen, kann man durchaus Bewertungskennzahlen heranziehen. Ich bin aber seit langem der Meinung, dass eine psychologische Diagnose effektiver ist. Wann immer ich höre, dass «kein Preis zu hoch ist» oder eine Variante davon (Anleger mit mehr Disziplin würden beispielsweise sagen: «Natürlich gibt es einen Preis, der zu hoch ist, aber so weit sind wir noch nicht»), dann ist das für mich ein sicheres Zeichen dafür, dass sich eine Blase bildet.
Vor ungefähr fünfzig Jahren beschenkte mich ein erfahrener Investor mit einer meiner favorisierten Devisen. Ich habe in meinen Memos schon mehrmals darüber geschrieben, aber meiner Ansicht nach kann ich das nicht oft genug tun. Es handelt sich um «die drei Phasen des Bullenmarktes»:
Die erste Phase folgt in der Regel auf eine Korrektur oder einen Crash an den Märkten. Die meisten Investoren hadern zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Schicksal und sind völlig entmutigt. Nur einige wenige, ungewöhnlich scharfsinnige Leute können sich vorstellen, dass sich die Perspektiven möglicherweise wieder aufhellen.
In der zweiten Phase geht es der Wirtschaft, den Unternehmen und den Märkten gut. Die meisten Menschen akzeptieren, dass sich die Lage tatsächlich verbessern wird.
In der dritten Phase – nach einer Periode, in der die Wirtschaftsnachrichten hervorragend waren, die Unternehmen steigende Gewinne meldeten und Aktien deutlich an Wert gewannen – kommt jeder zum Schluss, dass es nur noch besser werden kann.
Die wichtigen Anhaltspunkte beziehen sich nicht auf die Entwicklung der Wirtschaft oder der Unternehmen. Sie haben mit der Psychologie der Anleger zu tun. Es geht nicht darum, wie sich die makroökonomischen Rahmenbedingungen verändern, sondern darum, wie die Menschen das Geschehen interpretieren. Wenn nur wenige Leute glauben, dass es zu einer Aufhellung kommen kann, reflektieren die Kurse von Wertpapieren per Definition nicht viel Optimismus. Glauben hingegen alle, dass es immer nur besser werden kann, ist es schwierig, etwas zu finden, das einen vernünftigen Preis hat.
Blasen sind durch die Denkensweise während Blasen geprägt. Vielleicht sollten wir zum Zweck einer Arbeitsthese festlegen, dass sich eine Blase oder ein Crash in Zeiten ereignet, in denen extreme Ereignisse dazu führen, dass die Menschen ihre Objektivität verlieren und die Welt durch eine stark verzerrte Psychologie betrachten – entweder zu positiv oder zu negativ. Kindleberger hat es in der ersten Ausgabe von «Manias, Panics, and Crashes» folgendermassen formuliert:
«… Wenn Unternehmen oder Haushalte beobachten, dass andere durch spekulative Käufe und Wiederverkäufe Gewinne erzielen, neigen sie dazu, diesem Trend zu folgen. Wird die Zahl der Unternehmen und Haushalte, die sich diesem Gebaren hingeben, grösser und nimmt damit auch der Anteil der Bevölkerung zu, der sich normalerweise von solchen Unterfangen fernhält, führt die Spekulation um Profite weg von normalem, rationalem Verhalten hin zu dem, was als «Manien» oder «Blasen» bezeichnet wird. Das Wort «Manie» unterstreicht die Irrationalität; «Blase» kündigt das Platzen an.» (Hervorhebung hinzugefügt)
Für mich ist es der psychologische Extremzustand, der eine Blase definiert. Wie Kindleberger andeutet, lässt sich dies oft aus der weit verbreiteten Teilnahme an Investmenttrends ableiten, die gerade in Mode sind; speziell bei Leuten, die sich in der Finanzbranche nicht auskennen. Der Legende nach erkannte der Finanzmagnat J.P. Morgan, dass etwas nicht stimmte, wenn sein Schuhputzer begann, ihm Aktientipps zu geben. Mein Geschäftspartner John Frank sagt, er habe dies im Jahr 2000 erlebt, als er hörte, wie die Väter beim Fussballspiel seines Sohnes mit den Tech-Aktien in ihrem Portfolio prahlten. Ebenso 2006, als ein Taxifahrer in Las Vegas ihm von den drei Eigentumswohnungen erzählte, die er gekauft hatte. Als Mark Twain angeblich sagte, «Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft», sprach er damit genau diese Art von Verhalten an.
Das neue heisse Ding
Wenn sich Anleger während Blasen irrationalem Denken hingeben, was ermöglicht es ihnen demnach, sich von rationalem Denken zu lösen; ähnlich der Schubkraft bei einer Rakete, die sich von den Grenzen der Schwerkraft löst und Fluchtgeschwindigkeit erreicht? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Neuartigkeit. Dieses Phänomen beruht auf einem anderen altehrwürdigen Ausspruch aus dem Investmentjargon: «Dieses Mal ist es anders.»
Blasen stehen immer mit neuen Entwicklungen in Zusammenhang. In den 1960er-Jahren beispielsweise bildeten sich Blasen bei den «Nifty Fifty»-Unternehmen (mehr dazu weiter unten), in den 1980er-Jahren bei Aktien von Harddisk-Herstellern, in den späten 1990er-Jahren bei TMT/Internet-Aktien und in den Jahren 2004 bis 2006 bei mit Subprime-Hypotheken besicherten Wertpapieren. Diese relativ jüngeren Manien standen in der Tradition von Manien wie (a) der Euphorie im alten Holland um neu eingeführte Tulpen in den 1630er-Jahren und (b) der Südseeblase im Jahr 1720 in England, bei der es um den Reichtum ging, der sich aus dem Handelsmonopol ergeben sollte, das die englische Krone an die South Sea Company vergeben hatte.
Wenn Wertpapiere einer Branche oder eines Landes ungewöhnlich hoch bewertet sind, können Finanzhistoriker normalerweise darauf verweisen, dass für diese Titel in der Vergangenheit noch nie ein höherer Aufschlag als x% verglichen mit dem Durchschnitt oder einer ähnlichen Kennzahl gezahlt wurde. Historische Kenntnisse können somit wie ein Halteseil dienen, das ein favorisiertes Anlagesegment auf dem Boden der Tatsachen hält.
Doch wenn etwas neu ist, also keine Geschichte hat, dann gibt es nichts, was den Enthusiasmus bremsen könnte. Schliesslich sind die klügsten Köpfe – denjenigen, über die in den Zeitungen und im Fernsehen berichtet wird – darin investiert, und sie haben ein Vermögen gemacht. Wer ist schon bereit, diese Party zu verderben oder diesen Tanz auszulassen?
Die Erklärung dafür findet sich oft in Hans Christian Andersens Kunstmärchen «Des Kaisers neue Kleider». Betrüger verkaufen dem Kaiser einen angeblich prächtigen Anzug, den nur intelligente Menschen sehen können. In Wirklichkeit jedoch gibt es keinen Anzug. Als der Kaiser nackt durch die Stadt spaziert, fürchten sich die Bürger davor, ihm zu sagen, dass sie seinen Anzug nicht sehen, denn das würde sie als dumm abstempeln. Diese Charade geht so lange weiter, bis ein kleiner Junge aus der Menge tritt und in seiner Naivität darauf aufmerksam macht, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Die meisten Menschen geben sich also lieber einer gemeinsamen Illusion hin, die Anlegern haufenweise Geld einbringt, als etwas Gegenteiliges zu behaupten und als Dummköpfe dazustehen. Wenn ein ganzer Markt oder ein Segment von Wertpapieren in die Höhe schiesst und eine fadenscheinige Investmentthese ihre Verfechter reich macht, werden es nur wenige riskieren, diese öffentlich zu hinterfragen.
Meine Feuertaufe
Man sagt, Erfahrung ist das, was man bekommt, wenn man nicht bekommt, was man will. Ich habe meine prägendste Erfahrung ganz am Anfang meiner Karriere gemacht. Wie viele Leser meiner Memos wissen, trat ich im September 1969 in die Abteilung für Aktienanalyse bei der First National City Bank (heute Citi) ein. Wie die meisten der so genannten Money-Center-Banken investierte auch Citi hauptsächlich in die «Nifty Fifty» – die Aktien der besten und am schnellsten wachsenden Unternehmen Amerikas. Diese Unternehmen galten als derart ausgezeichnet, dass (a) ihnen niemals etwas Schlimmes passieren konnte und (b) für ihre Aktien kein Preis zu hoch war … buchstäblich.
Die Faszination für diese Aktien basierte auf drei Faktoren. Erstens wuchs die amerikanische Wirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg robust. Zweitens profitierten diese Unternehmen von ihrem Engagement in innovativen Bereichen wie Computer, Medikamente und Konsumgüter. Und drittens repräsentierten sie die erste Welle von «Wachstumsaktien», einem neuen Anlagestil, der sich selbst zu einer Modeerscheinung entwickelte. Die Nifty Fifty standen damals im Zentrum der ersten grossen Blase seit etwa vierzig Jahren. Und da es so lange zu keiner Blase mehr gekommen war, hatten Investoren vergessen, wie eine Blase aussieht. Die Nifty Fifty waren dermassen populär, dass ein Anleger, der diese Aktien am gleichen Tag kaufte, an dem ich meine Arbeit aufnahm, und sie fünf Jahre lang beharrlich hielt, weit über 90% seines Geldes verlor … und das mit den besten Unternehmen Amerikas. Was war geschehen?
Die Nifty Fifty waren auf ein Siegerpodest gestellt worden, und es trifft Anleger schmerzlich, wenn etwas von diesem Podest fällt. Der gesamte US-Aktienmarkt brach 1973/74 um etwa die Hälfte ein. Wie sich herausstellte, waren für diese Aktien Preise gezahlt worden, die tatsächlich zu hoch waren; in vielen Fällen sank ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 60 bis 90 auf 6 bis 9 (wodurch man leicht 90% verlieren kann). Hinzu kommt, dass bei mehreren dieser Unternehmen in fundamentaler Hinsicht wirklich etwas Schlimmes passiert war.
Meine frühe Bekanntschaft mit einer ausgewachsenen Blase veranlasste mich dazu, einige Kernprinzipien aufzustellen, die mich seither über mehr als fünfzig Jahre geleitet haben:
Es kommt nicht darauf an, was man kauft, sondern darauf, was man dafür bezahlt.
Erfolgreiches Investieren basiert nicht darauf, dass man gute Dinge kauft, sondern darauf, dass man Dinge gut kauft.
Es gibt keine Anlage, die derart gut ist, dass sie nicht überbewertet und damit gefährlich werden kann. Auch gibt es nur wenige Anlagen, die so schlecht sind, dass sie nicht billig genug werden können, um ein Schnäppchen zu sein.
Es kann nur besser werden
Wie oben aufgeführt, waren die Blasen, die ich erlebt habe, alle mit Innovationen verbunden. Viele dieser Innovationen wurden entweder überschätzt oder nicht richtig verstanden. Die Vorzüge eines neuen Produkts oder eines neuen Geschäftsmodells liegen in der Regel auf der Hand, aber die Schlaglöcher und Stolperdrähte sind oft versteckt und werden erst in schwierigen Zeiten erkannt. Ein neues Unternehmen kann etablierten Konkurrenten weit überlegen sein, doch Investoren, denen es per Definition an Erfahrung in diesem neuen Bereich fehlt, verstehen oft nicht, dass selbst ein brillanter Newcomer verdrängt werden kann. Auch Disruptoren können erschüttert werden, sei es durch clevere Konkurrenten oder sogar durch noch neuere Technologien.
Während den ersten Jahrzehnten meiner Karriere in der Investmentbranche schien sich Technologie graduell zu entwickeln. Computer, Medikamente und andere innovative Produkte wurden nach und nach verbessert. Doch in den Neunzigerjahren beschleunigte sich das Tempo drastisch. Als Oaktree 1995 gegründet wurde, beharrte ich darauf, dass mir die Software-Programme WordPerfect zur Textverarbeitung und Lotus 1-2-3 für Tabellenkalkulationen reichen würden. Doch bereits als wir 1998 in unseren heutigen Geschäftssitz umzogen, gab ich auf und liess unser IT-Team einen Internetanschluss und einen E-Mail-Dienst installieren (und natürlich wurde WordPerfect durch Word und Lotus 1-2-3 durch Excel ersetzt). Damals waren sich Investoren sicher, dass «das Internet die Welt verändern wird». Jedenfalls sah es so aus, und diese Annahme führte zu einer gewaltigen Nachfrage nach allem, was mit dem Internet zu tun hatte. E-Commerce-Aktien gingen zu scheinbar hohen Preisen an die Börse und verdreifachten ihren Kurs bereits am ersten Handelstag. Es kam zu einem wahren Goldrausch.
In der Regel steckt in jeder Manie und Blase ein Körnchen Wahrheit. Die Leute treiben es bloss zu weit. Heute ist klar, dass das Internet die Welt verändert hat – wir können es uns anders gar nicht mehr vorstellen. Aber die grosse Mehrheit der Internet- und E-Commerce-Unternehmen, die in der Blase Ende der Neunzigerjahre einen Höhenflug erlebten, erwiesen sich am Ende als wertlos. Wenn in meiner Anfangszeit als Investor eine Blase platzte, listete das «Wall Street Journal» jeweils in einem Textkasten auf der Titelseite die Aktien auf, die um 90% eingebrochen waren. Nach dem Platzen der TMT-Blase beliefen sich die Verluste auf 99%.
Wenn etwas auf dem Sockel der Popularität steht, ist das Risiko eines Rückschlags gross. Gehen die Leute davon aus – und preisen ein –, dass es nur besser werden kann, ist der Schaden, der durch negative Überraschungen entsteht, ausgesprochen gross. Ist etwas neu, müssen sich neue Konkurrenten erst noch durchsetzen und disruptive Technologien sich etablieren. Der Nutzen mag vorhanden sein, wird er aber überschätzt, können Investments überbewertet werden, worauf die Prämie verpufft, sobald die Realität einsetzt. In der realen Welt wachsen die Bäume nicht in den Himmel.
Die eben diskutierten Erörterungen haben sich auf das Risiko konzentriert, wenn fundamentale Stärken überschätzt werden. Der Optimismus bezüglich der Durchschlagskraft und des Potenzials einer Innovation führt jedoch häufig dazu, dass sich Fehlschlüsse dadurch zusätzlich verstärken, indem Aktien ein zu hoher Preis attestiert wird.
- Wie oben erwähnt, gibt es bei etwas Neuem per Definition keinen historischen Indikator für eine angemessene Bewertung.
- Zudem ist das Potenzial der betreffenden Unternehmen noch nicht in stabile Gewinne umgewandelt worden. Das bedeutet, dass ihre Bewertung auf Mutmassungen beruht. Bei der TMT-Blase erzielten die heissen Unternehmen noch keine Gewinne, womit das KGV als Bewertungskennzahl nicht in Frage kam. Und da es sich um Start-up-Firmen handelte, verfügten sie auch oft nicht über Einnahmen, die bewertet werden konnten. In der Folge wurden neue Kenngrössen erfunden, und vertrauensselige Anleger zahlten schliesslich ein Vielfaches für «Klicks» oder «Augäpfel»; unabhängig davon, ob diese Kenngrössen in Einnahmen und Gewinne umgemünzt werden konnten.
- Da sich die Leute, die bei einer Blase mitmachen, keine Nachteile vorstellen können, neigen sie dazu, Bewertungen zu akzeptieren, die Erfolg voraussetzen.
- So kommt es nicht selten vor, dass Anleger alle Wettbewerber in einem neuen Bereich als erfolgversprechend einstufen, wogegen in Wirklichkeit nur einige wenige erfolgreich sein werden oder möglicherweise überhaupt überleben werden.
- Letztendlich können sich Investoren bei einer wirklich heissen neuen Sache zu dem verleiten lassen, was ich als «Lotterielos-Mentalität» bezeichne. Wenn sich ein erfolgreiches Start-up in einem angesagten Bereich im Kurs verzweihundertfachen kann, ist es mathematisch gesehen eine Investition wert, auch wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit nur 1% beträgt. Und welches Investment hat nicht eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 1%? Wenn Anleger so denken, gibt es kaum Grenzen für das, worauf sie wetten, oder für die Preise, die sie dafür zahlen.
Natürlich kann es passieren, dass sich Investoren im Wettlauf um das heisse, neue Ding verrennen. Das ist der Punkt, an dem die Blase ins Spiel kommt.
Was ist der angemessene Preis für eine glänzende Zukunft?
Angenommen, es gäbe ein Unternehmen, das im nächsten Jahr 1 Mio. $ Gewinn erzielt und dann seinen Betrieb einstellt. Wie viel würden Sie dafür zahlen? Die korrekte Antwort ist etwas weniger als 1 Mio. $, so dass Sie eine positive Rendite für Ihr Geld erhalten.
Aktien werden jedoch zum Kurs-Gewinn-Verhältnis bewertet, d. h. zum Vielfachen des im nächsten Jahr erzielten Gewinns. Warum? Weil ein Unternehmen vermutlich nicht bloss ein Jahr lang einen Gewinn erwirtschaften wird, sondern noch viele weitere Jahre. Wenn man eine Aktie kauft, erwirbt man einen Anteil am Gewinn, den das Unternehmen jedes Jahr in der Zukunft erzielt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bewegte sich der Kurs des S&P 500 im Durchschnitt um das 16-Fache der Unternehmensgewinne. In der Regel wird dies so beschrieben, dass man für die Gewinne bezahlt, die ein Unternehmen in den nächsten sechzehn Jahren verdient. Tatsächlich ist der Betrag aber höher, denn wegen der Diskontierung ist 1 $ Gewinn in der Zukunft weniger wert als 1 $ heute. Der aktuelle Wert eines Unternehmens ist der diskontierte Gegenwartswert seiner künftigen Gewinne. Ein KGV von 16 bedeutet also, dass Sie für mehr als die Gewinne in den nächsten zwanzig Jahren zahlen (je nach dem Zinssatz, mit dem die künftigen Gewinne diskontiert werden).
In Blasen wird für heisse Aktien deutlich mehr als das 16-Fache des Gewinns gezahlt. Denken Sie daran, dass die Nifty-Fifty-Konzerne zu einem KGV von 60 bis 90 gehandelt wurden! 1969 zahlten Anleger bei diesen Unternehmen für Gewinne, die viele Jahrzehnte in der Zukunft liegen – selbst unter der Annahme eines erheblichen Gewinnwachstums. Haben Investoren dies damals bewusst und analytisch getan? Wohl kaum. Das KGV war für sie bloss eine Zahl … wenn sie überhaupt darüber nachdachten.
Die heutigen Branchenleader im S&P 500 sind in vieler Hinsicht besser als die besten Unternehmen der Vergangenheit. Sie verfügen über massive technologische Vorteile. Sie haben eine enorme Grösse, verfügen über dominante Marktanteile und verdienen damit überdurchschnittliche Margen. Und da ihre Produkte mehr auf Ideen als auf Metall beruhen, sind die Grenzkosten zur Produktion einer zusätzlichen Einheit niedrig, was bedeutet, dass ihre Grenzerträge ungewöhnlich hoch sind.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass die heutigen Marktführer nicht zu den Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt werden, die Investoren den Nifty-Fifty-Konzernen attestierten. Der vielleicht interessanteste Name unter den «Magnificent Seven» ist Nvidia, der führende Entwickler von Chips für künstliche Intelligenz. Das Vielfache seiner künftigen Gewinne liegt derzeit bei wenig mehr als dreissig Jahren; je nachdem, welcher Gewinnschätzung man glaubt. Das ist zwar doppelt so hoch wie das durchschnittliche KGV des S&P 500 in der Nachkriegszeit, aber im Vergleich zu den Nifty Fifty sehr günstig. Doch was impliziert ein Vielfaches von mehr als 30? Erstens, dass Anleger glauben, Nvidia werde noch jahrzehntelang im Geschäft bleiben. Zweitens, dass die Gewinne des Unternehmens während dieser Jahrzehnte wachsen werden. Und drittens, dass das Unternehmen nicht von Konkurrenten verdrängt werden wird. Mit anderen Worten: Die Anleger gehen davon aus, dass Nvidia Beständigkeit beweisen wird.
Doch Beständigkeit ist nicht leicht zu erreichen, vor allem nicht in High-Tech-Bereichen, in denen neue Technologien aufkommen und neue Wettbewerber die etablierten Unternehmen überholen können. Erwähnenswert ist dazu beispielsweise, dass nur etwa die Hälfte der Nifty Fifty (gemäss der Aufzählung von Wikipedia, es gibt keine einheitliche Liste) heute im S&P 500 enthalten ist (diese Zahl sieht zweifellos schlechter aus als die Realität, da einige der alten Namen durch Fusionen und Übernahmen verschwunden sind, nicht durch Misserfolge). Zu den führenden Unternehmen im Jahr 1969, die heute im S&P 500 fehlen, gehören Xerox, Kodak, Polaroid, Avon, Burroughs, Digital Equipment und mein Favorit Simplicity Pattern, ein Anbieter von Näh- und Schnittmustern (wie viele Leute stellen heutzutage ihre Kleider selbst her?).
Ein weiteres Indiz dafür, wie schwer es ist, sich an der Spitze zu halten, sind die Namen der zwanzig grössten Konzerne im S&P 500. Laut finhacker.cz waren folgende zwanzig Unternehmen zu Beginn des Jahres 2000 mit dem grössten Gewicht im Index vertreten:
Gesamte Märkte
- der Optimismus, der seit Ende 2022 an den Märkten vorherrscht,
- die überdurchschnittlich hohe Bewertung des S&P 500 und die Tatsache, dass US-Aktien über die meisten Branchen hinweg zu einem höheren KGV gehandelt werden als die Aktien aus derselben Branche im Rest der Welt,
- der Enthusiasmus, der dem «neuen heissen Ding» künstliche Intelligenz entgegengebracht wird, und möglicherweise das Übergreifen dieser positiven Psychologie auf andere High-Tech-Segmente,
- die implizite Annahme, dass die sieben führenden Unternehmen weiterhin erfolgreich sein werden, und
- die Möglichkeit, dass ein Teil der Wertsteigerung des S&P 500 auf dem automatischen Kauf von US-Aktien im Zusammenhang mit Indexstrategien beruht, ohne Rücksicht auf ihren inneren Wert.
Das Diagramm von J.P. Morgan Asset Management stellt ein kleines Quadrat für jeden Monat von 1988 bis Ende 2014 dar, d. h. es umfasst knapp 324 monatliche Beobachtungen (27 Jahre x 12). Jedes Quadrat zeigt auf der horizontalen Achse das vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 zum jeweiligen Zeitpunkt und auf der vertikalen Achse die annualisierte Rendite über die folgenden zehn Jahre. Aus der Grafik lassen sich einige wichtige Beobachtungen ableiten:
- Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der anfänglichen Bewertung und den nachfolgenden annualisierten Renditen über zehn Jahre: Höhere Bewertungen am Startpunkt führen konsistent zu niedrigeren Renditen und vice versa. Es gibt geringfügige Variationen bei den Beobachtungen, aber keine bedeutenden Ausnahmen.
- Heute liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 eindeutig im oberen Dezil der Beobachtungen.
- Wenn man in den 27 Jahren den Index zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis kaufte, das dem heutigen Vielfachen von 22 entspricht, lag die annualisierte Rendite über die nächsten zehn Jahre stets zwischen +2% und -2%.
Im November publizierten einige führende Banken ihre Zehnjahresprognosen für den S&P 500. Demnach rechnen sie mit einer annualisierten Rendite im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich. Die Korrelation im obigen Diagramm ist der Grund dafür. Es sollte nicht überraschen, dass die Rendite einer Anlage in erheblichem Mass von dem dafür gezahlten Preis abhängt. Investoren sollte es daher nicht gleichgültig sein, auf welchem Niveau sich die heutige Bewertung des US-Aktienmarktes bewegt.
Man könnte sagen: «Plus 2% oder minus 2% zu verdienen, wäre nicht das Schlimmste auf der Welt.» Das stimmt sicherlich, wenn der Aktienmarkt in den nächsten zehn Jahren stillstehen würde, während die Gewinne der Unternehmen steigen und die Bewertungen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Eine andere Möglichkeit besteht jedoch darin, dass die Korrektur der Bewertungen auf ein oder zwei Jahre komprimiert wird, was einen empfindlichen Rückgang der Aktienkurse wie in den Jahren 1973/74 und 2000 bis 2002 zur Folge hätte. In diesem Fall würden Investments nicht gerade zu einem harmlosen Resultat führen.
Das sind die Aspekte, die Anlass zur Sorge geben. Hier sind die Gegenargumente:
- Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 ist hoch, aber nicht irrsinnig,
- die «Magnificent Seven» sind unglaubliche Unternehmen, womit ihr hohes KGV gerechtfertigt sein könnte,
- ich höre die Leute nicht sagen, dass «kein Preis zu hoch ist», und
- obwohl die Märkte hoch bewertet und vielleicht überschwänglich sind, erscheinen sie mir nicht verrückt.
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Wie ich bereits zu Beginn dieses Memos dargelegt habe, bin ich kein Aktieninvestor und schon gar kein Technologieexperte. Daher kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob wir uns in einer Blase befinden. Ich möchte lediglich die Fakten darlegen, wie ich sie sehe, und Ihnen damit Anregungen geben, wie Sie darüber denken können … genauso, wie ich es vor 25 Jahren getan habe.
Ich hoffe, Sie lesen meine Memos auch in den nächsten 25 Jahren weiter!
Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um eine Übersetzung des jüngsten Memos von Howard Marks. Die englische Originalfassung sowie ein dazugehöriger Podcast sind unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.
Howard Marks