Diese Woche fahren rund 1000 Schweizer Armeeangehörige nach Österreich für eine zweiwöchige Militärübung. Die Übung im Ausland löste im Vorfeld Debatten aus – und stand bereits auf der Kippe.
Der Leopard stösst eine schwarze Abgaswolke aus seinem Auspuff, während er sich auf der Stelle um 180 Grad dreht, dann rollt er vom Asphalt auf einen Güterzug. Der Kampfpanzer dröhnt dabei so laut, dass er alle anderen Geräusche erstickt, der Boden um ihn herum vibriert. Es ist der Auftakt zur Übung Trias 25.
Im Rahmen dieser Übung wurden am Dienstagnachmittag insgesamt 60 gepanzerte Fahrzeuge auf dem Waffenplatz Thun für den Bahntransport verladen. Ziel ist das 600 Kilometer entfernte Allentsteig in Niederösterreich, nahe der Grenze zu Tschechien. Neben Kampfpanzern werden auch Schützen-, Radschützen-, Berge- und Brückenpanzer sowie Aufklärungs- und Infanteriefahrzeuge nach Österreich transportiert. Dazu kommen 950 Schweizer Armeeangehörige. Diese folgen am frühen Mittwochmorgen mit einem Dutzend Cars.
Auf dem dortigen Truppenübungsplatz werden sie in den nächsten zwei Wochen den Kampf der verbundenen Waffen gemeinsam mit deutschen und österreichischen Militärangehörigen trainieren. Die Übung findet in Form eines Wiederholungskurses (WK) im Ausland statt.
Der Ausland-WK löste im Vorfeld Debatten aus. Bedenken wegen der Neutralität der Schweiz nahm die Armee in ihrem eigenen Podcast gleich vorweg. Dort stellte sie wenige Wochen vor dem Auftakt zur Übung die Frage: «Logischer Schritt für die Verteidigungsfähigkeit – oder droht der Nato-Beitritt?»
Nein zur Nato-Übung, ja zur Stärkung der Landesverteidigung lautete der Tenor auf dem Waffenplatz Thun. Drei Männer informierten dort über den Panzerlärm hinweg über die bevorstehenden Wochen: Divisionär Benedikt Roos, Kommandant Heer und Projektverantwortlicher bei der Übung, Brigadier Christoph Roduner, Kommandant der Mechanisierten Brigade 11, die für Auslandübungen auserkoren wurde, und Leiter der Übungen in Allentsteig, sowie Oberstleutnant Conrad Macri, Kommandant des dort beübten Bataillons.
Die Leoparden in die Freiheit lassen
«Heute ist ein besonderer Tag für das Heer, für die Bodentruppen», verkündete Divisionär Roos. Es sei das erste Mal seit dreissig Jahren, dass Schweizer Bodentruppen im Ausland trainierten. Tatsächlich ist der Waffenplatz in Österreich der Schweizer Armee bekannt. Zweimal übten dort Schweizer Soldaten in der Vergangenheit: 1992 und 1996.
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Armee verschlankt und auf Einsätze im Inland zugunsten ziviler Behörden getrimmt, also auf anhaltende Friedenszeiten. Erst mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde die Landesverteidigung inklusive Panzerkampf auf einmal wieder Thema. Dieser soll jetzt in Österreich trainiert werden.
Allentsteig bietet die dafür notwendige Fläche: Der Truppenübungsplatz gehört zu den grössten militärischen Übungsanlagen Europas. Er ist mit 157 Quadratkilometern beinahe so gross wie der Kanton Appenzell Innerrhoden. Alle möglichen Einsätze der Panzertruppen können dort auf Dutzenden von Kilometern, sowohl tags wie nachts, realistisch trainiert werden, inklusive scharfer Schiessübungen.
Zum Vergleich: Der Waffenplatz Bure im Kanton Jura kommt auf 10 Quadratkilometer. Trainiert wird dort ohne scharfe Munition. Die Soldaten der Panzertruppen, die dort regelmässig ihren Dienst absolvieren, kennen die Panzerpisten, Waldstücke, Ortskampfanlagen in- und auswendig. «Wie der Leopard sein Gehege im Zoo Zürich», vergleicht Brigadier Roduner. In der Schweiz fehle schlicht und einfach der Raum für grosse Manöver beziehungsweise die Bereitschaft der Bevölkerung, einen Kampfpanzer im eigenen Garten zu dulden. Raum, den Allentsteig bietet – oder wie es Roduner ausdrückt: «Jetzt lassen wir den Leoparden in die Freiheit.»
Keine Nato-, sondern eine Schweizer Übung
In Thun wurde deutlich gemacht, dass es sich bei der Übung in Allentsteig um keine Nato-Übung handle. Es werde nach Reglementen und Doktrin der Schweiz trainiert. Nato-Standards dienten lediglich zum Vergleich, um zu sehen, wo die Schweiz stehe und ob sie mit den Nachbarländern mithalten könne. Auch die Übungsleitung obliegt einem Schweizer, dem Brigadekommandanten Roduner.
Zwar sind 160 Armeeangehörige aus Deutschland und 120 aus Österreich dabei. Im Zentrum der Übung steht aber das Schweizer Truppenkontingent, das mit 850 Soldaten während zweier Wochen permanent in Allentsteig sein wird. Weitere 100 Schweizer, unter ihnen Angehörige der Logistik, unterstützen bei der Vorbereitung und nach Ende der Übung. Ob ausreichend Schweizer Armeeangehörige teilnehmen, war während der anderthalbjährigen Planung unsicher.
Denn die Teilnahme an einem Ausland-WK ist für Schweizer Soldaten freiwillig. Ein regulärer WK dauert für Soldaten zudem nur drei statt wie jetzt vier Wochen. Einzig Kader werden auch im Inland für eine zusätzliche Vorbereitungswoche aufgeboten. Und der Ausland-WK findet ausgerechnet über das Osterwochenende statt, kein Urlaub also für die Soldaten. Eine schlechte Ausgangslage, um 1000 Freiwillige zu finden. Im Juni 2024 hiess es vonseiten der Armee noch, dass zu wenige Freiwillige gefunden worden seien.
In der Folge wurden Armeeangehörige anderer Bataillone der Mechanisierten Brigade 11 angeschrieben. Einer von ihnen, ein junger Soldat und Panzerfahrer, sagte der NZZ, was ihn dazu motiviere, freiwillig teilzunehmen: «Ausschlaggebend für mich war die Grösse des Geländes, dass wir unsere Panzer richtig ausfahren und dass wir viel mehr schiessen können. Und ich hoffe, dass wir viel von den Deutschen und Österreichern lernen werden.»
Insgesamt sind 60 Prozent der Teilnehmer Mitglieder des vorgesehenen Bataillons, weitere 30 Prozent stammen aus anderen Bataillonen. Die letzten personellen Lücken wurden mit Soldaten aus den laufenden Rekrutenschulen geschlossen.
Übung auf Gegenseitigkeit, aber nicht Nation gegen Nation
Trainiert wird auf Gegenseitigkeit, das heisst mit einer Freund- und einer Feind-Formation, wobei die Deutschen und Österreicher auf beiden Seiten mit Schweizern gemischt werden. Dies soll die Interoperabilität stärken und den Eindruck vermeiden, dass bei der Übung Nation gegen Nation kämpft.
Es gehe nicht um ein Kräftemessen oder darum, zu sehen, ob die Schweiz Deutschland oder Österreich schlagen könne, sagt Divisionär Roos dazu, sondern darum, das Schweizer Bataillon zu trainieren und dabei von den anderen Armeen zu lernen.
In Österreich, das wie die Schweiz neutral und kein Mitglied der Nato ist, wird der Schweizer Ausland-WK positiv aufgenommen. Die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner sagte im Vorfeld: «Multinationale Übungen stellen für alle Beteiligten eine enorme Bereicherung im Kennenlernen der jeweiligen Einsatztechniken dar.»
In der letzten WK-Woche verschiebt sich das Schweizer Kontingent zurück nach Thun, wo Fahrzeuge und Material wieder abgegeben werden, bevor es für das Gros der Schweizer Armeeangehörigen zurück ins zivile Leben geht. Für Divisionär Roos und Brigadier Roduner geht es dann in die nächste Phase.
Auch 2027 und 2029 will die Schweiz im Ausland trainieren
Der Name Trias, kurz für «Truppenversuch im Ausland» und altgriechisch für Dreizahl, ist nicht zufällig gewählt. Die Übungen im Ausland sollen schrittweise vergrössert werden. Auf Trias 25 sollen Trias 27 und Trias 29 folgen.
Für 2027 sei aber noch nichts entschieden, sagt Roos, auch wenn natürlich die Idee sei, auf der diesjährigen Übung aufzubauen. Sprich: mit mehr als einem Bataillon ins Ausland fahren. Ein möglicher Standort ist der deutsche Truppenübungsplatz Altmark in Sachsen-Anhalt. Dieser ist mit 232 Quadratkilometern – der Fläche des Kantons Zug – der drittgrösste Übungsplatz Deutschlands und technologisch einer der modernsten Europas. Laut Roos sei auch ein erneuter Ausland-WK in Allentsteig denkbar.
2029 käme neben Deutschland und Österreich auch Frankreich als Destination infrage. Dieses Jahr trainieren mehrere kleine Verbände der französischen Armee in der Schweiz. Wie mit Österreich und Deutschland unterhält die Schweiz auch mit Frankreich ein Abkommen über Zusammenarbeit bei der militärischen Ausbildung.
Ob dann die ganze Mechanisierte Brigade 11, also rund 6000 Armeeangehörige, im Ausland trainieren werde? Roos und Roduner lachen ob dieser Frage: Schön wäre es natürlich schon, im Moment sei aber alles noch offen. «Letztlich ist es auch eine finanzielle Frage», sagt Roos. Die zusätzlichen Kosten für den jetzigen Ausland-WK belaufen sich auf 4 Millionen Franken.