Die Ewige Stadt leidet schon in normalen Zeiten unter zu viel Tourismus. Nun kündigen sich zusätzliche dreissig Millionen Besucher an. Damit hat die Kirche weniger Mühe als der Rest der Bewohner.
In der Via di San Teodoro, malerisch zwischen dem Palatin und dem Kapitol gelegen, treibt Robin Hood sein Unwesen. «Gegen das Jubiläum der Reichen», heisst es auf Flugblättern, die an Strassenlaternen angebracht sind. Darüber ein grüner Filzhut, der an den Namensgeber der Guerilla-Aktion erinnern soll.
Der Rächer der Enterbten hat es auf Schlüsselkästchen abgesehen, die sich in der Strasse häufen. Sie werden mit Metallzangen aufgeschnitten oder mit Abziehbildern zugeklebt – als Zeichen des Widerstands gegen Wohneigentümer, die sich mittels Vermietung ihrer Wohnungen als Ferienunterkünfte ein gutes Zubrot verdienen. In den Kästchen finden die Mieter die Schlüssel zur Wohnungstüre, ein persönlicher Kontakt mit dem Vermieter ist damit nicht mehr nötig. Mittlerweile sind die kleinen Dinger zum Symbol des Booms von Kurzzeitvermietungen geworden – und zur Zielscheibe von anonymen Aktivisten wie Robin Hood.
Wie in Barcelona, Florenz oder auf den Kanarischen Inseln macht sich nun also auch in Rom Widerstand gegen den sogenannten «Overtourism» breit. Die Aussicht auf das Heilige Jahr und die zu erwartenden Scharen hat die Situation verschärft. «Tourist, go home!», ist noch einer der freundlicheren Slogans, die man inzwischen auf Klebern an Strassenlaternen oder Verkehrstafeln in der Ewigen Stadt lesen kann.
Fatalisten und Goldgräber
Besonders betroffen sind Studenten. Die Touristen schnappen ihnen den ohnehin knappen günstigen Wohnraum weg. Im Heiligen Jahr vermieten Eigentümer ihre Wohnungen selbst an weniger guten Lagen als in der Via di San Teodoro zu wesentlich lukrativeren Bedingungen an Pilger aus dem Ausland als an Studenten. Auch Vertreter der in Rom besonders zahlreich vertretenen internationalen Kulturinstitute sind in Sorge: Ihre Stipendiaten finden für die Dauer ihrer Bildungsaufenthalte kaum mehr bezahlbare Zimmer in der Stadt.
Im Fall der Schlüsselkästchen sind die Behörden inzwischen tätig geworden. Das Innenministerium hat gerade ein flächendeckendes Verbot verhängt. Begründet wurde es allerdings nicht mit dem Ansturm der Touristen und der Situation auf dem Wohnungsmarkt. Vielmehr waren Sicherheitsbedenken ausschlaggebend. Man will vermeiden, dass kriminelle oder terroristische Organisationen sich die Anonymität zunutze machen und die Wohnungen als Basis für entsprechende Aktionen nutzen. Robin Hood hat einen ersten Etappensieg erzielt. Aber er wird nicht ruhen.
Mit Blick auf das «Giubileo», das Heilige Jahr, das mit der Öffnung der Heiligen Pforte am Petersdom am 24. Dezember begonnen hat, herrscht in der Stadt eine eigenartige Mischung aus Fatalismus, Sorge und Goldgräberstimmung. «Wir werden es wohl schon irgendwie überleben», sagen die einen und legen sich persönliche Überlebensstrategien zurecht: um Sehenswürdigkeiten einen noch grösseren Bogen machen als üblich, Einkäufe und unbedingt notwendige Behördengänge in die Randstunden verlegen, noch mehr «Smart Working» einplanen, mehr Zeit in der Zweitwohnung am Meer oder in den Bergen verbringen.
Andere wiederum stecken, weil direkt involviert, tief in den Vorbereitungsarbeiten, suchen händeringend nach Personal für ihre Imbissbuden und Souvenirgeschäfte und hoffen auf das Geschäft ihres Lebens. Und Dritte befassen sich mit der Organisation und der Logistik, zum Beispiel mit der Frage: Wie schafft man fünfhundert zusätzliche Tonnen Abfall aus der Stadt – pro Tag? Oder: Wohin pinkeln all die Gäste auf ihren Wegen zwischen den sieben seit dem 16. Jahrhundert speziell bezeichneten Pilgerkirchen der Stadt?
Verschönerung der Stadt
Für eine grundsätzliche Diskussion über Sinn und Zweck eines solchen Grossanlasses ist es jetzt zu spät. Der Koloss hat sich in Bewegung gesetzt. Erst am 6. Januar 2026, wenn die Heilige Pforte am Petersdom wieder geschlossen werden wird, kann Rom aufatmen. Es wird ein langes Jahr gewesen sein.
Die Ewige Stadt hat freilich Erfahrung damit. Seit dem Jahr 1300 finden Heilige Jahre statt, seit der Renaissance alle 25 Jahre, wozu sich inzwischen noch ausserordentliche Heilige Jahre gesellen. Jeder gläubige Katholik sollte, so die Überlegung, im Verlauf seines Lebens mindestens einmal die Möglichkeit haben, an einer Rom-Wallfahrt teilzunehmen. Für die Päpste waren Heilige Jahre stets ein bewährtes Mittel, um die Zentralität Roms in der christlichen Welt und ihren Machtanspruch zu unterstreichen.
Die Stadt hat in vielerlei Hinsicht davon profitiert. Denn Heilige Jahre waren stets auch ein Anlass für Verschönerungen, Neubauten und Verbesserungen der städtischen Infrastruktur. Der Ponte Sisto etwa, eine der wenigen Fussgängerbrücken über den Tiber und heute einer der beliebtesten Übergänge ins Ausgehviertel Trastevere, wurde auf Betreiben von Papst Sixtus IV. für das Heilige Jahr 1475 erstellt. Er sollte die Engelsbrücke entlasten. Denn dort kam es anlässlich des Giubileo von 1450 zu einem derartigen Gedränge, dass zweihundert Pilger in den Tiber stürzten und viele von ihnen jämmerlich ertranken.
Auch in der Gegenwart lösen Heilige Jahre namhafte Investitionen aus. Teilweise mit EU-Mitteln finanziert, wurden in den letzten Monaten zahlreiche historische Monumente, etwa die barocken Brunnenanlagen auf der Piazza Navona oder die Fontana di Trevi, aufwendig restauriert. Und die Piazza Pia, der grosse Platz zwischen der Engelsburg und der zum Petersdom führenden Via della Conciliazione, wurde zu einer grosszügigen Fussgängerzone umgestaltet.
Was viele für undenkbar gehalten haben: Rom hat es geschafft, die meisten dieser grossen und teilweise komplexen Baustellen rechtzeitig zum Start des Giubileo fertigzustellen. Die Ewige Stadt hat sich herausgeputzt. Bürgermeister Roberto Gualtieri eilt dieser Tage von Eröffnung zu Eröffnung und durchschneidet so viele Bänder wie kaum ein Sindaco vor ihm.
So wie die Pilger alle 25 Jahre Aussicht auf einen vollständigen Ablass ihrer Sünden haben, wenn sie in spiritueller Absicht nach Rom reisen, so kommt Rom also dank den Heiligen Jahren in regelmässigen Abständen zu einer Art Facelifting – und damit auch zu neuer globaler Präsenz. Alle wollen «la grande bellezza» besichtigen, neue Selfies bringen neue Touristen und neue Einnahmen.
«Kaputt Mundi»
Allerdings hat die Stadt auch die Folgen zu tragen: mehr von allem, zu viel von allem. Im Zeitalter des Massentourismus wiegen die Folgen des kirchlichen Jubeljahres schwerer als jemals zuvor. Schon heute sind das städtische Leben, der Alltag der Leute, die Bewohnbarkeit des Zentrums akut bedroht. Die Sorge geht um, dass die erwarteten dreissig Millionen zusätzlichen Gäste der Stadt noch den Rest geben. «Roma, Kaputt Mundi», titelte kürzlich die «Repubblica» in ihrem Wochenmagazin.
Die Kirche ihrerseits ist von solchen Zweifeln kaum geplagt. Der Letzte, der an kirchlichen Massenveranstaltungen Kritik geäussert hat, soll Kardinal Joseph Ratzinger gewesen sein, der nachmalige Papst Benedikt XVI.. Mit Blick auf die Mammutanlässe des Heiligen Jahres 2000 soll er damals die Befürchtung geäussert haben, dass bei Feiern mit Abertausenden von Menschen der Sinn der liturgischen Handlungen verlorengehe.
Von solchen oder ähnlichen Einwänden ist nichts mehr zu hören. Für die Kurie ist das Heilige Jahr 2025 vielmehr «eine Art Volksfest, das auch als solches organisiert werden soll», sagt der von Papst Franziskus als Verantwortlicher für das Giubileo bestimmte Erzbischof Rino Fisichella. Die katholische Kirche sieht im Jubeljahr eine Chance, in schwierigen Zeiten neues Vertrauen bei den Gläubigen aufzubauen und prägende Bilder zu schaffen. Gegenüber Massenveranstaltungen hat sie keine Berührungsängste, im Gegenteil: Damit kann sie der Welt zeigen, dass Rom als Zentrum der christlichen Welt nach wie vor über Strahlkraft verfügt.
Ob das allerdings zum Pontifikat von Franziskus passt, steht auf einem anderen Blatt. Unter seiner Ägide haben sich die römischen Wurzeln der katholischen Kirche spürbar gelockert. Seine Reisen führten ihn meist weit weg von Europa, in Weltgegenden, wo die Kirche lebendiger ist als auf dem alten Kontinent; im Kardinalskollegium haben die Europäer einen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen; und mit dem Glanz und der Gloria der Kurie in Rom hat der Argentinier stets wenig anfangen können. Statt im apostolischen Palast residiert er im Gästehaus in den vatikanischen Gärten. Seine Kirche soll normaler, bescheidener, weniger römisch sein. Und trotzdem lässt er nun ein Heiliges Jahr feiern, in dem sich letztlich eben doch alles um Rom und auch um seine Person dreht.
«Luce», das süsse Maskottchen
Um die Pilger in die Ewige Stadt zu locken, ist kein Aufwand zu viel. Selbst ein trendiges Pilger-Maskottchen wurde eigens für das Jubeljahr kreiert. Es heisst «Luce» (Licht) und ist eine Comic-Figur mit riesigen Augen im Manga-Stil. Luce trägt einen gelben Anorak, einen Pilgerstab, ein Kreuz um den Hals und von der Reise schmutzige Stiefel. Seine leuchtenden Augen sollen «das Symbol der Hoffnung des Herzens» sein, so die Verantwortlichen anlässlich der Präsentation im letzten Herbst. Auch eine Pilger-App zielt auf neue Generationen ab.
In Rom stehen sich nun also Luce und Robin Hood gegenüber. Während Luce die Massen in die Ewige Stadt bringen soll, tut Robin Hood alles dafür, dass diese den Römern nicht die letzten günstigen Wohnungen wegschnappen. Wie der Zweikampf der beiden ausgehen wird, ist offen. In Rom befürchten am Vorabend des grossen Ansturms nicht wenige, dass Luce die besseren Karten hat.