Ein Solothurner Anwalt war vom Genfer Kantonsgericht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Jetzt weist das Bundesgericht den Fall zurück. Es muss geprüft werden, auf welche Weise die Frau erstickt wurde.
Es ist eines der bizarrsten Tötungsdelikte, die die Schweizer Justiz in den letzten Jahren beschäftigt haben; nun findet der Fall seine Fortsetzung. Nur schon wie die Ermittler auf die Straftat stiessen, ist ungewöhnlich. Am 28. Februar 2016 entpuppte sich ein vermeintlich natürlicher Todesfall im Genfer Vorort Grand-Saconnex als Tötungsdelikt. Bei der Obduktion einer Leiche fanden die Gerichtsmediziner nämlich eine 4,5 Zentimeter lange Feder in den Bronchien einer 66-jährigen Frau.
Besondere Aufmerksamkeit erregte der Fall auch deshalb, weil es sich beim Ehemann der Getöteten und Hauptverdächtigen um einen bekannten Solothurner Wirtschaftsanwalt handelte. Der heute 74-jährige Mann sass in Verwaltungsräten namhafter Unternehmen und war gesellschaftlich gut vernetzt. Ihm droht nun eine längere Freiheitsstrafe. Dies, nachdem er seine Strafe bereits abgesessen zu haben schien und sich wieder auf freiem Fuss befunden hat.
Zweifel an geänderter Aussage
Verantwortlich für die neuerliche Wende ist das Bundesgericht. Es hat kürzlich das letzte Urteil an das Genfer Kantonsgericht zurückgewiesen. Dieses hatte den Mann im März 2023 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die Hälfte davon bedingt. Das Bundesgericht gibt mit seinem Entscheid der Genfer Staatsanwaltschaft recht, die auf vorsätzliche Tötung plädiert und Beschwerde eingereicht hatte.
Der Richterspruch aus Lausanne kommt nicht ganz unerwartet, kam doch das Urteil vor dem Kantonsgericht auf aufsehenerregende Weise zustande. Der Angeklagte, der in erster Instanz vom Strafgericht noch zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt worden war, änderte seine Aussage damals radikal und konnte dadurch eine deutliche Senkung des Strafmasses erwirken.
Der Anwalt gab plötzlich zu, dass seine Frau nicht eines natürlichen Todes gestorben sei, wie er ursprünglich behauptet hatte. Es habe sich jedoch nicht um eine vorsätzliche Tötung gehandelt, sondern um einen Unfall während einer Sexualpraktik. Seine Frau habe ihn aufgefordert, im Lauf des Liebesspiels das Kissen oder die Bettdecke auf ihr Gesicht zu drücken. Das vereinbarte Zeichen, wann er mit dem Würgespiel aufhören solle, habe sie an diesem Morgen nicht gegeben.
Als Grund dafür, dass er bisher bei den Vernehmungen und vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt hatte, nannte der Mann Scham über ihr gemeinsames Sexualleben. Deshalb habe er zu dieser Notlüge gegriffen. Das Kantonsgericht glaubte seinen Aussagen praktisch vollumfänglich und reduzierte deshalb das Strafmass drastisch.
Das Bundesgericht hat der Staatsanwaltschaft nun recht gegeben und kritisiert das Kantonsgericht. Sie wirft den kantonalen Richtern im Wesentlichen vor, willkürlich davon ausgegangen zu sein, dass der Beschuldigte glaubwürdig sei. Die Richter hätten den vom Angeklagten beschriebenen Tathergang als gegeben hingenommen, obwohl dieser sieben Jahre lang behauptet habe, seine Frau sei eines natürlichen Todes gestorben. Das kantonale Gericht muss daher nun «die gesamte Erzählung des Beschwerdegegners über die physische und psychische Verfassung des Ehepaares in der Tatnacht würdigen und alle relevanten Beweismittel würdigen».
Das Bundesgericht ist zudem der Ansicht, das kantonale Gericht habe es versäumt, eine vollständige und genaue Analyse aller von den Experten festgestellten Verletzungen vorzunehmen. Der Staatsanwalt hatte in seiner nun gutgeheissenen Beschwerde unter anderem auf die erheblichen Verletzungen an Armen und Händen des Opfers hingewiesen. «Indem das kantonale Gericht es versäumt hat, alle Beweise zu würdigen, die ermöglichen, den letzten Geschlechtsverkehr zwischen den Eheleuten zu datieren, ist es in Willkür verfallen», heisst es in dem Urteil.
Motiv muss geklärt werden
Das Kantonsgericht habe zwar zur Kenntnis genommen, dass der Angeklagte keine Erklärung dafür hatte, warum zwischen dem Auffinden des leblosen Körpers seiner Frau und dem Anruf bei seiner Schwiegertochter eine Stunde verging. Es habe daraus aber zu Unrecht keine Schlüsse gezogen. Diese Elemente seien jedoch für die Ermittlung des Sachverhalts relevant und trügen dazu bei, festzustellen, ob der Beklagte das Risiko des Todes seiner Frau in Kauf genommen habe.
Das Genfer Kantonsgericht muss nach dem Richterspruch aus Lausanne nicht nur die Umstände rund um den Tod der Frau noch einmal im Detail untersuchen. Es muss auch die Frage des Motivs erneut prüfen. Dieses blieb während der bisherigen Untersuchungen immer im Dunkeln. Bei den Gerichtsverhandlungen hatten sowohl die Familie des Angeklagten wie auch jene des Opfers betont, dass die beiden Eheleute ein sehr gutes Verhältnis hatten. Wann ein neuerlicher Prozess stattfindet, steht momentan nicht fest.