Der Fahrplan für die Ratifizierung verzögert sich. Das bringt den Wirtschaftsminister in eine delikate Lage – fünf Jahre, nachdem er den Rahmenvertrag versenken durfte.
Dass Guy Parmelin im Beziehungsdrama zwischen der Schweiz und der EU eine schwierige Rolle spielt, ist schon länger klar. Dass sie aber so schwierig sein wird, konnte er nicht wissen. Wenn alles nach Plan läuft, muss Parmelin im kommenden Jahr als Bundespräsident nach Brüssel reisen, um die neuen Abkommen mit der EU zu unterzeichnen. Ausgerechnet er, der SVP-Bundesrat, soll mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission, in die Kameras lächeln und seinen Namen unter die Verträge setzen, die den bilateralen Weg sichern sollen.
Oder wie es seine Partei ausdrücken würde: Parmelin muss den «Unterwerfungsvertrag» unterschreiben. Früher hat die SVP in diesem Zusammenhang auch schon von «Landesverrat» oder der «Zerstörung» der Schweiz gesprochen. Wie wird sie auf Parmelins Gang nach Brüssel reagieren?
Bis anhin ist man in Bern davon ausgegangen, dass es die freisinnige Bundesrätin Karin Keller-Sutter sein wird, welche die Papiere signieren darf (oder muss, je nach Sichtweise). Diese Aufgabe obliegt, sobald der Bundesrat die Abkommen definitiv gutgeheissen hat, dem amtierenden Bundespräsidenten. Im laufenden Jahr hat Keller-Sutter diese Funktion inne. Nachdem die Verhandlungen im Dezember abgeschlossen worden waren, sahen die Fahrpläne denn auch vor, dass sie die Verträge im Herbst 2025 unterschreiben wird.
Manche Befürworter sollen bereits frohlockt haben: Dass «KKS» – die starke Frau des Bundesrats – die Verträge persönlich unterzeichnet, sollte dem Paket in bürgerlichen Kreisen Auftrieb geben.
Jedes EU-Land muss grünes Licht geben
Daraus wird nun nichts. Laut mehreren gut informierten Quellen soll der Bundesrat an seiner Sitzung vom Mittwoch über das weitere Vorgehen diskutieren. Aus den Unterlagen geht demnach hervor, dass die Ratifizierung aufseiten der EU mehr Zeit in Anspruch nimmt als erwartet. Die Juristen in Brüssel sollen herausgefunden haben, dass das Paket zuerst von allen EU-Ländern gutgeheissen werden muss. Falls jedes Parlament separat zustimmen muss, zieht sich der Prozess um mehrere Monate in die Länge.
Dass für einmal die EU mehr Zeit braucht, ist aus Schweizer Sicht eine willkommene Abwechslung. Meist ist es umgekehrt, Brüssel setzt Bern unter Druck. Unmittelbare Folge der Verzögerung: Die Unterzeichnung auf Regierungsebene kann nicht mehr dieses Jahr stattfinden, sondern erst im nächsten. Und dann heisst der Bundespräsident Parmelin. Laut aktualisierter Planung in Bern wird erwartet, dass das Treffen im März oder April 2026 stattfinden könnte.
Technisch gesehen, spielt es keine Rolle, wer die Verträge unterschreibt. Er oder sie handelt erstens im Namen des Bundesrats, und zweitens können die Abkommen ohnehin nur in Kraft treten, wenn später auch das Schweizer Stimmvolk und allenfalls sogar die Kantone zustimmen (Ständemehr). Insofern mag man die Frage, welches Bundesratsmitglied die Abkommen unterzeichnet, als zeremonielle Fussnote abtun.
Die erste Reise nach Brüssel
Realpolitisch hingegen ist die Symbolkraft nicht zu unterschätzen – in einem derart aufgeladenen Dossier erst recht. Für die innenpolitische Debatte macht es psychologisch einen Unterschied, ob es Keller-Sutter ist, die in Brüssel Ursula von der Leyen die Hand reicht – oder Parmelin. Und sei es nur, weil die Aufnahmen daran erinnern, dass auch die SVP Teil der Kollegialregierung ist und ihre Bundesräte den Kurs loyal mitzutragen haben.
Parmelin musste schon einmal als Bundespräsident in dieser Sache nach Brüssel reisen – damals aber unter ganz anderen Vorzeichen. Das war im April 2021, als der Rahmenvertrag, der erste Versuch zur Klärung der bilateralen Beziehungen, in den letzten Zuckungen lag. Parmelin traf von der Leyen, um die Beerdigung des Vertrags vorzubereiten. Als der Bundesrat wenig später die Übung tatsächlich beendete, reagierte man in Brüssel trotzdem düpiert bis entsetzt.
Guy Parmelin hingegen, der gemeinhin als unauffälliger, braver Bundesrat gilt, konnte mit dem damaligen Auftritt seine Reputation zumindest temporär aufpolieren. Vor allem in SVP-Kreisen, aber auch darüber hinaus wurde er gefeiert: der erste Bundesrat, der der EU reinen Wein einschenkt, ein mutiger Staatsmann, ein Winkelried.
Parmelin liess es sich gefallen, aber ohne sich anzubiedern und den Ruhm auszukosten. Das dürfte es ihm in den kommenden Monaten einfacher machen, den Gegenwind seiner Partei auszuhalten. Mit der Vertragsunterzeichnung rückt er symbolisch ins Rampenlicht, als Wirtschafts- und Bildungsminister steht er auch sachpolitisch in der Verantwortung.
Parmelin, der Loyale
Aus seinem Umfeld ist zu hören, Parmelin wisse sehr genau, wie wichtig die Abkommen für die Exportbranchen und die Hochschulen seien. Bekannt ist, dass er beim ungelösten Streitthema Lohnschutz seinen Fachleuten Spielraum lässt, um Kompromisse zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern auszuloten.
Mitstreiter betonen seine Loyalität: So kollegial er 2021 den Rahmenvertrag versenkt habe, so kollegial werde er die neuen Abkommen unterzeichnen, wenn die Mehrheit des Bundesrats dies so beschliesse. Dieser Entscheid soll formell erst nach der Vernehmlassung fallen, wenn der Bundesrat das ganze Paket mitsamt einer Botschaft von vielen hundert Seiten Text an das Parlament überweist, voraussichtlich im ersten Quartal 2026.
Dass Parmelin in der alles entscheidenden Volksabstimmung, die nicht vor dem Jahr 2028 stattfinden dürfte, die Verträge mit Verve verteidigen wird, erwartet hingegen niemand. Schon nur, weil er dann kaum mehr im Amt sein wird.