Vier Mitglieder der indisch-schweizerischen Familie Hinduja wurden am Freitag erstinstanzlich wegen Wucher zu vier bis viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Vom Vorwurf des Menschenhandels wurden sie hingegen freigesprochen.
Dieses Urteil war in Genf lange erwartet worden – zu einem strafrechtlichen Prozess wegen mutmasslichen Menschenhandels kommt es in der Schweiz äusserst selten. Im konkreten Fall geht es um die milliardenschwere indisch-schweizerische Hinduja-Familie und ihren Umgang mit den Hausangestellten in ihrer Villa im Genfer Nobelvorort Cologny, wo die Familie seit 1988 lebt.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft beschrieben eine Form der modernen Sklaverei: Die Familie habe ihre Hausangestellten jahrelang ausgenutzt und von deren prekärer und vulnerabler Situation finanziell profitiert. Der Fall bewegte Genf auch deshalb, weil das Gefälle so gross war: Die Hinduja gelten als eine der reichsten Familien von Grossbritannien, ihr Vermögen wird auf 47 Milliarden Dollar geschätzt. Das Familienoberhaupt verkehrte in den obersten Kreisen der Gesellschaft: Prakash Hinduja hat am WEF in Davos teilgenommen und dem indischen Präsidenten Narendra Modi, der britischen Königsfamilie sowie dem Dalai Lama die Hand geschüttelt.
In grossem Kontrast dazu konnten ihre meist aus Indien kommenden Hausangestellten teilweise weder lesen noch schreiben, verstanden kein Französisch oder Englisch und kannten ausser der Familie niemanden in der Schweiz.
Sieben Tage die Woche Arbeit
An der Urteilsverkündung am Freitag am Genfer Strafgericht zeichnete die Gerichtspräsidentin in ihrer Begründung nochmals die Arbeitsbedingungen auf. Die Angestellten hätten bis zu 18 Stunden pro Tag für einen Lohn von 325 Franken monatlich gearbeitet – dieser liege 87 Prozent tiefer als das in der Schweiz branchenübliche Salär. Ausbezahlt wurde das Geld zudem auf Konti in Indien, auf welche sie keinen Zugriff hatten.
Weiter hätten die Angestellten, die als persönliche Bedienstete, Nannys und Köche arbeiteten, keine Freizeit gehabt, sondern jederzeit verfügbar sein müssen für die Betreuung der Kinder und von Gästen. Gelebt hätten sie teilweise monatelang in einem geteilten Raum im Untergeschoss, ohne Tageslicht und Fenster, ohne Privatsphäre. Auch hatten sie keine Arbeitsbewilligung, ihre Pässe wurden ihnen weggenommen, sie konnten sich nicht frei bewegen.
Angeklagt waren namentlich das 79-jährige Familienoberhaupt Prakash Hinduja und seine 75-jährige Frau Kamal sowie ihr 56-jähriger Sohn Ajay und dessen 50-jährige Ehefrau Namrata, die ebenfalls auf dem Anwesen in Cologny wohnten. Ein Vertrauensmann, der als Buchhalter der Familie amtete, war zudem wegen Mittäterschaft angeklagt: Er soll der Familie geholfen haben, die Schweizer Gesetze bezüglich Aufenthalts- und Arbeitsrecht zu umgehen.
Keine Täuschung oder Nötigung
Vom schwerwiegendsten Vorwurf, dem des Menschenhandels, sprachen die Richter die Angeklagten frei. Die Hausangestellten seien nach Aufenthalten in Indien aus freien Stücken wieder zu dieser Familie zurückgekehrt. Sie waren weder getäuscht noch genötigt worden, was für den Straftatbestand nötig gewesen wäre.
Dennoch ist das Urteil schwerwiegend: Verurteilt wurden die vier Familienmitglieder wegen gewerbsmässigen Wuchers, die beiden Eltern zu je viereinhalb Jahren Gefängnisstrafe, der Sohn und seine Ehefrau zu je vier Jahren. Sie hätten ein System etabliert, das verhindert habe, dass die Angestellten frei hätten kündigen können, so die Gerichtspräsidentin. Diese Situation sei «inakzeptabel».
Weiter soll die Familie zur Wiedergutmachung 850 000 Franken in die Genfer Staatskasse bezahlen und für Gerichts- und Verfahrenskosten in Höhe von 250 000 Franken aufkommen. Der Vertrauensmann wurde wegen Mittäterschaft zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Ursprünglich hatten auch drei ehemalige Hausangestellte Strafanzeige erstattet. Vor einer Woche hatte die Familie ihnen einen Vergleich angeboten, den sie akzeptierten. Über die Höhe der finanziellen Entschädigung wurde Stillschweigen vereinbart. Der Prozess war damit aber deshalb nicht zu Ende, weil mutmasslicher Menschenhandel und gewerbsmässiger Wucher von Amtes wegen verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine 65-seitige Anklageschrift vorgelegt.
Urteilsspruch in Abwesenheit
Die beschuldigten Familienmitglieder waren bei der Urteilsverkündung nicht vor Ort. Die Eltern hatten sich bereits während der Wiederaufnahme des Prozesses entschuldigen lassen, sie seien in Monaco, wo sie aus gesundheitlichen Gründen blieben. Auch der Sohn und seine Frau, die Anfang Woche noch im Gerichtssaal anwesend waren, fehlten am Freitag.
Ihre Anwältin hielt fest, dass sich der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert habe und sie im Spital liege, weshalb die Familienmitglieder zu ihr nach Monaco gereist seien. Auch die Opfer waren nicht zur Urteilsverkündung erschienen, einzig der Buchhalter war anwesend. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Angeklagten haben angekündigt, das Urteil anzufechten.
Immer wieder gibt es in der Schweiz Fälle von Ausbeutung von Hausangestellten, insbesondere im internationalen Genf. Zu einer strafrechtlichen Verfolgung komme es jedoch selten, schreibt die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch. Es sei schwierig, Aussagen der Betroffenen zu beschaffen, da diese Angst hätten, ihre Arbeit zu verlieren oder von den Arbeitgebern bestraft zu werden. Zudem würden Sans-Papiers wegen fehlenden Aufenthaltsstatus keine Anzeige erstatten.