Nach gewaltsamen Protesten in dem französischen Überseegebiet im Südpazifik versucht der Präsident, die Lage vor Ort zu schlichten. Der Bevölkerung soll ein neues Abkommen vorgelegt werden, das die Beziehungen zur Regierung regelt.
Zehn Tage dauerten die gewaltsamen Unruhen im französischen Überseegebiet Neukaledonien bereits an, als Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag in der Hauptstadt Nouméa eintraf. Er wolle für die «Rückkehr zu Frieden, Ruhe und Sicherheit» sorgen, sagte er bei seiner Ankunft am Flughafen zu Journalisten.
Wie das geschehen soll, erklärte er um kurz nach Mitternacht (Ortszeit) an einer Pressekonferenz. Zuvor hatte Macron sich mit einer Gruppe von Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung getroffen, die hinter den Protesten steckt. Neukaledonien liegt 1500 Kilometer östlich von Australien und war von 1853 bis 1946 französische Kolonie. Heute sind die Einwohner französische Staatsbürger, doch vor allem die indigene Bevölkerungsgruppe der Kanaken wünscht sich nach wie vor einen eigenen Staat.
Die Anhänger einer radikalen Splittergruppe der Unabhängigkeitsbewegung laufen seit Anfang vergangener Woche gegen eine geplante Wahlrechtsänderung Sturm, durch die sie ihren Einfluss auf die regionale Politik geschmälert sehen. Mindestens sechs Personen sind bei den gewaltsamen Ausschreitungen ums Leben gekommen, unter ihnen zwei Sicherheitskräfte. Hunderte Geschäfte wurden geplündert und zerstört.
«Jedes Quartier zurückgewinnen»
Das Wichtigste sei nun zunächst, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, so Macron. Man werde «Schritt für Schritt jedes Quartier zurückgewinnen», was wegen der komplizierten Situation einige Tage dauern könne. Die französische Regierung hat inzwischen 3000 zusätzliche Polizisten nach Nouméa entsendet.
Seit dem vergangenen Mittwoch gilt in Neukaledonien der Ausnahmezustand. Dieser werde erst aufgehoben, wenn alle Strassenblockaden beseitigt seien, so Macron. Er forderte die Demonstranten auf, dies in den nächsten Stunden zu tun. Die Regierung hat unter anderem vorübergehend die Video-App Tiktok gesperrt, um die Kommunikation zwischen den Randalierern sowie die Verbreitung von Fake News zu erschweren.
Zudem kündigte Macron ein Hilfspaket an, das die Neukaledonier beim Wiederaufbau der zerstörten Gebäude unterstützen soll. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Industrie- und Handelskammer den Schaden für die Wirtschaft des Inselstaats auf mindestens 150 Millionen Euro geschätzt.
Wahlrechtsreform wird verschoben
Um die Situation auch politisch zu entspannen, kündigte Macron an, die Umsetzung der Wahlrechtsreform, die die Proteste auslöste, um einige Wochen nach hinten zu verschieben. Die Reform wird von einem Teil der indigenen Bevölkerung abgelehnt, weil sie später hinzugezogenen Bewohnern das Wahlrecht und somit mehr politischen Einfluss einräumen soll.
Nach der bisher gültigen Regelung dürfen nur diejenigen Bewohner Neukaledoniens an den Provinzwahlen teilnehmen, die bereits 1998 im Wahlregister standen, sowie deren Kinder. Neu sollen alle Bewohner wählen dürfen, die seit zehn Jahren in dem Überseegebiet leben – Neukaledonien hat 270 000 Einwohner, laut Experten wären 25 000 von der Reform betroffen.
Macron betonte, dass die Regierung nicht plane, von ihrem Vorhaben abzuweichen. Dieses sei durch das Abkommen von Nouméa, das die französische Regierung im Jahr 1998 mit der aufständischen Bevölkerung getroffen hatte, legitimiert. Wie ebenfalls in dem Abkommen vorgesehen, wurden in den Jahren 2018, 2020 und 2021 zudem Referenden über eine Unabhängigkeit Neukaledoniens durchgeführt, bei denen sich die Bevölkerung jedes Mal für einen Verbleib bei Frankreich entschied.
Beim letzten Referendum stimmten sogar 96 Prozent gegen die Unabhängigkeit. Allerdings war die Wahlbeteiligung mit 44 Prozent vergleichsweise tief, auch weil Politiker der Partei der Unabhängigkeitsbewegung (FLNKS) zum Boykott aufgerufen hatten. Ihrer Ansicht nach hatte die Corona-Pandemie den Wahlkampf erschwert.
Neues Abkommen geplant
Die Unabhängigkeitsbefürworter fordern darum, dass das Referendum wiederholt werden soll. Das lehnte Macron an der Pressekonferenz in Nouméa ab. Doch er gab zu, die Auswirkungen der Wahlrechtsreform unterschätzt zu haben. In den kommenden Wochen und Monaten soll daher ein neues Abkommen ausgehandelt und der Bevölkerung Neukaledoniens zur Abstimmung vorgelegt werden. Genauere Angaben dazu machte er nicht. Die FLNKS liess jedoch im Voraus verlauten, einen dauerhaften Frieden werde es nur geben, wenn eine Etappe zur Erreichung der Unabhängigkeit vereinbart werde.
Diese ist aber, wie die Referenden gezeigt haben, nicht mehrheitsfähig – und auch von der französischen Regierung nicht gewünscht. Neukaledonien hat für Frankreich angesichts wachsender Machtansprüche Chinas im Südpazifik geopolitisch an Bedeutung gewonnen. Frankreich verfügt über mehrere Militärstützpunkte auf dem Inselstaat. Wirtschaftlich punktet das Territorium vor allem durch seine Nickelvorkommen, die Frankreich zu einem der weltweit wichtigsten Exporteure des Metalls machen. Nickel ist etwa für die Herstellung von Akkus wichtig.
Die französische Regierung befürchtet, dass von einem Rückzug Frankreichs aus der Region vor allem China profitieren würde. Aber auch Neukaledonien ist wirtschaftlich auf Frankreich angewiesen – das Bruttoinlandprodukt der Insel besteht zu einem Drittel aus Zuschüssen der Regierung. Die Anhänger eines Verbleibs bei Frankreich argumentieren deswegen, dass eine Unabhängigkeit wirtschaftlich nicht zu stemmen sei.